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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

bei uns eingeführt worden? Auf alle Euere juristischen Spitzfindigkeiten und Principienklaubereien gebe ich kein Kopfstück (24 Kreuzer). Nun antwortet, Ihr Juristen, ich vertheidige den gesunden Menschenverstand. Dixi!

Sehr lebhaft wurde auch über die Griechen hin und her disputirt und Wilhelm Müller’s Griechenlieder waren ein sehr beliebtes Buch. Zur Burschenschaft hielt sich ein kleiner Grieche, wenn ich nicht irre, hieß er er Pagon, der recht flott turnte. Die Füchse betrachteten diesen angeblichen Nachkommen der alten Hellenen mit großem Interesse; wenn ich mir aber heute seine Physiognomie vergegenwärtige und an seine entschieden arnautische Nase denke, so zweifle ich keinen Augenblick, daß dieser Mann, gleich der Hälfte seiner „hellenischen“ Landsleute, albanesischer Abkunft war. Er las eifrig die Augsburger Allgemeine Zeitung, die einzige, welche außer der Dorfzeitung und der Neckarzeitung gehalten wurde; daneben hatten wir dann noch den Eremiten von Gleich. Man sieht, wie harmlos unsere Lecture war; auch befanden sich in der Burschenbibliothek keine Werke, welche man heutzutage verbieten würde.

Es war viel neuer Zuwachs aus allen Theilen Deutschlands eingetroffen und für den Neuling war es von hohem Interesse, zu sehen, wie sich Alles so rasch ein- und zusammenlebte, und wie in der Burschenschaft, die mit Allem, was darum und daran hing, mehr als dreihundert Köpfe zählte, ein Geist die Gesammtheit durchdrang. Und dieser Geist war deutsch, gesund und patriotisch, er war derselbe bei denen, welche von der Donau kamen, wie bei jenen, welche das Licht der Welt in den Marschen von Schleswig-Holstein erblickt hatten. Wir Niederdeutschen waren damals stark vertreten und mochten wohl ein Viertel der ganzen Studentenschaft ausmachen. Deswegen hörte man auch auf dem Burgkeller viel Plattdeutsch in allen Mundarten reden, namentlich ließen sich die Mecklenburger ihr süßes Obotritisch nicht nehmen und Stülpnagel war stets bereit, zu behaupten, daß man für das hochdeutsche Pferd nicht Pärd, sondern Pierd sagen müsse. Am Ende entschied der alte Jahn, daß er Unrecht habe. Das Zusammentreffen so vieler Jünglinge mit ganz verschiedenen Anlagen und Begabungen, so vieler Leute aus ganz verschiedenen Gegenden, erzeugte eine eigenthümliche und frische Geistesatmosphäre, in der man sich ungemein wohl und frei fühlte.




Der Congreß deutscher Volkswirthe zum 6. Septbr. d. J.
und die deutschen Associationen.[1]

Die auf den 6. bis 9. September dieses Jahres in Gotha stattfindende Vorversammlung zu einem Congreß deutscher Volkswirthe hängt mit den mehrfach in diesen Blättern durch den Unterzeichneten vertretenen Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen so nahe zusammen, daß derselbe nicht umhin kann, die durch das ganze Vaterland verbreiteten Leser der Gartenlaube auf Zweck und Bedeutung dieses nationalen Unternehmens aufmerksam zu machen.

Dem von allen gebildeten Ländern Europa’s beschickten sogenannten internationalen Wohlthätigkeitscongreß zu Frankfurt a. M. im September vorigen Jahres mit seinen Verhandlungen in der socialen Frage war es vorbehalten, bei den deutschen Mitgliedern desselben das lebhafte Verlangen nach einer ähnlichen, aber vaterländischen Versammlung zu erwecken, um dessen Realisirung es sich gegenwärtig handelt. Wirklich thut die Erfassung dieser hochwichtigem Angelegenheit vom nationalen Standpunkte in Deutschland Noth, weil der Congrès international in Folge der specifischen Richtung seiner Stifter, der Belgier und Franzosen, die ganze große Aufgabe bei Weitem nicht umfassend genug, sondern ziemlich einseitig und selbst mit nationaler Befangenheit umfaßt und weit eher den Namen eines belgisch-französischen, als eines allgemeinen Congresses verdient. Dem tritt aber der deutsche Standpunkt um so berechtigter entgegen, als derselbe den vollen humanen Inhalt der Frage weit erschöpfender zur Darstellung bringt. Außer der Pflege und Behandlung der bereits Verarmten, Verwahrlosten und Verbrecher hat man nämlich auf jenen internationalen Congressen bisher im Wesentlichen nur diejenigen Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen beachtet, welche eine Leitung und Unterstützung von oben, sei es vom Staate, der Kirche oder den höhern Gesellschaftsschichten, voraussetzen, nicht aber die auf der Selbsthülfe, der eignen Kraft und Tüchtigkeit der Betheiligten beruhenden. Daß nun in Erweckung und Pflege des letzten Elements gerade der wichtigste Theil der Aufgabe liegt, und daß, wenn dasselbe den Hülfsleistungen ersterer Art nicht entgegenkommt, diese niemals zum Ziele gelangen, ist in dem im Eingange angezeigten Buche dargethan. Es ergeht dabei den Männern, welche in Frankreich und Belgien an der Spitze der Bewegung stehen und deren großes Verdienst und bedeutende Leistungen in den von ihnen erwählten Fächern Niemand bestreiten wird, wie den Aerzten in einer Epidemie. Ueber der Sorge für die von dem Uebel bereits, zum Theil rettungslos, Befallenen verlieren sie das Interesse für Conservirung der noch Gesunden, und in ihre Spitäler vergraben, haben sie für den Stand der Dinge außer denselben, für die, welche ihrer Cur noch nicht anheimgefallen sind, keinen Sinn. Am Ende freilich müssen ihnen, so lange sie für einen Patienten, den sie vielleicht geheilt entlassen, jedes Mal zehn neue zugeführt erhalten, die Dinge über den Kopf wachsen.

