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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ist’s etwas Anderes, nicht wahr? O ja, China wurde durch den „Opiumkrieg“ der Civilisation geöffnet, während welches sich anständige chinesische Familien nach Gützlaffs Augenzeugniß vieltausendweise selbst ermordeten, nur um nicht in die Hände der „rothborstigen Barbaren“ zu fallen. Nach hundertjähriger Civilisation in Indien wurden 1800 Engländer mit Frauen und Kindern abgeschlachtet, und die Soldaten fallen wie die Fliegen. In Amerika zerreißen sich die Südstaaten und die nördlichen gegenseitig Geister und Leiber, Cultur, Ehre und Anstand, nur wegen der Frage, ob die stets neu hinzukommenden Staaten Sclaven- oder freie Staaten werden sollen. Und siehe, es werden immer Sclavenstaaten. Vielleicht brechen auch England und Amerika noch einmal wegen dieser Civilisations-Verbreitung gegen einander los. Dabei kommt kein Weltfriede, keine Menschheits-Cultur heraus. Diese wird nur von den Deutschen, die einzeln mit Kraft, Willen, Geschicklichkeit, Fleiß, Talent, Kunst und Wissenschaft in alle Welt gehen und produciren, statt zu schlachten, wirklich und wahrhaft verbreitet und rund um die Erde verwirklicht werden.





Die Geschichte eines Irren.
Aus J..a.
(Schluß.)


„Geh, Du närrisches Mädchen,“ rief da Heinrich, der Goldschmiedssohn, und versuchte, über die Furcht des Mädchens zu spotten und zu lächeln, aber er vermochte es nicht, denn es fiel ihm ein, daß er heute gekommen war, um Abschied von seinem Mädchen zu nehmen und ihr anzukündigen, daß er zurück in das Heimathshaus wolle, um dort das Geschäft zu übernehmen und sein Röschen dann als Frau nachzuholen.

Schon seit einem Jahre war er mit Röschen heimlich verlobt. Er hatte seinen Eltern, nichts darüber geschrieben, weil er sie einst selbst mit der freudigen Kunde überraschen wollte. Daß dieselbe freudig aufgenommen wurde, daß er der elterlichen Zustimmung von vornherein gewiß sein konnte, war außer Zweifel, denn er wußte, wie sein Wille seinen Eltern heilig war – auch hätte Niemand gegen die Verbindung Einwendung machen können. Röschen war ein liebevolles, gebildetes Mädchen, die einzige Tochter eines Schullehrers. Der Vater war indeß vor Jahren gestorben und die Mutter deshalb mit der verwaisten Tochter von der Hauptstadt zurück in ihr Heimathstädtchen gezogen, wo ihr von ihren Eltern her noch ein Häuschen und ein Gärtchen blieben. Da lebte sie in stiller Zurückgezogenheit von ihrer Pension und ihrem eigenen Vermögen. Der hübsche junge Goldschmied Heinrich Hartmann hatte sich einen Eingang in das Herz ihres Röschens verschafft und ihr mütterliches Gewissen hatte gegen dieses „Verhältniß“ keine Einwendungen, sie ließ es unter getreuer Ueberwachung sich gründen und bestehen. Es war dem biedern Manne auch wirklich Ernst um seine Liebe – daher das erwähnte Vorhaben.

Die Thräne, welche die Kunde davon in den blauen Augen des Mädchens hervorrief, denn es hieß ja jetzt: Meiden und Scheiden, zerrann bald in dem Gedanken, daß es keine dauernde Trennung, sondern nur eine solche sein sollte, welche, um eine ewige, unauflösliche, innigere Bereinigung herbeizuführen, nothwendig war.

Acht Tage später stand Heinrich wieder im Garten, das Ränzchen auf dem Rücken, den Wanderstab in der Hand – denn das war damals noch in der guten alten Zeit, wo das „Wandern“ noch in Ehren und durch die Eisenbahn noch nicht verdrängt war. Schluchzend hing Röschen an seinem Halse, auch die alte Frau Schullehrerin stand teilnehmend dabei und hatte viel goldene Sprüche und alte weise Lehren im Munde, welche sie dem Wanderer mit auf den Weg gab, auch manch’ schönen Gruß an die Eltern daheim. Des früh verstorbenen Gatten ward dabei auch gedacht, wie ein Schmerz immer wieder die alten alle aus ihren Schlummerhöhlen weckt. Heinrich hatte für alle Worte des Trostes, obwohl es ihm recht schwer zu Herzen ging und er Mühe hatte, die Thränen zurückzuhalten – er fühlte jetzt erst, wie unentbehrlich er der kleinen Familie war, wie er ein nothwendiges Glied derselben geworden, wie sein Scheiden eine Lücke lasten müßte, und jetzt, gerade jetzt flüsterte ihm eine Stimme tief aus einem bisher unaufgedeckten Winkel seines Herzens zu, daß er sich in seiner Zuversicht auf das heimische Glück doch getäuscht haben könnte. Konnte in der Zeit, seit er vom heimischen Heerde geschieden, sich nicht Vieles geändert haben? Aber – fort mit den verwirrenden Gedanken; er drückte das weinende Röschen noch einmal an Mund und Herz, reichte der Mutter die letzte Abschiedshand und –

