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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

chemisch so geändert werden, daß sie entweder als unschädliche, geruchlose entweichen, oder gebunden werden.

Die Bühring’schen Experimente[1] vor dem Comité des Parlaments fielen so befriedigend und überraschend aus, daß es beschloß, sich sofort der Sache anzunehmen. Was in Folge davon geschehen wird, wissen wir noch nicht. Allerdings sind mächtige Schwierigkeiten zu überwinden, da in England die wichtigsten Unternehmungen nicht von Talent und Tüchtigkeit, nicht von den besten Ergebnissen bei Concurrenz, sondern von Connexionen, Referenzen, Relationen, Muhmen, Vettern und Onkels „bei der Spritze“ abhängen.

Da nun ein späteres Experiment Bühring’s vor Bevollmächtigten des Gesundheitsamtes, des „Board of Works“ mit dem mächtigen Sir Benjamin Hall an der Spitze, durch Versehen von Arbeitern unglücklich ausfiel, haben die Feinde auch Waffen in den Händen. Es wurde nämlich bei diesem Experimente eine mächtige Messing-Pumpe angewandt, durch welche das dickste, schmutzigste Lehmwasser mit ungeheuerer Gewalt durch die Filtrirbälle hindurchgerissen ward, so daß es nicht Zeit hatte, zu filtriren, und noch unklar herauskam. Einen darauf folgenden, vollständig glücklichen Versuch mit dem dicksten Themsewasser warteten diese Beamten gar nicht ab.

Doch die Herren des Parlaments sahen zu ihrer größten Befriedigung zum ersten Male den Proceß, wodurch die zum Entsetzen und Fluche gewordene Themse auf die gründlichste, wohlfeilste und profitabelste Weise gereinigt und rein gehalten werden kann. Es war zwar blos ein Deutscher, der’s ihnen zeigte, aber er zeigte es ihnen doch auch.





Pariser Bilder und Geschichten.
Eine Arbeiter-Hochzeit.


Samstag ist der gewöhnliche Tag der Hochzeiten in Paris. Die zwölf Mairien oder Bürgermeistereien, vertheilt in die verschiedenen Quartiere der Stadt, reiche und arme, belebte und fast geräuschlose, werden das Theater der buntesten, festlichen Scenen. Während in den aristokratischen und handelsreichen Vierteln lange Reihen Wagen die eleganten Brautleute, Eltern und Zeugen abladen, drängen einander kleine, aber lebhaft wechselnde Gruppen einfach gekleideter Leute um die Thore, auf den Stiegen und in den Corridors der Mairien der Arbeiterbezirke.

An diesem Tage sehen Sie keine Blouse vor dem ernsten Gebäude, auf dem über der klingenden Uhr die dreifarbige Fahne flattert. Selbst der bescheidene Eckensteher, welcher das Recht erhielt, die Wagenthüren zu öffnen und den Tritt herabzuschlagen, den Arm der jungen Braut und der alten Mutter zum Heraussteigen zu bieten, auch er hat seine stattliche Toilette gemacht, den abgetragenen aber gebürsteten Frack, den hohen Cylinderhut oder die beste Mütze, baumwollene weiße Handschuhe und eine Art von weißer Halsbinde hervorgesucht und sein freundlichstes Lächeln über sein gebräuntes Gesicht gebreitet.

Der Bräutigam, auch wenn er bescheiden zu Fuß einherschreitet, glänzt auf fünfzig Schritte mit seinem kunstreich gearbeiteten Vorhemdchen zwischen dem saubern schwarzen Rocke oder Fracke und hat seine derbe Hand, mit der er vor dem ersten Bürgermeister und der ganzen Versammlung die Feder führen soll, in neue Handschuhe gezwungen, die zu zerspringen anfangen. Die Braut, schüchtern wie ein Landmädchen, die musternden Blicke aller Neugierigen des Stadttheiles aushaltend, in ihren neuen, noch knisternden Schuhen, dem leichten wohlfeilen weißen Kleide und dem künstlichen weißen Blumenkranze im Haar, vielleicht ihre einzigen, leicht vergoldeten Geschmeide an Hals und Handgelenk; und die wenigen Zeugen folgen in ceremoniöser Haltung dem jungen Manne, der heute Alles ordnen und tragen muß – das ganze Gebäude seiner ersehnten Hochzeitsfeier, die ihm so manchen Gang in Kanzleien und Sacristeien und die wenigen ersparten Zwanzigfrankenstücke kostet.

Ich hatte versprochen, Zeuge zu sein, und kam in Eile über den Platz vor der Mairie gelaufen; von Weitem erkannte ich den Vater der Braut, einen geschickten, alten Tischler, an seinem hohen schwarzen Hute neben der Bärenmütze eines Gensd’armen über die Menge hervorragen. Der Gensd’arm war der Vater des Bräutigams und aus den Pyrenäen gekommen, um durch seine stattliche Gestalt und Uniform der Feier Glanz zu verleihen; ich selbst kenne den Geschmack des Volkes und war in Ueberrock und dunklen Handschuhen, aber mit zwei buschigen Blumensträußen für Braut und Ehrenfräulein erschienen.

