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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

und reichlich gedeckt – – da brachen die unglückseligen Tage anhaltender Regenwetter an, welche die Oberstadt bis zum Einbruche verschiedener Kellerstrecken erweichten und den Wehrdigt mit einer nie dagewesenen Wasserfluth heimsuchten, wodurch die Dämme und Straßen zerrissen, die Brücken des Verkehrs nach außen abgebrochen und fortgeführt, die Wohnungen vieler Menschen zerstört, Waarenlager beschädigt, Candelaber der Gasbeleuchtung umgestürzt, der Damm der Eisenbahn durchbrochen, deren Viaduct ruinirt, Hunderte von Menschenleben in Gefahr gebracht und die Geschäftsthätigkeit, diese nährende Mutter Glauchau’s, theils unterbrochen und gehemmt, theils auf längere Zeit zur Unmöglichkeit herabgedrückt worden ist.

Zwar ist der Umfang des durch dieses Ereigniß herbeigeführten Schadens und Unglückes noch nicht allseitig ermittelt und kann es auch nicht sein, und es müßte daher voreilig erscheinen, wenn man schon jetzt Alles als genau bemessen darstellen wollte, doch so viel ist mit voller Bestimmtheit zu behausten, daß Glauchau aus diesem Unglücke sich nicht sobald wieder aufrichten kann, wofern nicht die hülfreiche, allgemeine Theilnahme und namentlich die Vermitteln des Staates ihr Mögliches thun.

Die vorliegende Mitteilung kann nur den Zweck haben, vor dem Auge der Welt ein wahrheitsgetreues Bild der Angsttage und Schreckensnächte aufzurollen, welche die erwähnte Wasserfluth über Glauchau’s Bewohner gebracht hat.

Am 30. Juli d. J. begann die Mulde, durch anhaltende Regenwetter genährt, zu schwellen, und vielleicht mancher Knabe hoffte, in Erinnerung an frühere Zeiten, auf die Gelegenheit, wieder einmal mit Fug und Recht im Wasser umherwaten, oder die Vortrefflichkeit seiner Juchtenstiefeln erproben, oder in Gemeinschaft mit seinen Cameraden in gewohnter Weise eine kleine Flottille von Bretern und alten Thüren improvisiren zu können. Diese Hoffnung wuchs, da der Himmel sich nicht aufheiterte.

Sonnabends den 31. Juli früh fand man schon ein Stück der Terrassenmauer am Meisterhause der Weberinnung in Folge der den Grund lockernden Nässe eingestürzt, welches in chaosähnlicher Lagerung am Berge hinab bis auf den vorüberführenden Fußweg gerollt war. Aehnliches nahm man auch an anderen Stellen des Berges wahr, worauf die Oberstadt gelegen ist; ja, eine herabgestürzte Bergmasse hatte bereits die Wand einer am Fußwege gelegenen Schankwirthschaft eingedrückt, was Alles um so unheilverkündender erschien, als der Regen noch immer fortdauerte. Die Mulde drohte und begann endlich, ihre Ufer zu überschreiten, und zwar von früh neun Uhr an mit sichtbarer Geschwindigkeit. Schon kamen verschiedene Holzstücke u. s. w. geschwommen, welche die Freunde und Liebhaber des Strandrechtes zu vielfacher von sonst schon gewohnter Thätigkeit veranlaßten. Gegen elf Uhr wurden schon hier und da die Wege und Gassen ungangbar, Zusammenrottungen Neugieriger zeigten sich und es entwickelte sich nach und nach jenes Umherwogen der Menschenmassen, was, durch unbestimmte Erwartungen und Befürchtungen verursacht, lawinenartig zuzunnehmen pflegt. Es regnete fort, – das Wasser stieg mehr und mehr, zuletzt von fünf Minuten zu fünf Minuten.

Pferde und anderes Vieh wurde in die Ställe der Oberstadt gebracht. Um zwei Uhr schon watete man in den meisten Gassen und Straßen bis an die Knie und höher im Wasser. Jetzt nun, und leider zu spät, wurde geahnt, daß noch nie Dagewesenes bevorstehe. Aeltere Leute namentlich konnten aber immer noch nicht sich zum Glauben an das Schlimmste bequemen. Indessen wurde schon wacker gerettet. Die Gemüther waren aufgeregt und erglühten in jener kühnen Verachtung aller Gefahr, welche noch vor Sonnenuntergange sich zum Heldenmuthe steigern sollte, wie ihn nur die verzweifelte Liebe oder die Sorge für das eigene Herzblut eingeben kann.

