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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

mußten deshalb Patronentasche und Gewehr hoch über den Kopf halten, um die Munition nicht zu verderben. Bald war jedoch der Fluß so angeschwollen, daß es dem Fußvolk nicht mehr möglich war, hindurchzukommen. Deshalb wurden jetzt die Kosaken zu Hülfe genommen. Hinter sich auf die Gruppe ihrer kräftigen, gewandten Pferde nahm jeder Kosak einen Infanteristen und führte mit erfahrener Hand das treue Thier durch die tobenden Fluthen. Glücklich hatte so die Infanterie und die Verwundeten das jenseitige Ufer erreicht, aber noch standen drüben die Geschütze und Wagen, welche man auf keinen Fall dem Feinde überlassen durfte. Auch für diese wurde Rath geschafft. An jedem Geschütz wurden die vorhandenen Ketten und Taue fest zu einem Ganzen verbunden, dessen eines Ende an dem Geschütz befestigt wurde, während das andere in der Hand der Kanoniere blieb. Diese schwammen nun mit ihren Pferden über den Fluß, hängten das Tau in die Zugseile ihrer Geschirre, trieben die Pferde an und so zogen sie Wagen und Kanonen zum jenseitigen Ufer.

Wiederum wurden die Verwundeten und Todten in Abyn untergebracht, wieder wurde um die Festung herum das Lager bezogen. Wie gar verschieden war unser heutiges Bivouac von dem letzten Male, und nicht einmal Ruhe wurde uns zu Theil, denn um Mitternacht wurde Alles geweckt, und der Weitermarsch angetreten. Es hatte sich nämlich schon in der vorigen Nacht das Gerücht verbeitet, daß die Tscherkessen, unsere Abwesenheit benutzend, Nikolajewka eingenommen, geplündert und angezündet hätten. Man denke sich unsern Schreck! Jeder von uns hatte dort sein, wenn auch noch so geringes Hab und Gut, viele Weiber und Kinder zurückgelassen. Deshalb brach man auch sogleich auf, um den Wald, in dem wir das erste Mal so manche üble Erfahrung gemacht hatten, noch bei Nacht zu passiren, Noworossisk in Eilmärschen zu erreichen und, wenn sich das Gerücht bestätigen sollte, blutige Rache an den Thätern zu nehmen. In möglichster Stille ging der Marsch fort, Niemand sprach, Keiner rauchte, ja die Lunten bei den Geschützen waren versteckt, um durch ihr Glühen die Colonne nicht zu verrathen. Wäre der Weg nicht gar zu kothig und weich gewesen, so hätte man auch die Räder der Fahrzeuge mit Stroh umwickelt gehabt, aber so war dieses theils nicht so nöthig, wie bei hartem Boden, theils auch nicht anwendbar. Glücklich waren wir durch den Wald gekommen, nur die Arriere-Garde befand sich noch darin. Die anbrechende Dämmerung verrieth jetzt dem Feinde unsern Marsch, und wüthend stürzte er sich in Massen auf diese Nachhut, um wenigstens an ihr sich für das Entkommen der Uebrigen schadlos zu halten. Man beschränkte sich nicht mehr auf Tirailleurfeuer, sondern stürmte mit blanker Waffe auf einander los. Besonders zeichneten sich hierbei die Grenadiere des vierten Bataillons aus, die durch ihre Bajonnetangriffe den Feind stets zurückwarfen, und sogar einige Gefangene machten. Das Letztere geschieht nur äußerst selten, denn die Tscherkessen sind schnellfüßig, wie ein Reh, und gewöhnlich nur den Reitern gelingt es, dann und wann Einige gefangen zu nehmen.

Wir schlugen jetzt einen andern Weg ein, der näher sein sollte, doch glaube ich, lag der Grund hierzu mehr darin, daß man nicht nochmals die verwüsteten Gegenden durchziehen, sondern lieber andre aufsuchen wollte, die den Truppen Lebensunterhalt gewähren konnten. Unsere Vorräthe waren nämlich aufgezehrt, da sie nur auf zehn Tage berechnet waren, und es hätte uns auf dem alten Wege leicht so ergehen können, wie den Franzosen auf ihrem Rückzuge aus Rußland, die in den schon durchzogenen Gegenden auch nur Kohlen und Schutthaufen statt Nahrung und Obdach fanden. Gegen Mittag hatten uns die letzten Feinde verlassen. Wir hingen die Büchsen über den Rücken und marschirten nun rasch vorwärts, so daß wir am Abend die größere Hälfte des Weges nach Noworossisk zurückgelegt hatten. Obgleich wir das Wegbleiben der Tscherkessen nur für eine Kriegslist hielten, und für die Nacht einen Angriff erwarteten, so verging doch diese ganz ruhig, ohne daß wir durch einen Schuß gestört worden wären.

Am andern Tage wurde der Marsch mit gleicher Geschwindigkeit fortgesetzt, und wenn wir an der Schlucht des Adagum die Tscherkessen abermals erwarteten, so hatten wir uns, Gott sei Dank, nochmals geirrt. Spät am Abend zogen wir in Noworossisk ein. Die erste Frage war natürlich nach Nikolajewka. „Alles wohl und unversehrt!“ war die ersehnte Antwort, die uns Allen eine Centnerlast vom Herzen nahm. Tapfer, wie vor einigen Tagen in den Feind, hieb jetzt Jeder in das Abendessen ein, denn unsere Magen waren in den letzten Tagen sehr vernachlässigt worden, da wir höchstens Hühner, und auch diese nur äußerst mager, in den Dörfern gefunden hatten.