Der Pariser Arbeiter führt nicht ganz das lustige Leben, das unsere und französische Feuilletons ihm reichlicher schenken, als der Himmel; er fürchtet im Gegentheil viele Götter, den Hausherrn und den Bäcker, seine Cameraden und die Krankheit, kurz Alles was ihn um die Arbeit bringen kann und ihn im Elend unbarmherzig behandelt. Einen Doctor zum Freunde zu haben, ist daher ein beneidetes Glück unter diesem Theile der Pariser. Man hatte mich am Thore erwartet und grüßte mich herzlich.

„Wir haben Nummer 39,“ tröstete mich der alte Gensd’arm, „und kommen erst in einer Stunde an die Reihe.“ Aber der Brautführer (le garçon d’honneur), ein Lithograph meiner Bekanntschaft, der größte Weltmann unserer kleinen Gesellschaft, vielgeübt in zierlichen Worten und anmuthigen Manieren, ordnete schnell seinen Zug, nahm die beiden jungen Frauen unter die Arme und schritt voran in der Stellung, wie auf seinen Lithographien der Kaiser Napoleon erlauchte Gäste die Haupttreppe der Tuilerien hinaufführt. Ich übernahm die alte Mutter und die Arbeitgeberin der Braut, eine lustige, geschwätzige Pariser Kinderschuhfabrikantin; die alten Väter escortirten den Bräutigam, die übrigen Männer folgten.

Im großen Saale des ersten Stockwerkes konnten Sie unsere Pariser Gleichheit beobachten. Mit einem einzigen Blicke hätten Sie die zwanzig Hochzeiten unterschieden, welche eben versammelt waren. Während der Maire, mit der dreifarbigen Schärpe um den Frack und mit dem bürgerlichen Gesetzbuche in der Hand, eben zwei Personen der reicheren Bürgerschaft zu lebenslangem Leid und Freud’ vereinigte und die Gäste dieses Paares in allem Edelgestein, Gold und Seidenzeug prangten, bereiteten sich zwei arme Seelen, beide längst über der Jugend Uebermuth hinaus, mit sorgengefalteten und gelblich verwelkten Gesichtern, in schüchterner Haltung und dürftiger Kleidung vor, um zunächst vor den Maire zu treten; ein einziger Zeuge, alt, gebrechlich und arm, wie sein Ehepaar, stellte sich so gerade als möglich hinter diese und schien verlegen in der Richtung der Thür den zweiten Zeugen zu erwarten, der zu zögern schien; vielleicht saß dieser Unglückliche daheim, vergeblich auf das einzige Sonntagshemd wartend, das die trügerische Wäscherin auf neun Uhr früh versprochen hatte. Alle Gruppen hatten sich streng gesondert; die unsrige, Dank dem erfahrenen Anordner, unserem Lithographen, machte einen sichtbaren Effect in ihrer stolzen Einfachheit; dieser hatte die drei schönen Frauen unserer Gesellschaft klüglich gruppirt und vorangestellt, die sechs martialischen Männer auf den zweiten Plan vereinigt und die alte Mutter sammt zwei „unlithographischen Figuren“, wie er mir zuflüsterte, zwei Arbeitscameraden des Bräutigams, hinter den Ofen geschoben, vor dem wir Posto gefaßt hatten.

Da trat die reiche Bürgerschaft zurück und der Amtsschreiber rief zwei Namen auf, welche deutsch klangen; die armen drei Leute thaten einige Schritte vorwärts, „ohne alle Haltung,“ versicherte unser Gensd’arm, „häßliche Gesichter,“ sagte die Fabrikantin mit einer gewissen Miene, „um den raffinirtesten Zeichner zur Verzweiflung zu bringen,“ rief der Lithograph kopfschüttelnd aus.

Eine leise Unterredung zwischen dem Amtsschreiber und dem invaliden Zeugen fand inzwischen statt; das ärmliche Ehepaar stand gesenkten Hauptes, lautlos seine Verdammung erwartend. Auf ein Wort, das der Schreiber dem Maire in’s Ohr flüsterte, rief dieser laut und mit abwehrender Hand: „bis nächsten Samstag; und bringen Sie zwei Zeugen mit.“


  1. In England hatte man schon viel in dieser Sphäre gearbeitet, ehe Bühring mit seinen plastischen Kohlenkörpern auftrat. Näheres über das hier Angedeutete in der Broschüre von John Stenhouse: „On the Economical Applications of Charcoal to Sanitary Purposes“ u. s. w., worüber ich in der Gartenlaube vor etwa zwei Jahren berichtete: „Ein Abend im Royal Institution“. Hier, wie damals, schreiben wir nicht technisch für Techniker, sondern als Laien für Laien, blos um dergleichen Dinge im Großen und Allgemeinen eben anschaulich zu machen, und die Aufmerksamkeit darauf hin zu leiten.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_446.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)