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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

es 3500 Quadratmeilen). Wie das Erzgebirge nach der einen Seite (nach Sachsen) mehr terrassenartig, dagegen nach der andern (nach Böhmen) steil abfällt, so werden auch die Berge der Mond-Apenninen nach der einen Seite (und zwar nach S, also auf der entgegengesetzten Seite, als beim Erzgebirge) immer niedriger, bis sie sich in einer Entfernung von 15 bis 20 Meilen zu der Ebene mare vaporum verflachen. Dagegen stürzt es nach N ungemein schroff ab, wie kein irdisches Gebirge, mag es noch so furchtbares Felsengezack und schauerliche Tiefen von Schluchten haben, ein ähnliches Schauspiel zu bieten vermag. Unmittelbar an jener schwindelnden Höhe sehen wir die gewaltige Ebene mare imbrium vom Fuße des Huygens nach O und N sich ausbreiten. Unser Blick reicht von unserer Felsenhöhe aus 181/2 Meilen in gerader Entfernung, und wir sehen den Horizont sich in einem gewaltigen Bogen von circa 116 Meilen Länge um uns herumziehen. Ueberhaupt liegt vor unsern Blicken eine Fläche ausgebreitet, die (in runder Zahl) 1000 Quadratmeilen ist, ungefähr ein Land, so groß wie ganz Baiern und Sachsen vereint.

Specialkarte vom Apenninengebirge des Mondes.[1]

A. mare imbrium (Meer der Platzregen): B. sinus aestuum (Busen der brausenden Fluthen): C. mare vaporum (Meer der Dämpfe): D. mare serenitatis

(Meer der Heiterkeit): E. palus putredinis (Sumpf der Fäulniß); – I. Huygens (höchster Berg); II. Bradley (ein Berg); III. Hadley (westlicher Berg); IV. Aratus (ein Krater); V. conon (ein Krater); VI. Manilius (ein Ringgebirge); VII. Eratosthenes (ein Ringgebirge); VIII. Wolf (östlicher Berg); IX. Archimedes (ein Ringgebirge); X. Autolycus (ein Ringgebirge).

Nachdem wir uns nun orientirt haben, wollen wir die Gebirgspartien durchstreifen. Man erwarte aber ja nicht schöne, glatte Wege, die es uns auf der Erde möglich machen, bequem, sogar in Wagen Gebirge zu besuchen; – ja, man erwarte nicht einmal schmälere Bergpfade; denn Felssteige (wie z. B. in der Schweiz), welche nur die kühnsten der Gemsjäger zu betreten wagen, – sie sind hier auf dem Mondgebirge diejenigen, die noch den meisten Comfort im Verhältniß zu den übrigen gewähren. Davon überzeugen wir uns sogleich beim ersten Blick, den wir zu dem Behuf über die Felsecken suchend senden. Denn wir sehen, daß der Rücken des Mondgebirges durchaus nicht dem Rücken eines Kameels ähnelt, also nicht wellenförmig ist, vielmehr bieten uns alle die Gesteinsformationen, die wir so reich und mächtig um uns her gestellt sehen, einen Anblick, der eher verglichen werden kann mit den Häusermassen einer schon in der Zeit des Mittelalters erbauten großen Stadt, wo die viele Stock hohen Häuserfronten oft nur durch schmale, finstere Gäßchen getrennt werden. Hie und da sehen wir größere Erweiterungen, breitere Straßen und freie Plätze, aber gerade an solchen Stellen befinden sich, wie wir von unserm Huygens aus trefflich bemerken können, gewöhnlich die großartigsten Gesteinsaufthürmungen mit vielen Tausenden jäher Felszacken. Sie erscheinen uns bald wie ein altes Residenzschloß, bald wie ein mächtiger Dom in gothischer Bauart, der auch mit seinem reichen Schmuck an Spitzthürmchen, Spitzbögen, schlanken Säulen, einzelnen himmelstrebenden Hauptthürmen emporstarrt. Mit dieser Großartigkeit verglichen, wie armselig sind da die romantischen Gegenden der Erde! Der Mond hat zwar nicht die Reize einer irdischen Vegetation, – sein Schmuck ist ganz anderer Art, der mehr, ich möchte sagen, architektonischen Charakter trägt. Wie würde ein Mondbewohner, wenn er zum ersten Mal in einer Erdlandschaft sich befände, über das Reizlose derselben klagen, da ihre Felsgestalten doch so monoton seien! – Der Grönländer sehnt sich aus Italien zurück zu seinen Eisbergen; der Italiener aus des Nordens Schneefeldern hin an „Neapels goldnen Strand.“


  1. Noch muß bemerkt werden, daß vorstehender Holzschnitt die Karte so gibt, wie man auf einer Sternwarte das Mondgebirge durch einen Refractor sieht, also verkehrt; demnach ist der untere Theil der Karte der nördliche, der obere ist der südliche; links ist Westen, rechts Osten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_421.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)