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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Aeußerlich bestand nur eine „Allgemeinheit“, deren Angehörige auf den Burschenbrauch verpflichtet wurden.

Man theilte mir mit, daß ich mit noch einem andern Fuchs, einem Lübecker, aufgenommen werden solle, und die Nacht wurde anberaumt. Die Versammlung fand in der Wohnung eines Burschen statt, der nachher in einem thüringer Staate eine Zierde unter den höheren Staatsdienern geworden ist. Nach zehn Uhr wurden wir eingeführt und sahen jene Dreißig bis Sechsunddreißig dasitzen; der Sprecher des Vorstandes hielt eine treffliche Rede und verpflichtete uns durch Handschlag auf die Verfassung der deutschen Burschenschaft. Diese feierliche Stunde habe ich nie vergessen, wie ich es denn auch nie bereuen werde, ein Mitglied jener Verbindung gewesen zu sein. Daß ich späterhin dadurch in manche Widerwärtigkeiten gerathen bin, die meinem Lebenslauf eine eigenthümliche Richtung gaben, hat sie mir um so lieber gemacht. Ich verdanke ihr viele wohlthätige Anregungen und herrliche Stunden und will ihr meine Anhänglichkeit bis an mein Lebensende bewahren. Heute freilich sind andere Zeiten; die Gemüther der akademischen Jugend haben, wie es scheint, einen andern Strich und eine andere Richtung, als wir vor drei Jahrzehnten; die Romantik ist ihr abhanden gekommen und ich will sie deshalb nicht schelten. Es kann nicht schaden, daß Deutschland, sammt seiner Jugend, endlich angefangen hat, praktisch zu sein. Aber schwungloser und prosaischer kommen die heutigen Studenten mir vor. Oder wäre ich etwa ein laudator temporis acti? Ich glaube kaum.

Wir durchlebten in Jena eine schöne Idylle. Wie reizend war es im Griesbach’schen Garten! Dort erzählten wir uns von Karl August, Amalie, Goethe, Schiller, Herder und den anderen Heroen jener weimarischen Tafelrunde des Geistes; dorthin ging, wer in schöner Einsamkeit Tieck, Novalis oder Jean Paul genießen wollte; dort las er auf einem Denksteine die vielbekannten Worte

Zierlich denken und süß erinnern,
Ist das Leben im tiefsten Innern,

deren Sinn er zu enträthseln suchte. Sie schienen Manchem dunkel, wie das bekannte: „Des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu ertragen, ist Tugend, ist Begriff; Geduld und Wachsamkeit sind mehr denn Gold und Jugend Werth.“

Man bestieg den Landgrafenberg, den Fuchsthurm und die Kunitzburg, von welcher der Wanderer in der That einen wahren Prachtblick auf das reizende Thal der Saale hat. Nach Süden hin schloß in demselben die Leuchtenburg die Aussicht; sie stand wie ein Memento da, denn auf ihr hatte mehr als ein Burschenschafter seine Strafe abgebüßt. Aber das hinderte uns nicht, nach Kahla zu fahren, das am Fuße jener Burg liegt, und dort ein lustiges Vogelschießen mitzumachen. Die thüringer Mädchen fanden wir lieb und frisch und mancher Studio aus Süd und Nord hat dort oder in Eisenberg und den anderen Orten, wo flott getanzt wurde, sein Herz wenigstens auf einige Zeit verloren. Diese munteren Gesichter machten einen gar lieblichen Eindruck; Alle waren so ungeziert und dabei so sittsam und anständig; und wie mir ein Freund aus Schlesien, der Besitzer des schönen Hundes Scheck-Munni, sagte: „Es ist mit diesen thüringer Mädeln zum Schwerenothkriegen!“

Es ging ihm nämlich wie Buridans Esel; er glaubte in zwei schmucke Dirnen verliebt zu sein, in zwei verschiedenen Städtchen, und wußte doch nicht recht, welche eigentlich es ihm angethan habe. Darüber hatte der „Spektakel“ große Qual, und ich glaube, er ist auch von Jena fortgegangen, ohne in’s Klare zu kommen, welche denn eigentlich die hübscheste und angenehmste gewesen. Ich meinerseits hatte ein Stück Jugendherz in Rudolstadt, wo mir, wie jenem Schweizer im Tell, ein Mägdlein im Schlosse hold war. Keine Seele erfuhr davon; ich ritt Nachmittags fort, war Abends an Ort und Stelle und stieg bergan. Es fehlte nicht an buschigen Stellen und lauschigen Plätzen, wo Hand in Hand traulich gekoset wurde. Gegen Mitternacht sprengte ich wieder heim. Das waren schöne und reine Stunden, an welche ich in ungetrübter Stimmung zurückdenken kann. Um mit der Jobsiade zu sprechen:

Wir tranken des Mondes Silberschein
Und das Flimmern der lieben Sternelein.

Doch das ist nun schon lange, lange her, und die Hand, welche damals der romantische Bruder Studio drückte, auch schon lange, lange kalt!

