Seite:Die Gartenlaube (1858) 462.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Teller, Messer und Gabeln ab, legen frische auf, und erscheinen abermals in Procession, genau die oben beschriebene Ceremonie wiederholend. Diesmal sind es Mehlspeisen, Puddings, Confituren aller Art, welche sie bringen. Ist diesen gehörig zugesprochen worden, so räumen sie wieder ab, und bringen das Dessert, aus Käsen und Früchten, Mandeln, Nüssen etc. bestehend. Alsdann erhebt sich der Capitain des Schiffes, der obenan sitzt, nimmt sein Glas und bringt die Gesundheit der Königin aus. — „Gentlemen, the queen!“ ruft er, „the queen!“ antworten die Officiere im Chor, erheben sich und leeren ihre Gläser auf das Wohl Ihrer Majestät.

Nunmehr wird Alles, selbst das Tischtuch, entfernt, neue Gläser aufgesetzt, und die Flasche geht nach altbritischer Sitte Reihe um; in der Regel ist es Portwein oder Claret, der nun getrunken wird. — Jetzt kann Jeder nach Gefallen die Tafel verlassen, um auf das Deck zu gehen und zu rauchen, oder der Regimentsmusik zuzuhören, welche dort bis sechs Uhr spielen muß. Da sitzen die Officiere auf dem Bollwerk oder am Steuer, Andere wandeln auf und ab, noch Andere blicken nach fernen Schiffen, und theilen sich ihre Vermuthungen über dieselben mit, kurz, unterhalten sich, so gut sie können. Um sechs Uhr ruft die Glocke zum Thee oder Kaffee, der mit Zwieback und Weißbrod nebst Zucker, Milch und Butter im Salon aufgetragen wird, und um neun Uhr endlich das letzte Mal zum „Grog“, diesem beliebten Seemannsgetränk. In Krystallflaschen stehen Rum, Arac, Whisky, Genever und Brandy nebst heißem Wasser und Zucker auf der Tafel, jeder der Herren mischt sich seinen Grog selbst, und trinkt so viel er mag, bis zehn Uhr — da wird der Tisch abgeräumt, die Lichter werden ausgelöscht, und wer nicht im Dienste ist, sucht sein Lager. Für diese gewiß splendide Verpflegung zahlt der Officier täglich 3 Shilling 6 Pence, ungefähr 1 Thlr. 5 Sgr., die Königin legt 11 Shillinge (3 Thlr. 20 Sgr.) für Jeden zu; für beinahe 5 Thlr. täglich kann man selbst auf See etwas Vergnügliches verlangen.

Etwas anders gestaltet sich die Sache bei schlechtem Wetter. Schon wenn man sich früh erhebt, muß man sich ängstlich festhalten, um nicht zu fallen; es ist ein beinahe schwieriges Manöver, sich in der engen Cabine anzukleiden, ohne sich braun und blau zu schlagen; man balancirt in den Salon, hält sich an die Stangen, welche zu dem Zwecke an den Wänden befestigt sind, und erklettert mühsam das Quarterdeck. Die Schildwachen an den Treppen halten sich mit einer Hand am Takelwerk fest, und vergessen es, die Ehrenerweisung zu machen, sie sehen blaß aus und müssen öfters abgelöst werden, denn auch sie erliegen jenem Ungeheuer, „Seekrankheit“ genannt. Kopfschmerzen und Schwindel erfassen uns, doch wir wollen uns dies nicht anmerken lasten, versuchen hin und her zu gehen, lehnen uns über das Bollwerk, und befinden uns unsäglich elend. Die Wellen schlagen donnernd gegen die Wände des Schiffes, ja über dieselben, das Schiff wankt und schwankt, sinkt und hebt sich, und das Alles müssen wir ertragen, wir, denen es wahrhaftig recht übel ist. Es schlägt neun Uhr, die Frühstücksglocke läutet, wir gehen vorsichtig hinab in den Salon, – über das blendend weiße Tischtuch liegen Rahmen von braunem Holze, die festgeschraubt das Herabfallen von Tellern, Tassen und Schüsseln wehren sollen. Viele Herren erscheinen gar nicht zum Frühstück, andere setzen sich hin um beim Anblick von fetten Speisen sofort den Tisch verlassen zu müssen, nur Wenige vermögen es, mit Appetit zu essen. Je länger, desto schlimmer wird es; überall nur bleiche Gesichter, man könnte das Schiff als Heimath des „Katzenjammers“ bezeichnen. Nur die Seegewohnten, die „Meerwölfe“, der Schiffscapitain, seine Officiere und Matrosen sind vom allgemeinen. Leiden nicht ergriffen, und blicken uns ironisch lächelnd an, uns, die wir doch alle Kräfte aufbieten, nicht krank zu erscheinen

Da ruft uns der Dienst hinab in die Räume der Compagnie. Die Hängematten sind noch nicht aufgerollt, der Boden, die Tische sind noch nicht gereinigt, und mancher Soldat bietet einen so erbärmlichen Anblick, daß dies die festesten Nerven erschüttert, – dieser Anblick, verbunden mit der schwülen, dunstigen Luft, welche wir athmen, überwindet uns – dazu die Hitze – – halb krank stiegen wir hinab, blaß und ganz krank kehren wir zurück, suchen unser Lager, schließen die Augen, und danken es dem Steward nicht eben mit freundlichen Worten, wenn er kommt, uns zu erinnern, daß es Tischzeit sei, oder zu fragen, ob wir etwas zu genießen wünschen. Wohl denen, deren Nerven dem Uebel zu widerstehen vermögen, aber auch sie leiden unter der allgemeinen Calamität, denn sie müssen den Dienst für ihre erkrankten Cameraden übernehmen. – Vorzüglich ist es die Bucht von Biscaya mit ihrer ewigen Unruhe und ihren Stürmen, wo die Krankheit ihren Anfang nimmt, und Manchen nicht eher verläßt, bis er an das Land kommt.