Kähne waren nicht vorhanden. Die Mulde ist in der Regel so seicht, daß man sie nur an sehr wenigen Stellen befahren könnte, und der Gedanke an Beschaffung derartiger Fahrzeuge mußte den Bewohnern Glauchau's fern bleiben, da die Stadt zeither zwei große hölzerne Brücken zum Verkehre nach außen halte, die sogenannte obere und die niedere Wasserbrücke, so bezeichnet zum Unterschiede von drei anderen Brücken, die in Nord und Süd die durch Thalwindungen getrennten Theile der Oberstadt verbinden. Aber die erwähnten beiden Muldenbrücken wurden schon im Laufe des Nachmittags von den immer höher gehenden Wogen beleckt und bespült und sind in der mächtigen Finsterniß zwischen Sonnabend und Sonntag krachend gebrochen und in großen Stücken von den Wogen fortgetragen worden. Vorher aber und noch vor Eintritt der Abenddämmerung waren eiligst zusammengefügte Fähren bei dem Rettungswerke in voller Thätigkeit, und die geringe Tragfähigkeit derselben zeugte theils von der Unkunde ihrer hülfseifrigen Verfertiger, theils war sie Ursache, daß mancher edle Retter bis an den Hals im Wasser gehen mußte, um das Fahrzeug nur einigermaßen zu dirigiren, und war auch Ursache, daß die Rettungsbedürftigen oft nicht ohne eine Angst- und Nothtaufe in Sicherheit gebracht werden konnten. Schon am späten Nachmittag begannen Häuser zu wanken und endlich einzustürzen. Nothschüsse erfolgten, Hülferufe wurden gehört, hier und da sah man weiße Nothfahnen ausgesteckt. Welche Stunden der Angst und Trostlosigkeit habt ihr durchleben müssen! Der Griffel sinkt mir aus der Hand, wenn und so oft ich jener Seelenkämpfe gedenke. Ach, ihr hülfeflehenden Seelen, die ihr fast nicht mehr auf Rettung hoffen durftet, weil die Wasser höher wogten und immer reißender strömten, und weil der Tag sich neigte und in die tiefste Finsterniß versank! — Ach, ihr bebenden Herzen, die ihr die Noth der Unglücklichen tausendfach mitfühltet, ohne helfen zu können, und, wenn in der Finsternis drüben die Häuser krachend in den Tumult der Wasser sanken, nicht ahnen konntet, wen das Schicksal erreicht haben mochte!

Alles ward gedacht, versucht und gethan, was umsichtige Fürsorge, Herzensangst und Heldenmuth denken, versuchen und thun können. Säle wurden geheizt und erwärmende Tränke bereitet für Retter und Gerettete, ja sogar an den Rettungsstellen selbst stellte zuvorkommendes Mitleid seine gastlichen Tische unter freiem Himmel auf. Man telegraphirte von Seiten des Stadtrates nach Chemnitz um Kähne, welche aber wegen dortiger Ueberschwemmung nicht zu erlangen waren. Man wandte sich in gleicher Weise nach Zwickau, von wo die Nachricht einging, daß die neue Eisenbahn füglich nicht zu befahren sei. Hiesige Zimmermeister sagten zu, mit Anbruche des Sonntags brauchbarere Rettungsfähren zu schaffen; — und damit die in der Wassersnoth Befindlichen Wahrzeichen der allgemeinen aufgeregten Wachsamkeit und Hülfsbereitschaft haben sollten, wurden an vielen Stellen Pechpfannen angezündet, und namentlich in der langen Fronte des Meisterhauses Lichter in die zahlreichen Fenster gestellt. Ach, die Unglücklichen verstanden diese Trostreichen der Liebe nicht! Die nebelige Beschaffenheit der nächtlichen Finsterniß verdoppelte, und verdreifachte den scheinbaren Umfang der leuchtenden Pechflammen, und zu der Trostlosigkeit inmitten der tobenden Gewässer gesellt sich nun noch der schreckliche Wahn, daß zu der Wassersnoth, auch noch die Feuersnoth gekommen, sei. Inzwischen wagte und vollbrachte in wirklicher Todesverachtung der Heldenmuth Einzelner göttliche Werke der Hülfe und Rettung.



(Fortsetzung folgt.)



Erinnerungen eins alten Jenensers.
Zur Vorfeier des Jubelfestes.
II.


Mit den Landsmannschaftern standen wir Burschenschafter damals eigentlich in gar keinem Verhältnisse; beide Theile gingen neben einander her. Die leidige „Paulfrage“ spielte schon dieselbe Rolle, wie noch heute. Wie hielten am Ehrengerichte fest und gingen nicht los, ohne daß ein solches zuvor den betreffenden Fall untersucht hätte, wozu die Landsmannschafter sich nicht verstehen wollten. Unter uns selbst waren aber die Ansichten darüber verschieden, ob das Ehrengericht unbedingt entscheiden dürfe oder nicht. Viele, und zwar auch solche, die eine tüchtige Klinge stießen, waren grundsätzlich gegen jeden Zweikampf, in welchem sie unter allen Umständen eine rohe Unsittlichkeit, eine völlige Barbarei erblickten. Sie meinten, ein Bursch habe Besseres zu thun, als sich von früh bis spät über unnütze Paukereien zu unterhalten und die Zeit mit platten Nichtigkeiten zu vergeuden. Während meines zweiten Aufenthaltes in Jena hatten sich in dieser Beziehung die Ansichten einigermaßen geändert: man war pauklustiger geworden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_491.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)