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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Das Mädchen diente seit einem halben Jahre im Hause und hatte nie Unfrieden zwischen den Eheleuten bemerkt.

Auch die Wittwe Kühl konnte mir nichts wesentlich Neues mittheilen. Um acht Uhr des Morgens hatte sie gehört, daß ihre Nachbarin, die Frau Mahler, wieder krank sei. Sie hatte früher die Frau gepflegt, wenn diese unwohl war; Mahler hatte fast den ganzen Tag außer dem Hause und das Mädchen genug mit der Wirthschaft im Hause zu thun gehabt; so hätte die Kranke ohne die Nachbarin ganz allein liegen müssen. Sie hatte sich zu ihr begeben. Die Frau hatte auch diesmal ihr gewöhnliches Unwohlsein, aber in weit höherem Grade; sie selbst schob es darauf, daß sie in Abwesenheit ihres Mannes Fische gegessen, die sie nicht vertragen könne. Zu Mittag sei Mahler nach Hause gekommen und habe zum Arzte schicken wollen; die Frau habe sich entschieden dagegen gewehrt; sie werde es aus dem Fenster werfen, was der Arzt ihr verschreibe.

Mahler war sehr gut gegen seine Frau gewesen; er hatte ihr des Mittags Suppe an das Bette gebracht und des Abends um acht Uhr, als er nochmals nach Hause gekommen, eine Tasse Kaffee. Die Frau habe auch beide Male das Gebrachte genossen; es sei ihr aber nicht gut bekommen; sie habe sich jedes Mal stärker darnach erbrechen müssen.

Wieder dieselben, dem Anscheine nach so unbedeutenden Umstände, wie in der Aussage des Dienstmädchens, und mir dennoch so schwer wiegend!

Die Frau hatte in dem Tode der Frau Mahler nichts Auffallendes gefunden. Die Kranke, schon lange sehr schwächlich, hatte, wie sie meinte, das viele Erbrechen zuletzt eben nicht mehr aushalten können. Das Erbrechen war aber nun einmal schon immer ihr Leiden. War die Frau wirklich an Gift gestorben, so war ihr dies unerklärlich, und sie wußte in der Welt keinen Menschen, auf den sie einen Verdacht werfen könne.

Die Frau war völlig unverdächtig und ehrlich.

Ich hatte jetzt nur noch die Nichte zu vernehmen. Sollte sie das völlige Dunkel, das um mich herrschte, mir erhellen können?

Daß sie jenes hübsche, frische, fröhliche, liebende und geliebte Gretchen war, an dem ich in dem hannoverschen Grenzwalde eine so herzliche Freude gehabt hatte, konnte mir kaum mehr zweifelhaft sein. In welches traurige, schreckliche Drama war sie hier mitten hineingerathen!

Sollte gerade sie das Mittel zu der Entdeckung des unzweifelhaft vorliegenden schweren Verbrechens sein?

Sollte sie gar – der Fleischer Mahler hatte sie eigensinnig, trotzig genannt; ihr Geliebter war ein Mensch, der das Zuchthaus zu fürchten hatte – sollte sie gar selbst eine Rolle in diesem schrecklichen Drama spielen?

Sie war schon im Gerichtslocal und wartete auf ihre Vernehmung, abgesondert, wie die Anderen.

Als ich sie gerade wollte vorführen lassen, meldete sich der Fleischermeister Kopp, der Schwager Mahlers, den ich schon am Morgen befragt hatte. Ich ließ ihn sofort eintreten.

„Herr Director, es hat sich Gift in der Leiche meiner Schwester gefunden?“

„Ja, Arsenik.“

Der Mann war sehr aufgeregt; er konnte, in sichtlichem heftigen Kampfe mit sich selbst, kaum auf einer Stelle stehen bleiben.

„Sie haben etwas auf dem Herzen, Meister Kopp!“

Er faßte einen Entschluß; vielleicht nur einen halben.

