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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

der pannonischen Legionen entwirft, und die Portraitzeichnung des vormaligen Schauspieldirectors Percennius.

„Ich würde sagen, ich sei lingua procax gewesen.“

Damit war meine philologische Gelehrsamkeit über allen Zweifel festgestellt, und mir des Kapteins Wohlwollen gesichert. Ich war aber kein Philolog von Profession und, gottlob, auch kein Theolog.

Es ist merkwürdig, wie lebhaft dergleichen an sich so unbedeutende Dinge dem Gedächtnisse sich einprägen. Heute, nach 32 Jahren, ist es mir, als sei das Alles erst gestern geschehen.

Die Ferien waren zu Ende, die Immatriculation hatte stattgefunden, die Collegia begannen. Jena konnte mit seinen beschränkten Geldmitteln nicht gegen reichbegabte Hochschulen, wie Berlin oder Göttingen ankommen, und auch heute noch erhalten die besten Professoren ein geringeres Gehalt, als in den Hansestädten ein erster oder zweiter Handlungsdiener, oder ein Musterzeichner in Elberfeld oder ein Maschinenbauer. Doch haben günstige Umstände es gefügt, daß die kleine Universität an der Saale stets sehr bedeutender wissenschaftlicher Kräfte sich erfreute. Zu meiner Zeit war freilich der große Glanz aus den Tagen, da Fichte, Paulus und die übrigen Heroen in frischer Jugendkraft dort gewirkt, längst vorüber; auch zählte die Hochschule nicht anderthalbtausend Studenten, wie in den ersten Jahren der Burschenschaft; aber wir waren immer noch mehr als sechstehalbhundert Studenten, und unter den Professoren befanden sich Gelehrte ersten Ranges in allen Facultäten, Jena zeichnete sich namentlich durch die Anregungen aus, welche der kleine Ort in reichlicher Fülle gab; man fühlte sich gepackt, erhielt eine gewisse Weihe, sah sich getragen und gehoben; das alles Guten fähige Gemüth der Jünglinge bekam schöne Eindrücke, und manche Professoren waren Männer, zu denen man mit wahrhafter Verehrung hinaufblickte. Die Collegia wurden fleißig besucht, und ich glaube nicht, daß ich einen von Luden's Vorträgen anders als gezwungen versäumt habe.

Luden war als Docent von ganz ungemeiner Bedeutung. Der feine Mann von Welt mit der saubern Kleidung, dem freundlichen Gesicht und dem sehr gemessenen und würdigen Wesen, gewann uns Alle. In früheren Zeiten, bevor man ihn als „Demagogen“ verdächtigt hatte, stand seine Persönlichkeit den Studenten näher, und er empfing sie gern in seinem Hause. Es war geradezu lächerlich, einen so besonnenen, umsichtigen und weltklugen Mann als einen Jugendverderber zu bezeichnen. Gewiß hat nie ein Jüngling aus Luden's Munde etwas Anderes vernommen, als Gutes und Edles, und wohl dem, welcher dem Rathe eines solchen Lehrers gefolgt ist. Luden war ein gebildeter Kopf, und begreiflicherweise freisinnig, wie denn ein Historiker mit fünf gefunden Sinnen und rechtschaffenem Charakter nicht anders sein kann. Karl August von Weimar und Goethe wußten ihn zu schätzen, und würdigten sehr wohl, was er für Jena war. Seine große Bedeutung lag nicht sowohl in dem Wissen und der Gelehrsamkeit, sondern im Vortrage, in der anregenden und gewinnenden Weise desselben, in dem edlen Pathos, mit welchem er geschwängert war. Manche haben vielleicht die wissenschaftliche Anlage seiner Vortrage anders gewünscht, aber Jeder wird sagen, daß Luden's Collegia eine erhebende Wirkung auf ihn gemacht haben, und von bleibendem Eindrucke gewesen sind.

Luden war im besten Sinne patriotisch, und er verstand es, uns zu erwärmen und zu begeistern. Ich vergesse den Winterabend nicht, an welchem er das Leben des Arminius schilderte. Er that es in einfacher ungeschmückter Weise, mit Kraft und Klarheit. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten wir seinen Worten, wir waren ergriffen und der Redner packte uns immer mächtiger. Die Federn ruheten, Niemand mochte oder konnte ferner nachschreiben; der Vortrag war nicht lediglich auf den Kopf berechnet, sondern ging an's Herz. Luden führte die Stelle des Tacitus an, mit welcher der Römer vom germanischen Heerführer scheidet, nahm dann sein eigenes Geschichtswerk zur Hand und las, was er selber über den Sieger im teutoburger Walde geschrieben. Wir hingen an seinen Lippen, und als er die Worte gesprochen: „Dann aber wird Deutschlands letzte Stunde schlagen, wenn unter seinem Volke Niemand mehr gefunden wird, der wünscht, wie Armin zu leben und zu sterben,“ da war Todtenstille im großen, auf allen Bänken gefüllten Hörsaal; wir athmeten kaum. Es hatte noch lange nicht drei Viertel auf sechs geschlagen, aber es war, als ob ein elektrischer Strom durch uns Alle gegangen sei, wir bliesen unwillkürlich die Lichter aus; wir hätten nichts Anderes mehr hören können. Luden trat von seiner Lehrbühne herab, und wir gingen schweigend aus dem Auditorium.

