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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

noch andere Sorgen, andere Rechnungen, und darunter eine Rechnung, gegen deren Ziffern und Zahlen der Arzt durch Thee und Pulver, das treue, besorgte Weib aber durch Pflege und Gebet ankämpfte.

So war es still nicht in der Gedankenwelt unserer Arbeiter, – auch still nicht in der Tuchmacherstube. Meister Friedel hustete öfter, der Gesell wirkte und webte, und da draußen auch die Abenddämmerung dunkler und dunkler ihre Fäden in die Werfte des Januartages schoß, so trug die Meisterin Licht hinein; auch der Gesell zündete hinter dem Stuhle seine Arbeitslampe an. Dann ging die Meisterin, um die Fensterläden zu schließen.

Da klang es laut durch die Gasse wie Musik und Gesang. Mitunter ein Ruf, eine aufjauchzende Stimme. Und bald kam’s näher, immer die Gasse herein, bis hin vor unser Haus, Hier blieb der Schwarm stehen, während Einzelne riefen:

„Leb’ wohl, Bruder Glogauer!“

Es war eine Menge Tuchmachergesellen, auch getroffen von der Krisis, – denn sie hatten Feierabend bekommen in Folge des schlechten Geschäftsganges, mußten wandern aus der Stadt, eine neue Werkstatt suchen und durften sich nicht sagen, daß sie bald eine solche finden würden. Am nächsten Morgen gedachten sie auszurücken. Darum kamen sie jetzt, um bei ihren Mitgesellen, denen die Arbeit nicht gekündigt war, Abschied zu nehmen, den sogenannten Zehrgroschen zu holen und dann nach der Herberge zu ziehen und den Valetkrug zu leeren in Gemeinschaft mit den Bleibenden.

„Zieh den Rock an, Bruder Glogauer, begleite uns mit zur Herberge,“ sagten, nachdem sie höflich die Meistersleute gegrüßt, die eingetretenen Deputirten, während draußen von den Uebrigen ein Vivat auf den Meister Friedel ausgebracht wurde.

„Mitgehen will ich nicht, Ihr guten Jungen,“ erklärte der Glogauer, „mein Meister ist kränklich, kann nicht hinter dem Stuhle arbeiten, ich selbst aber hatte heut’ viel Abhaltung, also nehmet es nicht übel, wenn ich dableibe, ich will noch einige Stunden arbeiten.“

„Wenn Sie Lust haben, Bernhard, so gehen Sie doch mit,“ sprach freundlich die Meisterin, als die Stube mehr und mehr sich füllte von Abschiednehmenden und unter diesen einige gute Freunde Bernhards sich befanden, denen er unter herzlicher Umarmung das Lebewohl sagte, während er den Anderen zum Abschied nur die Hand schüttelte.

„Weiß ich doch, daß es beim Valetkruge auf der Herberge bis zum frühen Morgen dauern wird, – ich verderbe mir den kommenden Tag und das Stück muß morgen vom Stuhle, ich muß fertig werden damit, muß es abwirken,“ erwiderte der Gesell.

Meister Friedel ward froh darüber, – denn die herzliche Umarmung, welche der Gesell einigen Freunden gab, hatte in ihm die Furcht aufsteigen lassen, der Glogauer könne auf der Herberge wohl gar noch Lust bekommen, auch mit zu wandern. Er steckte daher, wie dies auch der Glogauer that, gern und reichlich in die Zehrgroschenbüchse, die der eine der Deputirten ihnen hinhielt.

„Mögen Sie Alle bald Arbeit finden!“ wünschte die junge Meisterin und schob ebenfalls ein Scherflein in die Blechbüchse.

„Im Namen Aller unsern Dank!“ rief der Deputirte, welcher die Casse trug.

„Hast wahrhaftig die schönste Meisterin in der ganzen Stadt, Bruder Glogauer!“ behauptete laut ein Anderer.

„Wirst nicht fortkommen aus dem Städtel –“

„Auguste will ihn haben, die Gerberstochter.“

„Das Zweitausendthalermädel! Ja, ja, Auguste läuft immer an seinem Fenster vorbei!“

So sprach’s und rief’s durcheinander, und Meister Friedel nickte und gab sein Wort dazu, – und der Glogauer eilte zur Thüre, ging hinaus zu den Mitgesellen und nahm Abschied von den Wanderburschen.

Nun kamen auch die Uebrigen aus der Stube. Der Cassenträger schwang schüttelnd die Büchse und auf dieses Zeichen, das man gar wohl verstand, ertönte unter Begleitung einer Zugharmonika das schöne bekannte Lied:

„Wohlauf denn getrunken den funkelnden Wein!
Ade nun, ihr Brüder, geschieden muß sein!
Ade nun, ihr Berge, du väterlich Haus!
Uns treibt in die Ferne die Krisis hinaus!“

Die Burschen sangen so ruhig, so rein und innig, daß die letzte Zeile, welche mit ihrer Abänderung eigentlich an’s Komische zu streifen scheint, doch einen tiefen, wehmüthigen Eindruck machte. Mancher der Vorübergehenden steckte noch etwas in die Zehrgroschenbüchse, – manche Bürgerstochter guckte zum Fenster heraus, – manches Dienstmädchen setzte auf der Straße die Wasserkannen nieder und wischte sich eine Thräne aus den Augen und wartete, bis der Zug vorüberkam. Da wurde denn noch eine Hand gereicht, – ein Abschiedskuß gegeben, – ein Versprechen gethan, – doch das Bündel war geschnürt, es mußte Alles überstanden werden.

