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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

diese kleine Stadt eine Centralsonne war, von welcher aus belebende und anregende Geistesstrahlen das Leben des gesammten Vaterlandes durchwärmten, dauert noch fort und wird nach Gebühr in Ehren gehalten.

Seit ich Jena zum ersten Male betreten, sind nicht weniger als — vierundsechzig Semesterwellen über die thüringische Hochschule hinweggerauscht und über mein Haupt, auf welchem vereinzelte graue Haare sichtbar werden! Es liegt etwas Wehmüthiges darin, wenn man auf eine so lange Zeit zurückblickt, welche Jedem manche harte Prüfung auferlegt hat. Aber man wird rasch wieder froh, wenn man sich selber sagen kann, daß man sich tapfer und rechtschaffen durch das Leben geschlagen und sich selber freie Bahn gebrochen hat, und wenn man sich frisch und ungebrochen fühlt. Ich wüßte nicht, daß meine Empfindungen weniger warm und lebhaft wären, wie damals, als mir die Kunitzburg und der weltberühmte Fuchsthurm zum ersten Male entgegenwinkten.

Damals war ich eben siebzehn Jahre alt. Sechs Semester hatte ich in der Prima meines vaterstädtischen Gymnasiums zugebracht und war vollreif zur Universität, die ich schon früher hätte beziehen können; allein ich sollte so jung nicht zur Universität, obwohl ich mir einbildete, daß ein eingehender Schnurrbart, der schon für etwas mehr als weichen Flaum gelten wollte, mich zum Abgange berechtigte. Ich konnte die Zeit der Maturitäts-Prüfung kaum erwarten, ich schrieb die lateinische Rede, welche ich vor Ostern beim Abgangsactus zu sprechen hatte, mit einer Art von Inbrunst, denn sobald sie gehalten war, lagen ja nur noch wenige Wochen zwischen dem Pennal und dem Studio, und mit den ersten Frühlingsknospen begann für mich die goldene Zeit.

Damals waren in der Studentenwelt sehr aufgeregte Tage. Die Burschenschaft stand im Geruche der Demagogie, sie hatte an Herrn von Kampz, der 1848 selber eine schwarz-roth-goldne Cocarde und Schleife trug, an Herrn Schmalz, an Herrn von Ahrens in Gießen, überhaupt in Cabineten, auf Thronen und in den Curatorien der Universitäten bittere Feinde. Sie war geächtet und wurde verfolgt. Die Mainzer Untersuchungscommission hatte aufgeräumt, die Verbindungen gesprengt, viele Hunderte von Mitgliedern relegirt. So war es namentlich in Göttingen und Halle geschehen, von wo dann die Fortgeschickten zurückkamen, um in der Heimath ein halb müßiges Leben zu führen. Sie waren zugleich verbittert und enthusiastisch, denn die Sache, für welche sie leiden mußten, wurde ihnen nur noch theurer. Wir Gymnasiasten kamen mit ihnen in mannichfache Berührung und wurden halb und halb in die Mysterien des Studentenlebens und des Verbindungswesens eingeweiht. Bald waren uns alle Burschen bekannt, die eine Rolle gespielt hatten; diese Haupthähne wurden uns lieb und wir sehnten uns, sie von Angesicht zu Angesicht vor uns zu haben. Auch von den Vorträgen und Eigenthümlichkeiten der Professoren wurde uns viel erzählt, überhaupt unsere junge Phantasie lebhaft beschäftigt.

Allmählich ließ die Verfolgung von Seiten der Behörden etwas nach. Zwar lag noch immer auf der Burschenschaft ein schwerer Druck und die eigentliche Verbindung war und blieb gesprengt. Allein es bildeten sich wieder Ansätze, die dann freilich nicht öffentlich hervortraten, an welche sich aber Hunderte anschlossen und die sogenannte weitere Verbindung bildeten. Man trug wieder die alten lieben Farben des deutschen Reiches und sang dabei Spottlieder, deren Text zu jeder Melodie paßte, z. B.:

„Auch Barette sind verboten,
Und zumal die schwarz und rothen,
Denn den Farben schwarz-roth-gold
Ist man in Berlin nicht hold.
     Auf die neue Mode.“

Von meinen speciellen Landsleuten studirten zu jener Zeit viele in Halle, wo die Meisten eifrige Mitglieder der Burschenschaft waren. Zu Ostern und Michaelis kamen sie in die Ferien, in welche sie gewöhnlich Commilitonen aus ferneren Gegenden, namentlich aus Schlesien, Pommern und Westphalen mitbrachten. Es waren kräftige, sehr gebildete Menschen unter ihnen, die uns imponirten. Sie trugen altdeutsche Röcke, langes Haar, gestickte Hemdkragen und steckten Federn auf die Barette, wenn mit uns Gymnasiasten ein Feriencommers veranstaltet wurde. Ein paar blanke Glockenschläger fehlten nicht, der Präses hielt eine Rede, in welcher er begeistert die vaterländischen Bestrebungen der Burschenschaft hervorhob, vom alten Kaiser Rothbart im Kyffhäuser sprach und entwickelte, welchen Verfolgungen die gute Sache ausgesetzt sei.