So ist es ohne Zweifel auch auf dem vorliegenden Gebiete mindestens eben so wichtig, die noch gesunden, jedoch bereits mehr oder weniger gefährdeten Elemente des Arbeiterstandes, insbesondere der kleinen selbstständigen Gewerbtreibenden zu erhalten und dadurch der um sich greifenden Massenverarmung vorzubeugen, als den bereits Verarmten, den vom sittlichen und wirthschaftlichen Ruin schon Ergriffenen beizuspringen. Daß der internationale Congreß über dem Letzteren das Erstere hintenanstellt, ist, wie gesagt, nur aus den nationalen Traditionen seiner Stifter und Leiter zu erklären, von denen sich dieselben nicht loszumachen vermögen. Die vorherrschende Neigung, zu centralisiren, Alles von oben zu gängeln, den Leuten zur Entfaltung eigner, selbstständiger Bewegung keinen Raum zu lassen und sie dafür lieber, um ihrer blinden Unterordnung gewiß zu sein, auf öffentliche Kosten zu subventioniren, wie dies in Frankreich zum förmlichen politischen und socialen System ausgebildet, in Belgien mindestens für die Arbeiterfrage an der Tagesordnung zu sein scheint: dies Alles spiegelt sich unverkennbar in der Haltung jenes Congresses wieder. Damit steht aber die Auffassung der Sache auf englischer und deutscher Seite in directem Gegensatze, welche für die Arbeiter gerade die freie Bewegung, die beliebige Einordnung in selbstgebildete Genossenschaften, die Autonomie und Selbstverwaltung derselben verlangt, ihnen sodann aber auch die Sorge für die eigene Existenz ganz allein aufbürdet. Indem man die Einzelnen ausschließlich auf die Selbsthülfe, die eigene Kraft und Regsamkeit rücksichtlich ihres Erwerbes verweist, wird jede fremde Unterstützung, ein Dasein durch Anderer Gnade und auf Anderer Kosten, als unwürdig und unausführbar von vornherein abgewiesen. So drängt sich der tiefe Zwiespalt des Romanischen und Germanischen, des Wälsch- und Deutschthums, welcher die gesammte Völkerentwickelung der Neuzeit in zwei feindliche Lager theilt, auch in der socialen Frage hervor, und hiermit wird uns, einem dem deutschen Wesen feindlichen Elemente gegenüber, wie es auf jenen internationalen Congressen überwiegt, die Festhaltung und bewußte Ausprägung des national deutschen Standpunktes in solcher hochwichtigen Sache zur gebieterischen Pflicht.

O, es ist etwas Gefährliches und Verführerisches um die Mildthätigkeit, das Almosen! Das Elend tritt uns in so kläglicher, oft so widerlicher Gestalt vor die Augen, daß Viele gar nicht rasch genug durch einen Griff in die Tasche sich damit abfinden zu können meinen. Ob das Gegentheil von dem, was der Geber beabsichtigt, erreicht wird, ob nicht die wahre Noth in den meisten Fällen solcher Hülfsbezeigung sich entzieht, wird im Drange

  1. Man vergleiche das Werkchen des Unterzeichneten, welches so eben die Presse verlassen hat: „Die arbeitenden Classen und das Associationswesen in Deutschland, als Programm zu einem Congreß.“ Leipzig, 1858. Bei G. Mayer. Preis – 15 Neugroschen. –
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_479.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)