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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

die unglückselige Gewohnheit des Sichbeugens vor auswärtigen Einflüsterungen und Drohungen, die Verblendung der rückwärts strebenden Partei eine plötzliche Angst vor dem Wiedererwachen eines 1848 in der Phantasie mancher Gewalten erweckt, in Schleswig-Holstein eine Revolution erblickt, dessen heilige Sache aufgegeben und die Pacification über das Land verhängt. Gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, das Nationalgefühl erkannte darin eine viel schmachvollere Erniedrigung des Vaterlandes, als jene unter dem Joche des allmächtigen Franzosenkaisers gewesen. Und dieser giftige Wurm nagt noch heute an dem Herzen der Deutschen.

Bei der Heimkehr von einer glänzenden Hühnerjagd auf den Grenzen zweier Staaten beredete mich mein vieljähriger Jagdfreund, General von K., bei ihm einzukehren, wo ich ein schlesisches Fräulein comme il faut finden würde, die vor Begierde brennte, den Verfasser des Buches der Rosen persönlich kennen zu lernen. So geschah denn auch. Nachdem mein unbezahlbarer Caro mit Futter, Trank und einem trefflichen Strohlager versorgt war, wie es ein Reiter seinem Rosse und ein echter Waidmann seinem Hunde schuldet, labten wir uns selbst mit einer kühlen Abwaschung von Kopf und Hand und zogen dann im vollen Jagdhabit hinauf in den Salon der Damen.

Wir fanden nur drei Personen: die Hausfrau, ein Fräulein und einen Herrn, der in einer Ecke des Salons sich auf einem Stuhle schaukelte. General K. war so von der Sehnsucht nach dem Imbiß befangen, daß er, sogar die allergewöhnlichste Ceremonie der gegenseitigen Vorstellung vergessend, sich zu Tische setzte und mir winkte, ein Gleiches zu thun. Nachdem die edle Weinsuppe glücklich hinunter war, richtete sich der General wie neu belebt auf und begann, an das Fräulein sich wendend:

„Schönen Dank, Milchen, für die köstliche Suppe. Hättest heute bei uns sein sollen, ein Prachtjunge, der in Holstein tüchtig mitgefochten hat, war von der Gesellschaft – das wäre ’was für Deinen Schnabel gewesen, Du hättest ihm secundiren können, als er in der Ruhestunde für sein Schleswig-Holstein so glühend schwärmte, daß er darüber fast Händel bekommen hätte mit denen, welche Alles nur nüchtern mit officiellen Augen zu betrachten gewöhnt sind und sogar unsern lieben Gott nur anerkennen, weil er in dem „Von Gottes Gnaden“ officiell anerkannt wird.“

Die Hausfrau meinte, man solle doch endlich wieder an Anderes denken, als an das ewige Lied von Schleswig-Holstein. Das Fräulein ergrimmte fast über diese Anmuthung und antwortete mit Leidenschaftlichkeit:

„Das wäre abscheulich, beste Tante! Nein, so lange noch ein einziger Deutscher lebt, muß er mit seinem Morgen- und Abendgebet diesen Namen und diese Geschickte sich laut wiederholen, den Schmerz darüber in seine Seele zurückrufen, zum heiligen Zorn darüber sich entflammen und auf den Knieen flehen: Allmächtiger, hilf Du zu unserem Rechte, da wir selbst zu verblendet, zu uneinig und feig dazu sind!“

Emilie hatte sich dabei unwillkürlich von ihrer Stickerei erhoben und stand unbeweglich, den begeisterten Blick der großen blauen Augen zum Himmel gerichtet: sie war sehr schön in diesem Augenblicke, sie schien wirklich zu beten.

Der seltsame General in der Ecke schaukelte nicht mehr auf seinem Stuhle, er saß wie unbeweglich, den Blick zu Emiliens Antlitz emporgerichtet. Die in sich selbst gekehrte schwärmerische Träumerei, welche seinen scharfen Zügen mit der feingeschnittenen Nase, den schwarzen Augen und der hohen Stirn ein so eigenthümlich anziehendes Gepräge verliehen hatte, war nun plötzlich verschwunden: um den Mund zuckte ein ironisches Lächeln, sein Auge blitzte fast schalkhaft heiter; er fuhr mit der Hand langsam über die Stirn, als wollte er die letzten Wölkchen von Ernst und Träumerei beseitigen, und sagte in einem Tone, warm und gefühlvoll, aber doch voll Sarkastik:

„Liebes Fräulein, Sie ereifern sich stets so edel über diese traurige Geschichte, daß es wahrlich Schade ist, daß Sie nicht alle Ihre hinreißenden Gedanken zu Papier bringen, Sie würden die Nation damit feuriger begeistern, als es Friedrich Hecker jemals gekonnt hat.“

Nicht ohne die Empfindlichkeit einer edlen Entrüstung erwiderte Emilie:

„Herr General, schon öfters hatte ich die Ehre, Ihnen zu bedeuten, daß ich niemals anders schreibe, als Briefe an meine Verwandten und Freundinnen, den Wäschzettel und zuweilen ein Recept für die Küche.“

„Wohlan, bestes Fräulein,“ fiel der General lachend ein, „so schreibe Ihre Güte mir endlich das oft versprochene Recept zu dem polnischen Karpfen, welchen Sie so vortrefflich bereiten.“

Emilie stickte wieder ruhig fort.

