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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

meine Mutter meinen Bitten nach und kam hierher, als Eberhard uns mitgetheilt, daß Sie hier wären.“

Der Oberst, mit sarkastischem Lächeln die Redefertigkeit des Mädchens bewundernd, unterbrach sie und sagte, auf die Bank neben ihnen deutend:

„Setzen wir uns, mein Fräulein, damit es nicht scheine, als gäbe ich in fürstlicher Laune eine Audienz. Das würde Ihnen nicht angenehm sein, meine ich.“

„Gewiß nicht, denn es zeigte eine Ueberhebung von Ihrer Seite, die ich Ihrer Klugheit nicht zutraue.“ warf Valeska kurz hin, ohne den Blitz zu beachten, der aus seinen Augen über sie hinfuhr. „Ich rufe Ihren Gerechtigkeitssinn an, Herr Oberst, und stelle mich Ihnen zu einer Prüfung. Vier Wochen werden für einen Mann von Ihrer Welterfahrung und von Ihrer Menschenkenntniß hinreichen, um zu beurtheilen, ob ich werth bin, Ihres Sohnes Gattin zu werden. Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr. Ich habe noch viel zu sagen und meine Zeit gehört meiner Mutter, so lange sie nicht, wie jetzt, unter den Händen der Badefrauen ist. Ich rufe Ihre Gerechtigkeit auf bei der Feststellung eines Verhältnisses, das mich beglücken würde. Ich verlange Ihre Billigung – nicht Ihre Liebe, sondern Ihre Achtung. Ihre Liebe kann ich entbehren, denn ich habe sie nie besessen, aber Lothar kann sie nicht entbehren und er soll sie nicht entbehren meinetwegen, damit er nicht ein getheiltes Leben mir verdanke, die ihm ein ganz ungetrübtes Glück verschaffen möchte. Prüfen Sie mich mit Gerechtigkeit, nicht unter den Eingebungen eines Eigensinnes, wie viele Väter bei der Wahl ihrer Kinder zeigen. Prüfen Sie mich, ich bin bereit, mich Ihrem Urtheile nachher zu unterwerfen, und wenn es auch in den Augen der Welt ein Anathema für mich werden sollte. Aber rechnen Sie nicht darauf, mein Herr, daß ich Sie mit Empfindungen, mit Liebe und Verehrungszeichen zu meinen Gunsten stimmen werde.“

„Ich glaube, daß Sie mir keine Gelegenheit zu diesem Glauben geben werden,“ fiel der Oberst lächelnd ein.

„Schön – Sie verstehen mich, wie ich merke! In einer Woche kommt Lothar von Amerika zurück – er wird es Ihnen gemeldet haben –“

„Kann sein,“ entgegnete der Oberst trocken. „Ich habe seine letzten Briefe noch nicht gelesen.“

Valeska heftete ihre sprechenden, braunen Augen fest auf ihn, als wolle sie in seiner Seele lesen, und erwiderte mit ruhiger Würde:

„Dadurch haben Sie sich selbst mehr Schaden gethan, wie jedem Andern. Doch, ich kritisire Ihre Handlungsweise nicht. – Sie wissen, daß Lothar mit mir schon seit zwei Jahren, ohne Erklärung, in einem Bündnisse steht, welches am Ziele ein unaussprechliches Glück verheißt. Wir hatten aber nie große Hoffnung, weil mein Vater auch zu den Vätern gehört, die unter den Eingebungen ihres Eigenwillens handeln. Das Schicksal erbarmte sich unser. Der Bruder meines Vaters, weniger glücklich in seinen Bestrebungen vorwärts zu kommen, als mein Vater, wanderte nach Amerika aus und man hörte lange Zeit nichts wieder von ihm, als daß es ihm gut gehe und er bei Pittsburg wohne. Voriges Jahr erhält mein Vater die Meldung seines Todes mit der Nachricht, daß sein bedeutender Nachlaß nach seinem ausdrücklichen Willen meinem Vater zufallen solle. Die Sache, so leicht sie sich ansah, entwickelte nach und nach Schwierigkeiten, man schrieb uns geradezu, wenn von Europa kein Bevollmächtigter gesendet werde, so würde die ganze Erbschaft, die aus Grundbesitz bestand, in Rauch aufgehen. Väter sind fast immer egoistisch. Der meinige benutzte Lothar’s Liebe zu mir, um ihn für den Vorschlag zu gewinnen, sein Bevollmächtigter zu werden. Das Uebrige wissen Sie besser, als ich. Sie verweigerten Ihre Erlaubniß zu der Reise – Lothar bestand einen harten Kampf –“

„Er ging aber,“ unterbrach sie der Oberst. „Natürlich, den Bitten einer Geliebten muß der Vater weichen –“

