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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Eine Seemannsfamilie.
Norddeutsches Küstenbild. Von A. v. Wickede.
(Schluß.)


Von den Söhnen waren die drei ältesten bereits verheirathet, und hatten in dem vorhin erwähnten Anbau des Hauses sich ebenfalls ihre Heimathsstätten gegründet. Große, feste Gestalten, ganz dem Vater nachgebildet, waren es, und wirklich ein Geschlecht von Riesen ging aus dieser entlegenen Wohnung hervor.

Der Aelteste, jetzt schon ein Vierziger, war in seinen jungen Jahren lange Steuermann auf einem Bremer Wallfischfänger gewesen, und hatte manches Jahr die ferne Südsee durchkreuzt. Seit er sich mit einer Schifferstochter aus einem benachbarten Dorfe verheirathet, gab er diese weiten Reisen auf, erbaute sich eine kleine schnellsegelnde Schaluppe, und trieb mit derselben während der guten Jahreszeit eine einträgliche Küstenfahrt auf eigene Rechnung. Ein halbes Dutzend Kinder, lauter frische, kräftige Geschöpfe mit rothen Backen, blauen Augen und hellblondem Haar, waren aus dieser Ehe hervorgegangen. Der Aelteste davon, ein derber zwölfjähriger Bube, half schon mitunter beim Fischfang, die drei nächstfolgenden gingen tagtäglich, mochte das Wetter auch noch so schlecht sein, regelmäßig zur Schule im nächsten Dorfe, während die Jüngsten noch im Sande herumkrabbelten, und sich kleine Schiffe aus Eichenborke schnitzten, die ihnen der Großvater dann in müßigen Augenblicken ganz regelrecht auftakelte.

Der zweite Sohn, der ein ruhigeres und bequemeres Temperament hatte, war nur wenige Jahre Matrose gewesen, dann aber wieder zu der Fischerei zurückgekehrt, die er mit großem Eifer und Geschick betrieb. Auch er hatte eine derbe, stattliche Frau aus der Nachbarschaft genommen, und hatte bereits mehrere gesunde Kinder.

Eigenthümlicher war das Leben des dritten Sohnes, der, früh zu Schiffe gekommen, größtentheils im mittelländischen Meere seine Fahrten gemacht hatte. Einer der schönsten Männer, die man nur sehen konnte, war er, und die Herzen der feurigen Südländerinnen mußten ihm, dem stattlichen, blauäugigen, blondhaarigen Deutschen, mit einer Gestalt, wie ein Bildhauer sie zum Modelle einer Statue des Mars sich nur wünschen kann, in Menge zugeflogen sein. Ganz gegen die Sitte seiner Landsleute, die solches fast niemals thun, hatte Carl, so hieß er, sich in der Ferne verheirathet. Großer Kummer war im elterlichen Hause gewesen, als ein Brief von dem Sohne ans Cadix meldete, daß er die Tochter eines spanischen Seemannes zur Frau genommen, und eine Heimath daselbst sich gegründet habe. Während mehrerer Jahre hatten weder Eltern noch Geschwister etwas von ihm vernommen und es hieß nur, er bekleide die Stelle eines Steuermannes auf einem spanischen Schiffe. Der Tod seiner Frau hatte dem deutschen Seemann Spanien bald verleidet, und ein mächtiges Heimweh nach dem alten Vaterhause auf der öden Landzunge war in seine Brust gezogen. Gewaltsam hatte er sich aus seinen Verhältnissen in Cadix losgerissen, seine beiden Zwillingskinder, einen Knaben und ein Mädchen, mit sich auf das Schiff genommen, und war so nach zehnjähriger Abwesenheit wieder in die deutsche Heimath zurückgekehrt. Eine alte Schwester seines Vaters, die kinderlose Wittwe war, vertrat Mutterstelle an den beiden Kindern, und sorgte mit treuer Pflege für sie. Gar feine, zierliche Gesichter mit echt andalusischem Charakter zeigte dies Zwillingspaar, und die schwarzen Locken und dunklen feurigen Augen desselben stachen seltsam von den Flachsköpfen der übrigen Buben- und Mädchenschaar, die in dem Hause und um dasselbe herumkrabbelte, ab. Alle Bewegungen derselben waren schneller und graziöser, und so freundlich auch die übrigen Hausgenossen, Jung wie Alt, sich der beiden kleinen „Spaniolen“ – so wurden die nunmehr neunjährigen Kinder allgemein genannt – annahmen, so schien es doch, als würden sie hier am deutschen Ostseestrande niemals die wahre Heimath finden, so verschiedenartig zeigte sich ihr ganzes Wesen noch immer von dem der Uebrigen. Besonders das kleine Mädchen, eines der reizendsten Kinder, das ich jemals sah, sprach nur aus Nothwendigkeit deutsch, und als ich einige spanische Redensarten ihr sagte, sprang sie mit echt südländischer Freudigkeit mir um den Hals, und weinte bei meinem Abschied bitterlich.