Am 16. Januar kehrten die Truppen der Expedition wieder nach ihren verschiedenen Garnisonen zurück, um nach einigen Wochen einen ähnlichen Zug wieder zu beginnen, vor der Hand aber sich von den gehabten Strapazen etwas zu erholen.

Nun noch einige Worte über unsere Feinde und ihre Art zu kämpfen.

Die Bergvölker des Kaukasus pflegt man gewöhnlich mit dem Namen Tscherkessen zu bezeichnen, obgleich sie aus einer Menge kleiner Völkerschaften bestehen, von denen nur eine die Tscherkessen sind. In der obigen Erzählung kämpften gegen uns die Stämme der Natchòsch, Schapcùg und Abadsàch. Die Bewaffnung dieser kriegerischen Volksstämme ist so eingerichtet, daß sie sowohl zu Fuß, als zu Pferd kämpfen können, und besteht aus einer Büchse von sehr kleinem Kaliber (Erbsenrohr), einer, zwei und manchmal noch mehr Pistolen, einem Dolch und einem Säbel. Statt dieser beiden letzten Waffen sollen die am caspischen Meere wohnenden Stämme einen circa zwei Fuß langen Dolch haben. Nur selten findet man Bogen und Pfeile noch in Gebrauch. Ihre Patronen, deren sie etwa 16–20 Stück mit sich führen, bestehen aus kleinen hölzernen Röhrchen, welche das Pulver aufnehmen und durch die mit einem Fettlappen umwickelte Kugel fest zugestöpselt werden. Diese Röhrchen stecken sie in lederne Kapseln, welche von der Achsel bis zur Mitte der Brust reichen. Je nach der Breite der Brust und der Stärke der Patronen richtet sich die Anzahl derselben. Die Büchse hängt in einem Filzfutterale über die rechte Schulter auf dem Rücken, der Dolch vorn am Ledergürtel. Den Säbel, welcher weder Parirstange noch sonst eine Vorrichtung zum Schutz der Hand hat, tragen sie beim Gehen an einem schmalen Riemen über der Schulter, beim Reiten um den Leib geschnallt, jedoch immer so, daß er mit der Schärfe nach oben hängt. Derselbe befindet sich in einer hölzernen Scheide, die mit Leder überzogen ist, und in welche die Klinge mit fast dem ganzen Griffe hineinfällt. Die Pistolen stecken eine hinter dem Rücken im Gürtel, eine andere in einem ledernen Futterale, welches vorn am Gürtel an der linken Seite hängt. Führen sie noch eine dritte Pistole, so steckt diese am Sattel. Im Gefecht bedienen sie sich der Feuerwaffen, obgleich sie nur schwach mit Pulver versehen sind; selten greifen sie zur blanken Wehr. Jeden Strauch, jeden Fels, jeden Baum benutzen sie meisterhaft, um von da aus dem Feind eine unerwartete Kugel zuzusenden.

Gewöhnlich jedoch kämpfen sie zu Pferde, und dann ist ihre Gefechtsmethode die der meisten kriegerisch wilden Völkerschaften. Im stärksten Laufe ihrer vorzüglichen Rosse stürzen sie auf die Tirailleurlinie zu, schießen, ohne viel zu zielen, auf 20–35 Schritte los und suchen sich eben so schnell, wie sie gekommen, wieder den russischen Kugeln zu entziehen. Gewöhnlich kämpft Jeder nach eigenem Gutdünken, und nur höchst selten vereinigen sie sich zu einer gemeinschaftlichen Operation; wenigstens habe ich es in den Jahren 1850–1856 in den der Mündung des Kuban zunächst liegenden Theilen des Kaukasus nicht anders bemerkt. Haben sie sich aber einmal zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen vereinigt, dann suchen sie dieses auch mit Hartnäckigkeit durchzusetzen, und wir können uns immerhin auf harte Kämpfe, oft mit den blanken Waffen, vorbereiten. Freilich vereitelt auch öfters ihre Uneinigkeit, die besonders beim Vertheilen der Beute nach einem Siege hervortritt, das Unternehmen, oder ihre Absicht wird früh von uns errathen und durch energische Gegenmaßregeln vernichtet. In beiden Fällen kehren sie ruhig in ihre Wohnungen zurück, sich, wie alle Muhamedaner, damit tröstend, daß es von dem unabwendbaren Fatum nicht anders bestimmt war. Kommt es aber doch zum Zusammentreffen, dann bereite man sich auf einen heftigen, wenn auch kurzen Kampf vor. Wie die Katzen kommen sie gewöhnlich des Nachts angeschlichen, nichts verräth ihre gefahrdrohende Nähe. Da blitzt ein Schuß durch die dunkle Nacht, gespenstergleiche Schatten springen hinter jedem Busch und Baum in die Höhe, ein gellendes Geschrei erschüttert Mark und Bein. Die Pistole in der einen Hand, den Säbel in der andern, so stürzen sie in das Lager, Schuß auf Schuß erhellt die Dunkelheit mit grellem Licht, um uns auf Augenblicke den grausamen Feind zu zeigen. Wehe uns, wenn unsere Tirailleurkette die Wüthenden nicht so lange aufzuhalten vermag, bis die Truppen im Lager einigermaßen geordnet sind! Tod oder, was viel schlimmer ist, eine Gefangenschaft, wie sie einst die Christen in den afrikanischen

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