„Habt Ihr Muth? Fürchtet Ihr Euch vor Verfolgungen? Dann werdet keine Burschenschafter, dann tragt nicht diese deutschen Farben, sondern geht unter die Landsmannschafter, die Schooßkinder des Curators, die nur an Pauken und Kneipen denken und sich um’s Vaterland nicht bekümmern.“

Der Präses setzte sich, klopfte mit dem Schläger auf die Tafel und begann das „Brause, Du Freiheitsdrang, brause wie Wogendrang aus Felsenbrust.“

Ein solcher Präses gab mir Jahn’s „Volksthum.“ Er hatte den „Alten“ mehrmals in dessen Verbannung in Freiburg an der Unstrut besucht und trug mir Grüße auf, da ich, wie sich von selbst verstehe, ihn doch einmal besuchen werde. Das Buch machte auf mich einen tiefen Eindruck und noch heute weiß ich viele Stellen desselben auswendig.

Die Zeit, in welcher die Collegia begannen, rückte heran. Ich hatte mich entschlossen, zunächst einige Semester in Jena zu studiren und dort in die Burschenschaft zu treten. Mein Vater wollte den einzigen noch blutjungen Sohn nicht allein ziehen lassen, sondern ihn an Ort und Stelle bringen und sehen, wie er es dort haben werde und wo er bleibe. Der Onkel gab seine Pferde, Wagen und Kutscher; die mehr als dreißig Meilen sollten in drei Tagen zurückgelegt werden. Eine so lange Fahrt galt damals für eine erklecklich weite Reise und kostete der Mutter viele Thränen. An einem Montage oder Freitage sollte sie um keinen Preis angetreten werden und so wurde ein Sonnabend gewählt. Einige Schulfreunde fuhren mit bis zur nächsten Stadt; sie wollten am folgenden Tage nach Göttingen abgehen. Nachdem sie uns verlassen, blickte ich munter vorwärts und hörte, ich will es aufrichtig gestehen, nicht viel auf die guten Regeln und Mahnungen des Vaters, weil ich dieselben schon so oft vernommen und seit langer Zeit mir eingeprägt hatte. Ob ich sie alle befolgt habe? Alle nicht, insbesondere habe ich es im Punkte der Sparsamkeit nicht so genau genommen, wie er wollte, viel mehr Kännchen und Gläser geleert, als er für zuträglich hielt, ich bin auch nicht ohne Paukereien davon gekommen und habe etliche Schulden gemacht. Der Student pflegt seinen eigenen Weg zu gehen; habe ich weiland Jenenser Burschenschafter doch das Herzeleid erleben müssen, daß mein Sohn ein Corpsbursche geworden ist, obwohl ich ihm für einen solchen Fall Entziehung aller Subsidien in Aussicht gestellt hatte. Ich muß mich damit trösten, daß einer wahren Säule der Jenaischen Burschenschaft, einem geistlichen Herrn in hohen Würden, mir damals sehr befreundet und von uns allen der „kleine Jahn“ benannt, dasselbe Schicksal begegnet ist. Unsere Herren Söhne tragen 1858 „der bunten Farben herbstliches Spiel“, während von den Vätern 1826 meine Person die Burschenfarben trug, der „kleine Jahn“ aber, der „Abhärtung wegen“, jede Kopfbedeckung verschmähete und jede Bekleidung, außer Leinwandhosen, altdeutschem Rock und kurzen Stiefeln, für durchaus überflüssig hielt. Kein Student kann behaupten, daß er ihn jemals, gleichviel ob im Winter oder Sommer, bei Schnee oder Sonnenbrand, in einer Mütze gesehen habe. Der alte Jahn hatte an dem kleinen Jahn seine wahre Freude; noch jetzt legt dieser Letztere in einem Tage mit Bequemlichkeit sechzehn Wegstunden zurück und liest eifrig die — Kreuzzeitung!

Ich mochte die Landsmannschafter nicht leiden und war von vornherein gegen sie eingenommen, weil nach unsern Ansichten ihnen der Patriotismus fehlte und weil sie von den Curatorien begünstigt wurden, während meine Freunde nur auf Ungunst zu rechnen hatten. In Alsleben an der Saale fuhr ein Wagen an uns vorüber, in welchem Hallesche Märker saßen. Den „schönen Fritz“, ihren Senior, kannte ich von Ansehen; seine Heimath war nur wenige Stunden von der meinigen. Es ließ sich nicht abstreiten, daß Premper aus Oelber am weißen Wege ein „forscher Kerl“ war; er sah in seiner orangegelben Mütze stattlich aus und unter ihm zählte die Marchia mehr als sechzig Köpfe. Jetzt soll der schöne Fritz im Staate Wisconsin sein, aber nicht als Seelenhirt, sondern als wohlhabender Landwirth. Während ich meinem Vater von den Halleschen Landsmanschaften allerlei erzählte, fuhr meines Onkels Kutscher, der ein Herrnhuter war, uns drei Mal um die Kirche herum, aus welcher Gesang und Orgelton zu uns drangen. Der Papa wurde gerührt und hielt das für eine gute Vorbedeutung.

An jenem Sonntage war das Wetter warm und klar und wir saßen so recht gemüthlich in der Halbchaise. Da sprengten mittwegs zwischen Halle und Könnern Studenten in Lederhosen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_475.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)