Seite:Die Gartenlaube (1858) 408.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Raubstaaten erdulden mußten, droht dann Jedem, Doch gehört ein gelungener Ueberfall zu den größten Seltenheiten. Unsere braven Soldaten verstehen sich auf diesen Krieg, ihre Reihen sind blitzschnell geschlossen, Salve auf Salve empfängt die Anstürmenden, Kartätschen rasseln in die dichten Haufen, und so schnell, wie sie gekommen, so flüchtig sind sie verschwunden, verfolgt von nachsprengenden Kosaken. Verzweifelter Widerstand gegen sichere, wenn auch schrittweise Unterwerfung, tollkühnes Ungestüm gegen unerschütterliche Ausdauer, Brand und Mord auf beiden Seiten – das ist der Krieg im Kaukasus.




Eine Ruine von Haus aus.

Das besitzhungrige Streben unserer Zeit mag mit Neid auf diejenigen Thiere blicken, welche man geborene Hausbesitzer nennen könnte, ja welche mit einem, ihrem kleinen Bedürfniß angemessenen Häuschen auf die Welt kommen, welches zusehends mit dem Insassen wächst und dabei oft einen hohen Grad von äußerem Glanz erhält, der unsere stuckverzierten Hauser weit hinter sich zurückläßt. Natürlich meine ich die Schnecken mit ihren Häusern und denke dabei auch an die Muschelthiere, deren Schalen der Sprachgebrauch nicht auch Häuser, sondern eben Schalen nennt, obgleich sie eigentlich Dasselbe wie jene sind. Diese Verschiedenheit im Sprachgebrauche hat ihren Grund wohl jedenfalls wie so Vieles in der mangelhaften Anschauung der natürlichen Dinge. Wenn eine Schnecke aus ihrem Gehäuse kriecht und es dann auf dem Rücken mit sich schleppt, so glaubt die Menge, daß dieses eben nun leer sei und bis zur Wiedereinkehr mit fortgenommen werde. Genaueres Hinsehen würde belehren, daß die oberen Umgänge des Schneckenhauses noch ganz erfüllt sind von den weichen Eingeweiden des Thieres und daß es gewissermaßen blos der Stamm des letzteren ist, was sich aus der Mündung des Gehäuses hervorstreckt. Ja der auf Unkenntniß beruhende Glaube geht noch weiter. Da man so viele leere Gehäuse herumliegen und namentlich in feuchten Waldungen so viele Schnecken ohne Gehäuse frei herumkriechen sieht, so glaubt man, die Schnecken könnten ihr Gehäuse willkürlich verlassen. Dies ist bei keiner einzigen der Fall; das Gehäuse ist vielmehr stets durch sehnige Bänder fest an das Thier geheftet, und jene frei herumkriechenden Schnecken sind so unglücklich, keine Hausbesitzer zu sein und nicht einmal zur Miethe wohnen zu können. Die Wissenschaft nennt sie Nacktschnecken.

Wie das Menschengeschlecht, seit es steinerne Häuser aufführen lernte, seine verschiedenen Baustyle hatte, so ist es ähnlich auch mit den Schnecken, indem wir nun die Muschelthiere nicht weiter berücksichtigen, da sie eine ganz andere Thierclasse bilden. Man kann unter den Schneckenhäusern für den ernsten und ehrfurchtgebietenden egyptischen wie für den schmuckvollen gothischen Baustyl Gleichnisse finden. Das Meer scheint der phantasiereichen Entfaltung der Schneckenarchitektur offenbar viel günstiger zu sein, als das Süßwasser oder das trockene Land, denn die Gehäuse der Land- und Süßwasserschnecken kann man meist schon an ihrer Einfachheit und Schmucklosigkeit von den prächtigen Seekonchylien unterscheiden, wie letztere schon durch diesen besonderen Namen vor den bescheidenen Schneckenhäusern bevorzugt werden, während beide doch von Thieren gleicher Rangordnung gebaut sind.

Neben der Auffassung der Schneckengehäuse als Wohnräume, welche der kindlichen Anschauung des Volkes so nahe liegt, kann man dieselben auch als ein äußeres Skelet auffassen, wenigstens in so fern, als dieselben fast eben so unbewußt von dem Thiere durch Kalkausscheidung gebaut werden, wie wir unser Skelet bauen. Doch paßt dieser Vergleich auf die Schneckenhäuser weit weniger, als auf die aus einzelnen Stücken gelenkig zusammengefügten harten Panzer der Krebse und Käfer.