Der Vater dieser beiden Kleinen schien durch den Verlust seiner geliebten Frau in tiefe Schwermuth, wie solche bei einem Seemann sonst nicht gewöhnlich ist, verfallen zu sein. Er diente jetzt als Steuermann auf einem Dampfer, der zwischen Stockholm und Stettin seine Fahrten machte, und war nur während der rauhen Wintermonate, wo in der Ostsee des Eises wegen jegliche Schifffahrt aufhört, zu Hause.

Die drei jüngeren Söhne des alten Ehepaares waren noch unverheirathet, und fast immer von der Heimath entfernt. Der Eine von ihnen fuhr bereits als Untersteuermann auf einem holländischen Ostindienfahrer, und hatte zuletzt aus einem chinesischen Hafen geschrieben. Ein zweiter diente in der preußischen Kriegsmarine, und war gewöhnlich am Bord der Fregatte Thelis stationirt. Um das Schicksal des Dritten aber hatte die Familie mehrere Jahre großen Kummer gehabt, und ihn bereits verloren gegeben.

Beim Ausbruch des letzten orientalischen Krieges war er zufällig in England gewesen, und hatte aus Lust zu kriegerischen Abenteuern als Matrose Dienste auf der englischen Flotte genommen. Als solcher war er mit nach der Krim gekommen, dort aber bei irgend einer Gelegenheit verwundet und von den Russen gefangen genommen worden. Von seinem ferneren Schicksal hatte die Familie fast drei Jahre lang nicht das Mindeste gehört, und selbst alle Nachforschungen der englischen Gesandtschaft in Rußland waren fruchtlos geblieben. So hatte man denn endlich den Wilhelm, so hieß er, für todt gehalten, und die alte Mutter, deren besonderer Liebling dieser jüngstgeborne Sohn zu sein schien, schon viele bittere Thränen um seinen Verlust geweint. Desto größer sollte nun auch die Freude sein, die sie über sein plötzliches Wiedererscheinen empfand. Im letzten Monat November, zwei Tage zuvor, als ich diese mir längst bekannte wackere Familie wieder besuchte, war der Vermißte an einem dunklen Regenabend ganz unerwartet in das Zimmer getreten. Die alte Mutter, die sich allein darin befand, war mit einem hellen Freudenschrei dem geliebten Sohne sogleich um den Hals gefallen, und ihr lauter Jubel hatte alsbald alle übrigen Familienglieder herbeigerufen. Noch standen der wackern Alten die Freudenthränen in den Augen, als sie mir in ihrer schmucklosen Weise dies Wiedersehen treuherzig schilderte.

Auch der wiedergefundene Sohn wußte seine Erlebnisse während der Gefangenschaft in Rußland auf zwar schmucklose, aber dabei ganz interessante Weise zu schildern, und seine ganze Erzählung trug dabei den Stempel der größten Wahrheit. Daß seine Eltern keine Nachricht von ihm erhalten, war nicht sein Verschulden, da er seiner Angabe nach dreimal Briefe aus dem Innern von Rußland an sie abgesandt hatte, die somit entweder verloren gegangen oder auch absichtlich unterschlagen ein mußten.

Nach seiner Verwundung hatten Kosaken ihn gefangen genommen und zwar, ihrer Gewohnheit nach, bis auf das Hemd ausgeplündert, sonst aber nicht schlecht behandelt. Die Heilung seiner Wunden war in einem von Verwundeten aller in der Krim kämpfenden Heere überfüllten, elenden Feldhospitale geschehen, in dem, seiner Erzählung nach, sich viele grausige Scenen ereigneten und Hunderte von Menschenleben aus Mangel an geeigneter Pflege zu Grunde gehen mußten. Ueberhaupt soll die Lage des russischen Heeres in der Krim keine beneidenswerthe gewesen sein und die Soldaten desselben mußten ungleich größere Strapazen ertragen, als selbst die Engländer in dem Winterlager vor Sebastopol. Die Schwierigkeit des Transportes aller Bedürfnisse durch die weg- und wasserlosen Steppen der Krim, wobei viele Tausende von Zugpferden zu Grunde gingen, habe diese Entbehrungen, welchen abzuhelfen selbst die russische Regierung trotz aller Anstrengung nicht vermochte, hauptsächlich herbeigeführt, lautete die Erzählung des ehemaligen Gefangenen.

Ein höherer russischer Militairarzt, ein geborner Preuße, hatte sich mit eifriger Sorgfalt seiner angenommen, und mit dem Ausdrucke der innigsten Dankbarkeit versicherte er mir, daß er diesem wackeren Manne die Erhaltung seines Lebens besonders mit verdanke. Von seinen Blessuren wieder geheilt, war er mit anderen Gefangenen in das Innere von Rußland abgeführt und dann in ein kleines Städtchen an der Wolga internirt worden. Die Behandlung aller Gefangenen von Seiten der Russen sei stets sehr milde gewesen, nur habe die dürftige Beköstigung nicht immer ausgereicht, einen ordentlichen deutschen Matrosenmagen gehörig zu sättigen, wie Wilhelm lachend hinzufügte. Ihm, dem geschickten Seemanne,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_418.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)