„Herr Director, ich habe Ihnen heute Morgen nicht die volle Wahrheit gesagt.“

„Ich hoffe, Sie werden sie mir um so mehr jetzt sagen.“

„Es soll geschehen. Heute Morgen wußte ich ja noch nicht, ob meine Schwester wirklich vergiftet war, und ich durfte Niemandem zu nahe treten. Jetzt darf ich nun aber nichts mehr verschweigen.“

Er hatte einen vollen Entschluß gefaßt; man sah es ihm an; es mochte ihm schwer genug geworden sein. Er fuhr fort:

„Ich hatte Ihnen heute Morgen gesagt, daß Mahler gleich auf mein Zureden sich entschlossen habe, die Leiche seiner Frau öffnen zu lassen.“

„Das war nicht der Fall?“

„Nein. Erst als ich ihm drohete, vom Criminalgerichte die gerichtliche Oeffnung der Leiche zu verlangen, entschloß er sich, zum Arzte zu gehen. Und auch dabei war er in großer Angst.“

„Sie haben mir noch mehr zu sagen.“

„Ja. Von dem Gerüchte, daß Mahler seine Frau vergiftet habe, hatte ich nichts gehört; ich habe es nur vorgegeben.“

„Sie? Und was bewog Sie dazu?“

„Ich muß Ihnen Alles sagen. In dem Hause meines Schwagers diente früher ein Mädchen, Namens Louise Schmid. Sie mußte das Haus verlassen.“

„Warum?“

„Meine Schwester hatte darauf bestanden; sie war eifersüchtig auf das Mädchen.“

„Hatte sie Grund dazu?“

„Ich glaubte das damals nicht.“

„Wann war es?“

„Schon vor zwei Jahren.“

„Und jetzt –? Nach so langer Zeit –?“

„Das Mädchen lebt seitdem hier bei ihren Eltern. Sie leben gut; im Hause ist beinahe Ueberfluß; das Mädchen hat sogar Putzsachen, und kein Mensch weiß, woher die Leute das Alles nehmen. Ich habe Verdacht, daß mein Schwager die Familie unterhält und daher noch immer mit der Person in einem Verhältnisse steht.“

„Und worauf gründet sich Ihr Verdacht?“

„Das ist es eben; ich habe eigentlich gar keinen Grund dafür. Das Mädchen ist hübsch und sehr verschlagen. Mein Schwager ist ein eben so entschlossener wie verschlossener Mann. Die Leute leben im Ueberfluß und ich wüßte von keinem Menschen in der Welt, außer meinen Schwager, der sie unterstützen könnte.“

„In welchem Rufe steht die Familie Schmid?“

„Man weiß nur das von ihnen, was ich sagte.“

„Und das Mädchen besonders?“

„Ehe sie zu meinem Schwager in den Dienst kam, soll sie leichtfertig gewesen sein; seitdem weiß man nichts mehr von ihr zu sagen.“

„Wie lange war sie in dem Dienste?“

„Kaum ein halbes Jahr. Da wollte meine Schwester Vertraulichkeiten zwischen den Beiden bemerkt haben, und das Mädchen mußte aus dem Hause. Mein Schwager hatte sie hineingebracht.“

„Sie haben seitdem nichts von einer Verbindung Ihres Schwagers mit dem Mädchen gehört?“

„Nichts.“

„Ihr Schwager besucht das Haus nicht?“

„Ich habe nichts davon erfahren.“

„Man hat die Beiden niemals beisammen gesehen?“

„Niemals.“

„Sie müssen gestehen, daß das Alles Umstände sind, die weit mehr gegen, als für Ihren Verdacht sprechen.“

„Ich weiß das, und doch kann ich mich nicht frei von ihm machen.“

Es ging mir beinahe, wie dem Manne.

Ich ließ ihn in ein anderes Zimmer abtreten; es konnte sein, daß ich seiner noch bedurfte.

So sollte es sein.

Ich wollte jetzt die Nichte Mahlers vernehmen, wurde aber nochmals daran verhindert. Ein Criminalbote meldete mir, der Fleischer Mahler wünsche dringend, mich auf der Stelle zu sprechen. Ich ließ ihn sofort vorführen.

Er trat ruhig, kalt, aber doch mit einem eigenthümlichen Ausdrucke eines festen Entschlusses ein.

„Herr Criminaldirector, ich habe über Alles nachgedacht, und ich muß Ihnen etwas anvertrauen, so schwer es mir auch wird.“

Ich sah ihn erwartungsvoll, aber auch forschend, mißtrauisch forschend an. Daß er mir kein Geständniß abzulegen habe, zeigte dieses völlig allen Gefühls, namentlich aller Reue baare Gesicht. Er begegnete indeß meinem Blicke mit voller Festigkeit.

Er fuhr fort:

„Sie haben Arsenik in der Leiche gefunden?“

„Ja.“

„In Preußen kann man nur schwer Arsenik bekommen; nur aus den Apotheken und dann nur gegen einen Schein von der Polizei.“

„So ist es.“

„Aber im Hannoverschen ist man nicht so strenge.“

Wohin wollte er mit dieser Einleitung? Ich rieth vergebens hin und her.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_415.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)