Die Bierstaaten sind seit langen lieben Jahren ein sehr wichtiges und charakteristisches Item in dem Jenaischen Studentenleben. Die Landsmannschaften hatten ihre „Burgen“ und Herzogthümer in Lichtenhain, mit Ausnahme der Franken, deren Staat, wie schon bemerkt, in Wöllnitz war. Bei jenen hieß der Fürst immer Thus oder Tus, wie in Schwarzburg der Fürst allemal Günther heißt. Die Reihenfolge der Tusse ist länger als jene der reußischen Fürsten älterer oder jüngerer Linie. Ich darf kühn behaupten, daß Jena und die Dörfer, welche um das Städtchen herumliegen, die wackersten Zecher gesehen hat, die je in deutschen Landen das gelbe oder braune Naß getrunken haben. O, was ist da Alles geleistet worden! Wir waren klüger, wie der König von Thule, und warfen die Becher nicht in’s Meer, sondern wir behielten Kännchen und Stübchen, Aebte und Lanzen, wir ließen sie nicht, sondern machten es wie der lustige Zecher, den Robert Prutz so schön geschildert hat. „Wir zechten und zechten mit durstigem Mund“ ohne Unterschied der Facultas, und trotzdem hofften auch die Theologen, dermaleinst selig zu werden. Ob ihnen der liebe Gott so gnädig ist, wie dem Zecher von Prutz, weiß ich nicht, wünsche es aber aus vollem Herzen; so viel aber weiß ich, daß manche von ihnen helle Kirchenlichter geworden sind, welche ihre Gemeinden erleuchten.

Wir Burschenschafter hatten auch in Bezug auf unsere Bierstaaten Mannichfaltigkelt in der Einheit, denn unser waren zu Viele, als daß wir uns an einem einzigen Staate hätten genügen lassen; keine Dorfkneipe war geräumig genug, uns Alle zu fassen. In Zwäzen, der Kunitzburg gegenüber, hatten wir 1826 ein Kaiserthnm, auf dessen Throne, wie ich schon früher sagte, der „Kaptein“ in hoher Würde prangte. Die Zahl seiner Unterthanen, zu welchen ich gehört habe, mochte gegen siebenzig betragen. Die Reichsämter waren mit tüchtigen Zechern besetzt; es wurde aber in Zwäzen nicht selten ein hoher Sinn in das kindische Spiel gelegt, indem der „Bierwitz“ als Folie für patriotische Anmahnungen und Bestrebungen diente. In Ammerbach hatte sich ein Vasall des Kaisers als Herzog festgesetzt, in der Person des „Schnick“, eines pudelnärrischen Kerls aus Meiningen, der eine ausgezeichnete Klinge führte und in trockenen Späßen unübertrefflich war. Dieserhalb will ich es ihm auch vergeben, daß er einmal, als er mir bei einer Paukerei auf Pariser secundirte, nicht zu rechter Zeit die Klinge des von mir verwundeten Gegenpaukanten aufhob, wodurch ich in empfindlicher Weise zu Schaden kam. Schnick hatte „Landeskinder“ um sich versammelt, zumeist Thüringer, und sein Staat war in guter Ordnung. Auch wurde in Ammerbach, wo es sicher war, manchmal gepaukt. Wir stellten auf den Bergen und in den Schluchten Füchse als Späher auf, und wenn der schlaue Pedell Dorschel kam, fand er allemal Alles in bester Ordnung, und — wir tranken ihm vor. In Wöllnitz thronte der schon erwähnte Morba in unnachahmlicher Hoheit; nie aber habe ich ihn größer und majestätischer gesehen, als eines Tages im Sommer 1830, da er im Hermelinmantel, mit Herzogshut, Schwert, behängt mit Orden, zu Esel, gefolgt von Vasallen, in Ziegenhain einritt. Dort hatte sich, nach Verfall des Kaiserthums Zwäzen, welches nach des Kaptein’s Abgang hinsiechte, wie weiland das heilige römische Reich deutscher Nation, ein blühender Freistaat erhoben, der zu Anfang eines jeden Halbjahres seinen Landammann wählte; dieser führte die höchst wohlklingende Benennung „Ulk“, und trug als Zeichen seiner Würde eine hohe Pelzkappe. Zwischen der Republik Ziegenhain, deren Wahlspruch: Bier, Freiheit, Gleichheit, auf dem Wappen und den Pfeifenköpfen prangte, und dem Herzogthum Wöllnitz waren einige Irrungen ausgebrochen, wie denn das bei Nachbarn wohl zu geschehen pflegt. Es handelte sich natürlich um Bierstreitigkeiten, und ob bei einem Wettkampfe die Unterthanen oder die freien Bürger mehr und rascher getrunken hätten. Der Zwist war jedoch in Güte beigelegt worden, und zum Beweise, daß aller Zank und Span verschwunden, die Streitaxt begraben sei, ließen Seine Durchlaucht dem Herrn Landammann Ulk melden, daß Allerhöchst Sie dem befreundeten Staate einen Besuch zugedacht hätten. Der große Tag erschien. Herzog Morba wurde auf der Grenze der beiden souverainen Staaten Ziegenhain und Wöllnitz von freien Bürgern festlich begrüßt; sie hielten ihm den berühmten Birkenmaier entgegen, jenen kolossalen hölzernen Humpen, auf welchen Jena stolz sein kann. Durchlaucht tranken mit Würde auf das Wohl der befreundeten Republik einen Zug, der wirklich sehr tief und also rechtschaffen war. Wir nahmen daraus ab, daß aller Groll verschwunden sei, denn so wacker konnte nur ein gutes, friedsames Gemüth Bescheid thun. Sämmtliche Wöllnitzer Unterthanen hatten ihren Potentaten begleitet. Ich will die Einzelnheiten jenes großen Tages nicht näher schildern, sondern nur

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