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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 34. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Blätter aus der Krisis.
Von Ludwig Rein.
Nr. 2.  Meisterbrod.

Fabrikantenbrod“, – ein Blatt aus der „Krisis“, wir reichten es jüngst unsern Lesern dar.

Meisterbrod“ bringen wir heute.

Und der Unterschied? Du kannst Dir ihn fast denken, – denn Fabrikanten treiben die Arbeit im Großen, Meister nur im Kleinen. Wisse noch mehr. In den meisten städtischen und gewerbsteuerlichen Katastern wird der Unterschied ziemlich streng genommen, denn der Fabrikant wird höher besteuert, als der Meister.

Fast in allen deutschen Tuchmacherstädten wird Jeder, der auf mehr als vier Stühlen arbeiten läßt, den Fabrikanten beigezählt, während Derjenige, welcher weniger als vier Stühle beschäftigt, nur als Tuchmachermeister gilt.

In dem „Blatte aus der Krisis“, welches wir jüngst gaben, hatten wir es mit Fabrikanten zu thun, – wir bewegten uns als Zuschauer in einem schon ziemlich bedeutenden Etablissement. Heute ist es anders, wir steigen tiefer, wir treten ein in die Stube eines kleinen Tuchmachermeisters, der nur auf zwei Stühlen arbeitet. Er lebt in Schlesien, in der Stadt H–. Viele Tausende solcher Kleinmeister gibt es ja in der deutschen Tuchmacherwelt. Und eben so viele und mehr noch arbeiten nur auf einem einzigen Stuhle.

Aber wie? Brach die „Krisis“ verderblich auch auf die Kleinen herein? Traf sie nicht ausschließlich die Großhändler, die Kaufleute, die bedeutenderen Fabrikanten? Zunächst allerdings. Aber die weitgreifenden Ereignisse, welche in der Handelswelt auftraten und nicht nur Amerika, sondern fast mehr noch Europa erschütterten, warfen ihre Folgen, als die Großen gestürzt waren, verderblich auch auf viele Tausende der Kleinen. Von ihnen melden freilich die Zeitungen nichts. Diese Kleinen sind keine Häuser, haben keine Firma, von großartigen Zahlungseinstellungen kann hier nicht die Rede sein. Sie haben keine Geschäfte mit dem fernen Auslande, stehen nicht in Verbindung mit Amerika; ihr Beutel reicht weder auf den Geld-, noch auf den Waarenmarkt, und so sind sie auch ausgeschlossen von der Wechselreiterei, Aufkauferei, Geldmacherei.

Wie viele Tausende aber von diesen Kleinen seufzen noch jetzt unter den Folgen der „Krisis“! Wie Unzählige fürchten noch diese Folgen und wehren sich gegen Verarmung, Noth, Spital!

Und das that und thut die „Krisis“? – Nicht anders.

Siehe da, eine Sommerlandschaft! Weinberge, Aehrenfelder, Obstgärten, Felder mit Erdfrüchten und Futterkräutern, Wiesen, Park und Blumenbeete: welch’ reifende Fülle, welch’ eine Aussicht auf Ernte und Gewinn!

Da verbirgt sich die Sonne, – der Donner rollt, ein Wetter zieht heran. Nicht lange – und das Wetter bricht los. Es ist nicht ein gewöhnlicher Regenfall, nicht ein gewöhnlicher Gewittersturm, – es ist ein gewaltiger Hagelschlag. Aus den gerissenen Wolkenschläuchen, die in fahlen Massen sich heranwälzten, fällt fußhoch der eisige Schutt. –




„Nur nicht verderben, nicht untergehen!“ sagte trübsinnig der Tuchmacher Friedel zu seiner jungen Frau. „So kommen wir nicht durch. Wir werden untergehen, – die theuere Wolle, – Gott, Gott, ich gab für den Centner achtzig Thaler! Die steckt nun in den Tuchen, – und die Tuche sinken täglich im Preise, – und die Wolle haben wir zum dritten Theil erst bezahlt, –“

Ein verdächtiger Husten unterbrach den blassen, etwa funfzig Jahre zählenden Mann. Seine Frau holte Topf und Tasse vom Ofen und schenkte ein.

„Quäle mich nicht mit dem Thee,“ wendete der Mann ein, als der Husten nachließ; „Thee hilft mir nicht, – vielleicht hilft Braunschweig, – nach vierzehn Tagen ist dort die Messe, ich will hin.“

„Warst ja nie zur Messe, lieber Mann, – und Dein Husten, – ach, laß doch Deine Sorge nicht zu groß wachsen.“

Diese Stimme klang so weich, so gut, so treu.

„Wächst doch die Sorge immer größer, wenn ich Dich ansehe, Lisette,“ entgegnete der Mann, an welchem der Harm zehrte. Es war nicht allein der Harm, der an ihm zehrte, – die Krankheit in den Lungen schritt schnell nur fort, weil der Harm mitzehrte.

„Sollst nicht ängstlich sorgen um mich. Ach, denke doch an Dich allein, an Dich! Bist Du gesund, werden wir ja Alles überwinden.“

Das klang wiederum so mild, so innig, so besorgt.

Was liegt doch in der Stimme eines tieffühlenden, theilnehmenden Weibes! Werde sie laut im Salon oder in der einfachen Tuchmacherstube: der Engel klingt durch.

Auch Meister Friedel spürte das. Er blickte dankend sein Weib an, – er lächelte, – er drückte ihm die Hand, – er sagte:

„Du gute Lisette! – und ja, ich will doch nach Braunschweig.“

Als müsse er zeigen, daß er noch Kraft dazu besitze, stand er auf und verließ den Tisch, an welchem er, ungefärbte Wolle sortirend, bis jetzt gesessen hatte.

Lisette schenkte noch einmal die Tasse voll. Wir wollen nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_481.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)