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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Erinnerungen an den Kaukasus.
Von einem russischen Officier.
(Schluß.)

Am folgenden Morgen sollte die Festung Abyn erreicht werden, wozu wir nur einen kleinen Marsch, circa 15 bis 16 Werste, vorhatten. Kaum eine Werst von unserem Nachtquartiere betraten wir einen dichten Hochwald, in dem wilde Aepfel- und Birnbäume das vorherrschende Holz waren. Der Weg war so schmal, daß nur ein Wagen darauf fahren und wir nur in Abtheilungen von geringer Breite marschiren konnten. Hierdurch wurde die Colonne bedeutend länger, öftere Stockungen traten ein und so bewegten wir uns nur langsam vorwärts. Dazu kam, daß der Feind das dichte Holz zu verstärktem Angriffe benutzte und unsern Tirailleurs, die alle Noth hatten, in dem gräulichen Dickicht mit der Colonne zugleich vorwärts zu kommen, vielen Schaden zufügte. Immer heftiger knatterten die Gewehre, Verwundete wurden häufiger gebracht und obgleich Abtheilungen vom Gros nach den bedrohtesten Punkten zur Verstärkung abgingen, so wurde doch dadurch der Angriff nicht schwächer, die Zahl der Verwundeten nicht geringer. In dieser gefährlichen Situation tönte plötzlich das Signal „Halt!" klagend durch die Luft. Auf dem schlechten Wege war die Achse eines Geschützes gebrochen und wenn man auch sogleich eine andere bei der Hand hatte, da deren immer vorräthig gehalten werden, so nahm doch das Einlegen ziemlich viel der gerade jetzt höchst kostbaren Zeit in Anspruch.

Uebergang über den Abynka.

So viel Nutzen ein Geschütz im freien Felde bringen kann, so hinderlich ist es im Walde und Gebirge. Auch uns hatte die Kanone noch nichts genützt und jetzt mußten wir noch warten, bis ihre Wiederherstellung vollendet war. Geschickt wußte der aufmerksame Feind den Stillstand zu benutzen. Mit überwiegendem Angriff drängte er unsere Tirailleurs auf der linken Seite bis nahe an das Gros. Schon fielen Leute in der Colonne, erreicht von den feindlichen Kugeln, da rief unser Oberst: „Mir nach, Kinder!“ und jubelnd stürzte sich Alles mit lautem Hurrah, das Haubajonnet auf dem Gewehre, dem Feinde entgegen. Geworfen und auf einige Zeit zerstreut, wich dieser rasch zurück, unser Zweck war erreicht, aber – die Achse hatte nahe an 50 Menschen das Leben gekostet. Bald waren wir nun am Ende des Waldes und hier winkte uns auch schon, freilich noch auf eine Entfernung von 5 bis 6 Wersten, unser Ziel, Abyn, entgegen.

Außerhalb des Waldes hörte auch das Schießen allmählich auf, wir schritten wacker aus und bald bezogen wir mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen unser Lager rings um die Werke der Festung. In dieser selbst konnten wir nicht unterkommen, da der Platz zu klein war und übrigens auch noch ein Truppencorps aus Tschernomorien, dem Lande der tschernomorischen Kosaken, erwartet wurde. Alle Verwundete jedoch wurden in dem Lazareth der Festung untergebracht, den Todten aber die ewige Wohnung bereitet.

Rasch stieg unter den fleißigen Händen der militairischen Baukünstler

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_405.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)