O, daß man nicht glaube, in solcher Gesellschaft herrsche nur Raschheit, Leichtsinn, Oberflächlichkeit! Gerade das Herz des jungen, kräftigen Arbeiters ist oft so empfänglich für die tiefere Leidenschaft der Liebe, – er fragt nicht danach, ob Täuschung oder Erfüllung, ob Glück oder Unglück erfolgen werde, – die Liebe selbst ist ihm genug, – er gibt sie nicht hin, er hält sie fest als den einzigen süßen Strauß, den blühend das Schicksal ihm zugeworfen hat.

Unter Gesang und unter den Klängen der Zugharmonika schritten die Arbeiter noch durch Straßen und Gassen und Gäßchen, – dann ging’s hinein in die Tuchmacherherberge.

Werfen wir noch einen Blick in die Tuchmacherstube.

Es ist spät. Meister Friedel sitzt noch am Sortirtische. Die Wollscheere hält er noch in der rechten, ein Wollflöckchen in der linken Hand, – aber die Scheere greift nicht mehr in das Flöckchen, der Meister ist eingeschlafen. – Die junge Frau sortirt fleißig fort, sie gönnt dem Manne den Schlaf und als der Husten ihn aufweckt, spricht sie bittend:

„Gehe zu Bett, lieber Mann, – Du bist ja fleißig gewesen, – ich werde nun auch bald gehen.“

Als aber Meister Friedel hinaus war in die Schlafkammer, ging die Meisterin noch nicht. Sie holte Buch und Rechnungen herbei, schob den Docht der Lampe weiter heraus und setzte sich wieder. Sie las nun, sie schrieb, sie verglich, – that es allein, – trug die schmerzliche Ueberzeugung allein, daß es blieb, wie es war. – Sie klagte nicht laut, – das innere Seufzen hörte Niemand.

Und dennoch, – wenn er’s auch nicht hörte, – der Gesell, der noch eifrig den Schützen durch die Werfte schnellen ließ, er verstand, er theilte das Seufzen.

Auch hörte er die wenigen Worte, welche leise die Meisterin sprach, indem sie Buch und Rechnungen wieder forttrug, die Worte:

„Herr Wurm ist nicht gegen Braunschweig, – o, daß ich von dort Hülfe brächte!“

„Vielleicht, vielleicht,“ antwortete der Gesell, und die Meisterin vernahm diese Antwort.

„Und wollen Sie nun nicht auch zu Bett?“ fragte sie nach der Werfte hin.

„Nein, nein,“ entgegnete der Gesell, „bringe ich morgen das Stück vom Stuhl, so kann es noch mit nach Braunschweig gehen.“

„Das wäre wohl gut,“ sprach die Meisterin sanft, „auch mein Mann wird sich freuen.“

Tiefer zog sie den Docht in die Lampe ein, aus der Flamme ward ein mattes Flämmchen. Mit dem Gruße: „gute Nacht, Bernhard,“ ging die junge Meisterin hinauf in die Schlafkammer, – und „gute Nacht, Frau Meisterin,“ sendete kaum hörbar der Gesell ihr nach.

Durch den kleinen weißen Vorhang des kleinen Kammerfensters leuchtet noch das Flämmchen der Lampe. Das bedrängte junge Weib denkt nicht daran, sich geheimnißvoll zu schmücken für ein geheimnißvolles Fest des Herzens, – und doch ist das einfache Nachtzeug für das junge Tuchmacherweib ein geheimnißvoller Schmuck – ein Schmuck in Reiz und Fülle.

Es ist gut, Gesell, daß Du den Schmuck nicht siehst, es ist gut, daß Du arbeitest und nur dann und wann Deinen Blick nach dem matten Lampenscheine wendest.

Jetzt verlischt das Flämmchen, heimlich sprichst Du noch ein Mal: „gute Nacht,“ – – und nun arbeitest Du fort Stunde für Stunde, bis in der Nachbarschaft die Hähne krähen.

Du bist zufrieden, das Stück ist tüchtig gewachsen, – da lässest Du ruhen den Schützen, den Tritt, die Lade, – Du stützest Dein müdes Haupt in die müde Hand, – Du schläfst – – Du träumst. – Nun ist es still, ganz still; über dem Haupte des Träumenden knistert nur die matt brennende Arbeitslampe.

O Werkstätte, still oder lärmend,
O Werkstätte, groß oder klein:
Schwer stellt sich in deinen vier Wänden
Die Nahrungssorge oft ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_498.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)