„Friede, Friede!“ predigte die Hausfrau.

General K. meinte, sein Freund sollte doch nicht immer die liebe Nichte mit dem Störenfried Hecker zusammenstellen.

„Du hast Recht,“ entgegnete der Andere in der Ecke lachend, „die holde Emilie hat mit diesem stürmischen Ferment nicht das Mindeste gemein, in ihr lebt der höhere Beruf zu einer Jungfrau von Orleans, und Gott weiß, ob wir nicht einst als solche sie brauchen werden.“

Bei den letzten Worten war alles Lachen und alle Ironie von den Zügen des Mannes plötzlich verschwunden, sein Auge haftete einen Moment schmachtend am Himmel, als erflehte er Trost von oben, der Schleier düsterer Träume verbreitete sich über sein Gesicht und er schaukelte wieder monoton mit seinem Stuhle.

Offenbar in dem Sehnsuchtsdrange, sich den beengenden Gefühlen des Momentes zu entheben und den General in eine heitere Stimmung zu versetzen, erwiderte Emilie mit der heitersten Affectation von Begeisterung:

„Wohlan, Herr General, ich nehme die Jungfrau von Orleans für mich an, um so getroster, weil ich darauf rechnen zu dürfen glaube, daß Sie in jeder ernsten Stunde als Dunois mir zur Seite stehen und auch gegen jeden Lionel mich schirmen werden.“

„Ich Ihr Dunois? Unmöglich, ich bin ja kein Bastard.“

„Um Vergebung, Sie sind einer und zwar in mehrfacher Beziehung: Bastard zwischen Hohn und Herz, Bastard zwischen Verstand und Phantasie, Bastard zwischen Liebenswürdigkeit und – Abscheulichkeit –“

„Halten Sie inne, mein Fräulein, Sie machen sonst aus mir eine förmliche Bastarden-Colonie. Und – was würde Ihnen meine Dunoisschaft helfen, käme ich nicht in Betreff eines Lionel allenfalls jetzt schon zu spät?“

„Ausflüchte, Herr General Chamäleon, leere Ausflüchte. Sie wissen vollkommen, daß es bei mir mit einem Lionel noch nichts ist.“

„Was wüßte der sterbliche Mensch vollkommen? In der That nichts, als daß er sterben muß.“

„Doch noch etwas weiß der vernünftige Mensch vollkommen.“

„Und das wäre?“

„Daß er Grundsätze haben und festhalten soll, daß er die Hoffnung niemals aufgeben darf.“

„Grundsätze, Hoffnungen? – Liebes Kind, die Grundsätze sind so wandelbar, wie die Zeiten und Menschen selbst. Es gibt nur einen unwandelbaren, unbestreitbaren und ewigen, den des wahren Christenthums, der zum Glück erhaben über alle confessionelle Zweifel und Wirren, allen Christusgläubigen gleich verständlich, überzeugend und wann zum Herzen spricht: fürchte Gott und liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst. – Aehnlich verhält es sich auch mit der Hoffnung: jeder Sterbliche hofft anders und Anderes durch alle Phasen seines Lebens; aber wenn dann hienieden Jedem die letzte irdische Hoffnung entschwunden ist, wenn Dante’s: „qui cessa ogni speranza“ die Nichtswürdigen mit der Höllenqual der Verzweiflung erfaßt, alsdann erwacht erst in den Seelen aller wahren Christen eine und dieselbe Hoffnung mit einer Lebendigkeit und beseligendem Schwung, die Hoffnung auf ein ewiges Jenseits, auf ein höheres Dasein, auf eine Seligkeit der unmittelbaren Anschauung alles dessen, was wir hier kaum zu ahnen vermögen und in unseren gebenedeiten Augenblicken als Höchstes anbeten.“

Dies sprach der seltsame Mann ohne alle priesterliche Emphase natürlich, einfach, warm, und aus seinem schönen Auge leuchtete dazu Glauben und Liebe so erwärmend und überzeugend, daß wir Alle, vom Ernste seiner Stimmung unwillkürlich ergriffen, zu wahrer Andacht uns erhoben fühlten und stumm der Fortsetzung seiner Rede harrten. Er schaukelte sich wieder behaglich, wie in Träume versunken. Der luftige General von K. konnte in so ernster Stimmung nicht lange beharren; um sich selbst und uns herauszuhelfen, ergriff er hastig sein Glas Burgunder, stieß mit mir an und rief:

„Waidmanns Heil für übermorgen! – Apropos, Bruder, Du bist mir noch etwas schuldig, trage Deine Schuld jetzt ab, damit mein Mädchen nicht ganz melancholisch werde.“

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