Doch wir kommen zu unserer „Ruine von Haus aus“, eine Bezeichnung, welche auch für manches unserer pilzartig aufschießenden, vom speculativen Capital emporgezauberten Häuser gelten könnte. Freilich trifft unsere ruinenbauende Schnecke nicht der Vorwurf wie letztere.

Im Süden Europa’s und am Nordrande von Afrika, überhaupt im Küstengebiete des Mittelmeeres lebt an feuchten Mauern und unter Hecken und Büschen im modrigen Erdboden eine Schnecke, welche uns Fig. 1. in natürlicher Größe darstellt. Es ist die gestutzte Vielfraßschnecke, Bulimus decollatus. Wir sahen ihr Gehäuse (Fig. 2.) oben abgestutzt und wie abgebrochen und nicht wie gewöhnlich mit kleinen Umgängen anfangend. Jedermann würde glauben, es sei ein schadhaftes Exemplar und das Thier habe das durch das Abbrechen der Spitze entstandene Loch wieder ausgebessert. Es verhält sich aber in der That anders. Verfolgen wir den sonderbaren Ruinenbau vom Anfange bis zum Ende.

Vom Mai an legt die Schnecke 30 bis 40 kugelrunde, schneeweiße, kalkschalige Eier von der Größe eines großen Senfkornes (Fig. 3.) und verbirgt sie in kleinen Grübchen des feuchten Erdbodens. Bricht man kurz vor dem Auskriechen ein Ei auf (Fig. 4.), so findet man darin das junge Schneckenthier bereits mit einem kleinen Gehäuse versehen, welches nicht die mindeste Aehnlichkeit mit dem Mutterthiere hat. Es besteht aus 2 Umgängen und ist beinahe kugelrund (Fig. 5.).


Die abgestutzte Vielfraßschnecke, Bulimus decollatus, und die Entwicklung ihres Gehäuses.

Fig. 1. Das Thier mit seinem Gehäuse; – Fig. 2. letzteres allein, beides in natürlicher Größe; – Fig. 3. ein Ei in nat. Gr.; – Fig. 4. ein altes, vertrocknetes, dem Auskriechen nahe gewesenes Ei aufgebrochen, um das kleine Gehäuse sichtbar zu machen, vergrößert; – Fig. 5. dieses Gehäuse in nat. Gr.; – Fig. 6. ein 6–8 Wochen altes Gehäuse; – Fig. 7. ein etwas älteres, an welchem die erste Beseitigung der Spitze bereits stattgefunden hat; – Fig. 8. vergrößerte Ansicht des Verschlusses nach erfolgter letzter Abstoßung der oberen Umgänge; – Fig. 9. Größe und Form, welche das Gehäuse haben müßte, wenn nicht die Abstoßung der oberen 9–10 Umgänge stattfände; – Fig. 10. innere Ansicht eines der Länge nach durchsägten Gehäuses (Fig. 11. stellt das abgesägte Stück dar), wodurch man die Spindelsäule als Achse des Gehäuses wahrnimmt; ein korkzieherartig gedrehtes Papierstreifchen ist in den Umgängen um die Spindelsäule geschlungen, um die Figur verständlicher zu machen.


Mit dem Eintritt in die Welt erwacht in dem jungen Schneckchen der Bautrieb; es vergrößert sein Gehäuse durch Anbau am Mundsaume, wobei die neuen Umgänge, aber anfangs nur in sehr unbedeutendem Grade, immer etwas höher und weiter werden, weil das wachsende Thierchen einen zunehmenden Raum braucht. Dem jungen Baumeister dient dabei eine ziemlich scharfe Kante als Lehre, welche die Umgänge haben und auf welcher die neuen Umgänge aufgesetzt werden. An Fig. 6. und 7. ist diese Kante mit einem Sternchen bezeichnet. Etwa 6–8 Wochen nach dem Auskriechen aus dem Ei hat das Gehäuse die Gestalt und Große von Fig. 6. erreicht und bis dahin hat das Thier das ganze Gehäuse bis hinaus in die oberste Spitze ausgefüllt, wie es bei allen Schnecken Regel ist. Nun aber wird

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_408.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)