Doch mit dem Wetter bessert sich auch im Allgemeinen der Gesundheitszustand, die Gesichter nehmen eine blühendere Farbe an, der Appetit findet sich wieder, und manchem Soldaten erscheint sein Revier zu klein; – bald erfüllen ihre fröhlichen Lieder die Luft, Scherze und Neckereien aller Art treiben sie unter sich, und die Officiere haben zu wehren, damit sie in den Schranken der Heiterkeit bleiben, und nicht Dinge unternehmen, die gefahrbringend sein könnten. Erlaubt es das Wetter irgend, so schlafen sie auf dem Verdeck, anstatt in ihre Räume herabzugehen und sich in die Hängematten zu legen. Das Scheuern und Waschen beginnt auf’s Neue, die weiße Farbe der Dielen würde manche Hausfrau kaum so schön herstellen können. Und wenn es heißt: „Land!“ wenn man den Hafen erreicht, dann sieht das Schiff, wenn es sonst kein Unglück gehabt hat, netter und reiner aus, als am Tage, wo sich die Truppen einschifften




Ein thüringischer Wunderdoctor des vorigen Jahrhunderts.

Es ist eine ausgemachte Thatsache, daß Aber- und Wunderglaube in den Köpfen der Gebirgsbewohner fester sitzen, als in denen der Leute im flachen Lande. Halten sich doch dicke Nebel auch am längsten in den tiefen Waldgründen der Gebirge auf. Sonst schien es, als sollten Wahrsager, Zauberer, Wunderdoctoren, noch mehr aber die Individuen weiblichen Geschlechts, welche in derlei gesuchten Artikeln machten, in den schönen deutschen Bergländern gar nicht aussterben; die Popularisirung der Wissenschaften und das dadurch bewirkte Eindringen von richtigen Kenntnissen und vernünftigem Denken in die untersten Schichten der Bevölkerung scheinen doch endlich dem uralten, wunderlichen Götzendienst den Garaus machen zu wollen. Die meisten Dictate des Aberglaubens sind inzwischen Ueberreste eines altdeutschen Heidenthums, das aus einer kindlichen, d. h. poetisch schönen, aber befangenen Anschauung der Natur hervorgegangen war. Im südlichen Thüringen und an den Rändern des Thüringerwaldes lassen sich die Spuren des polytheistischen Cultus noch ganz genau nachweisen, deshalb war aber auch die geistige Lebensluft der Bewohner dieses schönen Gebirges Aberglaube, und deshalb ist auch fast kein anderes deutsches Gebirge so überschwänglich reich an poetischen Volkssagen; sie sind ja Kinder des Wunderglaubens.

Unter den mancherlei Volkstypen, welche der dem menschlichen Bedürfniß zu Hülfe kommende Aberglaube schuf, nehmen die Wunderdoctoren oder Naturärzte beiderlei Geschlechts die erste Stelle ein; denn das ist merkwürdig, daß auf diesem nebelreichen Feld der menschlichen Wirksamkeit immer auch Frauen sich hervorthun und sich gar nicht selten in größern Ruf zu bringen wissen, als die Männer. Auch das muß ein geheimnißvoller Zug unseres Volksthums sein, da uns Tacitus schon Frauen als berühmte Wahrsagerinnen, Priesterinnen und Arztinnen vorführt.

Unsere etwas genaueren Kenntnisse der Verhältnisse des Thüringerwaldes reichten kaum über das 17. Jahrhundert zurück. Da werden aber auch schon Wunderdoctoren erwähnt und im vorigen Jahrhundert gibt es dergleichen in allen Gegenden des Gebirges. Ihr Ruf hat sich zumeist im Munde des Volkes erhalten. Einer der berühmtesten war Johannes Hornschuh, „Vörwerts-Häns“ genannt, in Thal bei Eisenach. Berühmter noch war sein Vorgänger in dieser Gegend und gewissermaßen sein Lehrer, Johannes Dicel in Seebach (kaum 1/2 Stunde von Thal), und gerade über diesen in vieler Hinsicht merkwürdigen Mann haben sich ausführliche schriftliche Aufzeichnungen erhalten und der Volksmund hilft ergänzend nach, so daß wir eine ziemlich genaue ausführliche Anschauung von seiner Persönlichkeit seinen Charakter und seiner naturärztlichen Wirksamkeit erhalten.

Die Zustände und Persönlichkeiten der Art, wie sie im vorigen Jahrhundert existirten, schon jetzt zu den Unmöglichkeiten gehören, weil wissenschaftliche Aufklärung und Polizei ihnen die Lebensader unterbinden, so ist es von allgemeinem Interesse, sie in getreuen Federzeichnungen aufzubewahren. Der Mann, dem wir diese

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_462.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)