„Wenn Sie mich erst kennen, Herr Oberst, so werden Sie sich überzeugen, daß ich lieber eine ewige Trennung von Lothar ertrage, als eine innere Zerrissenheit seines Gemüthes. Lothar kommt zurück, beladen mit Geld. Der Dank meines Vaters besteht in der Erlaubniß zu unserer Heirath, aber ich mache diese von Ihnen abhängig und schwöre Ihnen zu, daß ich Lothar nicht wiedersehen will, wenn Sie mich als Tochter verwerfen. Das Schicksal Eberhard’s soll nicht das seine sein, wir haben uns gewöhnt an dies eine Jahr der Entbehrung und werden die wenigen Jahre eines Menschenlebens viel eher unter dem stützenden Stolze eines unbefleckten Bewußtseins tragen, als unter dem Harme, den Vaterzorn in die schönsten und reinsten Lebensfreuden mischt.“

Sie stand auf, vielleicht, umt den feuchten Glanz ihrer Augen zu verbergen. Der Oberst sah sie aber gar nicht an, sondern schaute nach den Bergen, als müsse er sich dort Rathes erholen. In solcher Situation hatte er sich noch nicht befunden. Mit solcher kalten Ruhe war ihm noch nie jemand entgegen getreten. Durch solche Geistesklarheit waren ihm noch nie die Hände gebunden und Wege vorgeschrieben worden, die er gehen sollte. Er fühlte, daß hier sein Spott ohne Eindruck blieb und auf scharfe Erwiderung rechnen konnte. Darum sah er gleichgültig in die Ferne und ließ die lange Rede unbeantwortet.

Valeska bot ihm die Hand.

„Wollen Sie mir versprechen,“ begann sie wieder und ihre Stimme klang sehr milde, „mich nicht zu vermeiden, wenn ich der Pflege meiner Mutter einige Minuten abmüßigen kann, um Sie aufzusuchen? Wollen Sie mir versprechen, mich Ihrer Prüfung werth zu halten? Wollen Sie darauf eingehen, „ohne Vorurtheile“ das Schicksal Ihres Sohnes zu bestimmen?“

Der Oberst sah sie spöttisch lächelnd an und erwiderte:

„Und wenn ich jetzt gleich, ohne jede Widerrede, Sie für würdig erklärte, Lothar’s Gattin zu heißen?“

„Dann würde ich Lothar dem Schicksale Eberhard’s verfallen sehen, der auch ohne Widerrede „thun sollte, was er nicht lassen könne“.“

„Sie würden ihn aber dennoch heirathen?“

„Niemals ohne Ihre freudige Zustimmung, ohne den Segen eines ganz zufriedenen Vaterherzens!“ rief Valeska mit fester Entschiedenheit.

Der Oberst nahm ihre Hand und versprach ihr, was sie verlangt hatte. Sie sah ihm freudig bewegt in’s kalte Gesicht, und preßte flüchtig seine Rechte mit heißer Innigkeit, dann neigte sie das stolze Haupt, und ging schnell zum Hause hinauf.

Der Oberst schaute ihr verstohlen nach.

„Ob sie Wort hielte?“ fragte er sich, und ein dämonisch-häßliches Lächeln zuckte über seine Lippen. „Ich fühle ein starkes Gelüst in mir, dies kecke, stolze, herausfordernde Fräulein von Sundwihl in den Staub zu treten.“




V.

Am Nachmittage, als die Präsidentin von Sundwihl Mittagsruhe hielt, machte sich Fräulein Valeska bereit, die Tante ihres Geliebten aufzusuchen. Sie hatte Briefe von Therese Hußlar mitgebracht, und schon hinaufgeschickt, um sich diese Bekanntschaft zu erleichtern.

Die Medicinalräthin empfing sie mit warmen Freudenbezeigungen. Sie theilte überhaupt die Grundsätze und Lebensansichten ihres Schwagers nicht, war aber in Bezug auf die Wahl ihrer Neffen eine ganz entschiedene Gegnerin desselben. Frau Therese hatte ihr in ihrem Briefe angedeutet, daß Fräulein Valeska, vor deren Klugheit sie einen ganz besondern Respect zeigte, es übernehmen wolle, den Sinn des Obersten allen Verhältnissen, aber insbesondere dem ihrigen, geneigt zu machen, aber sie war nicht näher auf die Art und Weise eingegangen, die von derselben angewendet werden würde.

Mit Begierde forschte die alte Dame nach den Plänen des Fräuleins.

Diese legte sie ihrer Beurtheilung vor und gestand, daß sie schon heute den Anfang gemacht habe. Nachdenklich hörte die Medicinalräthin zu. Sie schüttelte ihr Haupt mit den bedeutungsvollen Zeichen der Weisheit, die ihr stets den Spott des Obersten zuzogen.

„Sie calculiren falsch, mein Kind,“ erklärte sie betrübt. „So kommen Sie niemals zum Ziele! Ich kenne meinen Schwager! Und wenn er Ihnen tausendmal die Hand zum Pfande gegeben hat – er findet Mittel und Wege, seinen Kopf aufzusetzen.“

Valeska lächelte sieghaft.

„Vertrauen Sie mir,“ sprach sie zuversichtlich. „der Oberst wird und kann seine Hartnäckigkeit nicht bis zu dem Punkte treiben, ein Mädchen unglücklich zu machen, das ihm nie etwas zu Leide gethan hat, und hat er sich erst mir gegenüber für besiegt erklärt, so wird es ein Leichtes sein, die Verhältnisse mit Eberhard’s Familie,

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