„Heinrich, Heinrich, mir ist, als wenn wir uns nicht wieder sähen!“

„Wenn nicht hier unten, da droben sicher!“ sagte Heinrich, mit dem Finger gen Himmel weisend. „Lebt wohl!“

Als sich Mutter und Tochter vom ersten Schmerze erholt hatten und aufblickten, war Heinrich schon weit fort; drüben, wo die Landstraße sich erhöht und hinter einem Wäldchen verschwindet, winkte er noch mit seinem Hute, auf welchen die Geliebte ihm den schönsten Strauß Blumen gesteckt hatte.

Mutter und Tochter sanken sich weinend in die Arme. Im Abendwinde nickten die Blumen und beugten sich leise nieder – eine weiße Rosenknospe fiel gebrochen zur Erde.




III.

„Es wird kein Faden so heimlich gesponnen, daß er nicht käme an die Sonnen! – Das Sprüchwort hat sich hier wieder bewährt,“ sprach der Schneider Baldrian zu seinem Nachbar, dem Webermeister Habekorn, der bei ihm auf der Steinbank vor der Hausthüre saß. „Ich hätte es voraussagen können, wenn sie mich gefragt hätten. Wie war der alte Hartmann auf einmal zu dem Gelde gekommen? Und lauter harte Goldstücke? Geerbt? Das ist die gewöhnliche Ausrede. Erbschaften fallen nicht blos so mir nichts, dir nichts vom blauen Himmel herunter. Das mußte eine andere Bewandtniß haben – und die hat’s auch gehabt. Nun ziehen sie ihm die doppelfarbige Jacke an und er muß den Leuten Holz mit vor die Thüre fahren. Ja, unrecht Gut gedeiht nicht.“

„Ei, ei! Was man nicht Alles erleben muß. Wer hätte das gedacht – der Mann war immer so brav und redlich.“

„Nur der arme Junge dauert mich, wenn der heim kommt und sieht das Elend.“

„Ja, auf die Kinder geht der Fluch der Eltern auch mit über.“

„Sieh, sieh, da führen sie ihn vorbei!“

Begleitet von einem Schwarme Kinder kam die Straße herauf ein Gerichtsdiener mit einem Gefesselten. Es war ein überaus bleicher Mann, den Blick schlug er tief zu Boden, die Augen wie geschlossen.

„Es ist Hartmann, der Goldschmied, der Falschmünzer,“ flüsterte es aus Thür und Fenster.

Er war es, gefanglich eingezogen wegen Verdacht der Falschmünzerei. Jener finstere, unheilvolle Gang, auf dem wir ihn begleiteten, führte in den verborgenen Schlupfwinkel einer Falschmünzerbande. Schon lange hatten diese, mit dem trostlosen Zustande des Goldschmieds bekannt, ihn zu sich zu locken gesucht, weil sie ihn seiner Kunst wegen gut brauchen konnten. Die steigende Noth hatte ihn endlich zu ihrem Bundesgenossen gemacht. Sein unbeholfenes Benehmen hatte sie verrathen, ihm fehlte die heuchlerische Routine eines Verbrechers.

Während sie ihn fortführen, treten wir einmal bei ihm ein in’s Haus.

Unheimliche Stille empfängt uns da, weite, dumpfe Leere. Nur der Uhrpendel geht seinen einförmigen Schlag und der Vogel im Bauer hüpft unbekümmert von Sprosse zu Sprosse. Auf dem Sopha sitzt die Frau, die Hände im Schooße gefaltet, die glanzlosen Augen starr nach der Thüre gerichtet, da, wo er hinausging. In ihren Gesichtszügen zuckt der wildeste, tiefste Schmerz. So sitzt sie lange, ihrer selbst nicht bewußt, zur Bildsäule erstarrt von der furchtbaren Gewalt der Ereignisse. Endlich steht sie auf, stumm und starren Auges, wie sie dagesessen. Sie tritt zu dem, Vogel und reicht ihm sein Futter; sie legt Alles im Zimmer in säuberliche Ordnung; – sie thut dies Alles wie mechanisch, wie eine Nachtwandelnde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_378.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2020)