Solche geweihte Stunden vergißt man nie, ihr Ton klingt und hallt durch das ganze Leben nach, und das Gemüth bleibt dankbar für den Mann, welcher in des Jünglings Herz so edle Antriebe flößt.

Der Philosoph Fries wohnte in Luden's Hause, und hatte einen Kreis um sich versammelt, der ihm schwärmerisch zugethan war. Mit vollem Rechte konnte er ein gütiger und edler Mensch genannt werden, durch dessen ganzes Wesen ein Strom des schönsten Wohlwollens, der lautersten Humanität floß. Er rückte seinen Zuhörern die höchsten Probleme nahe, sein heller Verstand wagte sich besonnen, aber energisch an Alles; er wollte Freiheit und Klarheit im Denken, und meinte es von Grund auf redlich mit sich, mit seinen Schülern und dem Vaterlande. Seine Schüler blickten zu ihm hinauf, wie zu einem Weisen, sie verglichen ihn gern mit Sokrates, auch liebte er es manchmal, gleich dem alten Athener, die heuristische Methode bei ihnen anzuwenden, und die Wahrheit durch Fragen hervorzulocken oder auffinden zu lassen. Fries war mild, wohlwollend und kindlich; aber auch ihn hatte die bleierne Faust der Demagogenriecher gepackt und für verdächtig, für einen Jugendverderber erklärt. Natürlich, er war ja Patriot im edelsten Sinne des Wortes.

Noch ein anderer leuchtender Stern am Firmamente der Wissenschaft sollte wo möglich ausgelöscht werden, aber wenn er auch keine Vorträge halten durfte, so strahlte er doch fort in unvermindertem Glänze. Ich meine Oken, dem man heute Denkmäler setzt. Er lebte still und zurückgezogen, und ich habe ihn nur in einsamen Seitengründen des Saalthales gesehen, fernab von den Straßen, denn er war gern allein und suchte Käfer oder Gewürm, und achtete auf den Flug der Libellen an den grünen Stromwiesen. Concentrirte Leidenschaft, starkes Wollen und unbeugsamer Nachdruck sprachen damals aus den Zügen Oken's, dessen Gesicht mir einen etwas finstern Ausdruck zu haben schien. Er mochte wohl gegenüber den Verfolgern, welche ihn so viel geärgert und ihm so schwere Tage bereitet hatten, nicht wenig verbittert sein. Herr von Kamptz konnte dem Naturforscher nicht vergessen und vergeben, daß dieser einst gesagt hatte, die Ohren des bekannten grauen Thieres, welche ein Zerrbildner dem Portrait des Oberdemagogenverfolgers beigegefügt hatte, seien — Arabesken, Schmuckverzierungen!

Luden hatte in früheren Zeiten ein Collegium über Politik gelesen; aber schon seit Jahren mußte dasselbe ausfallen. Karl August hatte ihm diese Vorträge nicht gerade verbieten wollen, er soll aber den Wunsch ausgesprochen haben, daß sie bis auf bessere Zeiten ausgesetzt blieben. Dagegen waren die staatsrechtlichen Vorträge des Geheimenrathes Schmidt sehr besucht, und dieser gelehrte und einsichtsvolle Mann verdiente Beifall und Dank der Zuhörer durch seine Gründlichkeit und Klarheit und seine fesselnde Darstellung. Auch der alte Criminalist Martin stand damals auf seiner Höhe. Er war ein seltsamer, ganz eigenthümlicher Mensch, der es zu sehr hohen Jahren gebracht hat, grundgescheidt, scharfsinnig in hohem Grade, oft spitzfindig, sehr dialektisch und äußerst redegewandt. Bei ihm lernten die Studenten viel, uns er wußte sie ungemein zu fesseln. Auf dem Burgkeller verging kaum ein Abend, an welchem nicht über irgend etwas hin und her geredet wurde, wozu der alte Martin am Morgen im Colleg die Anregung gegeben hatte. Ich erinnere mich des Tages noch sehr genau, an welchem ungemein lebhaft über die Zweckmäßigkeit der Geschwornengerichte debattirt wurde. Man zog eine Menge von Fällen und Beweisen für und gegen herbei, die Erörterung erregte allgemeine Theilnahme, und dauerte bis gegen elf Uhr Nachts. Auch Theologen mischten sich ein, aber zu einem Ergebniß kam man lange nicht. Da bat einer um's Wort und sprach etwa:

„Ihr seid Juristen, und klaubt an euren Rechtsprincipien und dergleichen herum. Nun will ich einmal den gesunden Menschenverstand zu Hülfe rufen. Sagt mir, wie kommt es, daß alle Völker, welche die Schwurgerichte haben, mit denselben zufrieden sind, und sie trotz aller Mängel, die der alte Martin an ihnen findet und nachweist, nicht fahren lassen wollen? Sagt mir ferner, weshalb andere Völker sie sich wünschen und ihr jetziges Proceßverfahren los sein möchten? Weshalb sind jene zufrieden und diese nicht? Und sagt mir endlich noch: sind die Schwurgerichte nicht echt deutsch und ist der Inquisitionsproceß mit verschlossenen Gerichtssälen nicht in den traurigsten Zeiten unserer Geschichte

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