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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wind und Wogen erfaßt, immer weiter nach Süden abtrieb. Der Wind heulte, Schnee und Regen peitschte ihre Gesichter, Eisschollen krachten, Sturmvögel schrieen, Spottmöven stießen ihr schauerlich gellendes Lachen aus und dazwischen rollte das Gedonner der hochgehenden See, die ihre langen Riesenwellen an den eisumstarrten Sandbänken zerschlug.

Da fühlten die Verunglückten zwei, drei heftige Stöße, als bäume sich die vom Sturme wild geschüttelte Erde unter dem Meere. Die Festlandsfriesen stürzten bei diesen furchtbaren Stößen nieder und verwundeten sich an den scharfen Kanten des Eises.

„Wir sind gestrandet,“ sagte düster Taken Mannis.

„Gestrandet vor Capitains Knob!“ ergänzte noch düsterer sein Bruder Jens.

Wieder bewegte sich das Eisfeld, eine neue Fluthwoge hob es empor, dann stürzte es mit seiner ganzen furchtbaren Schwere zurück auf den unsichtbaren Sand und barst mitten auseinander.

„Um Mitternacht hat uns die See verschlungen,“ sprach Taken gelassen. „Dann ist Hochwasser und unser zerbrechliches Eiswrack zersplittert in tausend Stücke.“

Niemand wagte zu widersprechen. Die Langenesser luden stumm ihre Büchsen, und während Woge nach Woge das Eiswrack hob und senkte, der zum Sturme angeschwollene Wind Schauer von Schnee und Hagel auf die Verlassenen herabschüttete, die Wellen Stück nach Stück von dem Eisfelde abbröckelten und die Brandung ihren Gischt weiter und immer weiter an den scharfen Wänden heraufspritzte, krachte Schuß auf Schuß in die Nacht hinein, bis der letzte Rest des Pulvers erfolglos verbraucht war.

Gegen Mitternacht zerbrach das Eis abermals. Die Hochfluth machte die einzelnen Schollen wieder flott und unter dem bleichen Zwielicht, welches der von Wolken umhüllte Mond über die wilde Scene verbreitete, trieben die Unglücklichen, auf drei mächtige Schollen vertheilt, in die rasende Nordsee hinaus.




VIII.
Nicol Mannis in der Sturmnacht.

Auf den Halligen beobachtete man das rasche Umspringen des Windes und die gleichzeitig eintretende Veränderung der Luft nicht ohne Besorgniß. Vielfache Erfahrungen lehrten, daß stürmisches Wetter in solcher Jahreszeit alle Berechnungen der Vorsicht zu Schanden macht. Die Zeit des Vollmondes führt jedes Mal ein höheres Anschwellen der Fluth herbei, jene räthselhafte Erscheinung, welche die Küstenbewohner Springfluth nennen. Gesellt sich dann noch ein Sturm von längerer Dauer hinzu, so erreicht das Meer oft eine unglaubliche Höhe und schlägt mit verzehnfachter Gewalt gegen alle von Menschenhand zum Schutz gegen die Verwüstungen empörter Wogen aufgeführten Bollwerke.

Nicol Mannis hatte eine Wetterveränderung erwartet, dennoch überraschte auch ihn der so frühe Eintritt derselben. Er beobachtete von seiner Warft aus mit großem Interesse die Verwandlungen in der Atmosphäre. Alle Zeichen verkündigten einen heftigen Sturm. Dies veranlaßte ihn, sein Haus zu ordnen und gewissermaßen in Vertheidigungsstand zu setzen. Alle Sachen von Werth, seltene Kostbarkeiten, die er sich während seiner Seefahrten unter fremden Völkern auf der anderen Erdhälfte erworben hatte, wurden auf den Boden des Hauses geschafft und hier in starke Kisten verpackt, die mit Eisenklammern an die gewaltigen Balken befestigt waren, welche die eigentlichen Grundpfeiler des Hauses bilden, da sie durch die Erdmasse des Warftes in den Grund der Hallig gleichsam festgenagelt sind. Einmal schon hatte der alte Capitain es erlebt, daß die Warft fast ganz von den Wogen zerschlagen wurde und von dem Hause, das auf ihr ruhte, nur der Dachraum übrig blieb.

Frau Ellen, seine Tochter Karen und die zwei jungen Mädchen vom Festlande, ihre weitläufigen Verwandten, waren dem vorsichtigen Manne dabei eifrig zur Hand. Den Fremden machte dies Schaffen und Sorgen sogar Vergnügen. Sie bekamen dabei das Heirathsgut Karen’s, einen Schatz ausgezeichneter Leinwand, zu sehen und konnten dasselbe mit ihrer eigenen dereinstigen Aussteuer vergleichen, die, nach friesischer Sitte, schon längst in schön gemalten Koffern wohl verpackt in ihren Kammern stand. Vor einer wirklichen Gefahr, die augenblicklich noch nirgends zu erblicken war, bangte den fröhlichen Andern nicht. Die ernste Miene Nicols nahmen sie für allzugroße Bedenklichkeit des Alters. Erst nachdem Alles geordnet und auch die Bänder der beweglichen Treppe, welche aus der Hausflur nach dem Boden geleitete, gelockert worden waren, brach Mannis sein bisher beobachtetes tiefes Schweigen.

„In wenigen Stunden schon wird die Fluth das Eis brechen,“ sprach er. „Dann treibt es der Sturm über die Halligen und wirft es an unsere Warften, daß alle Nägel im ganzen Hause erzittern. Mir ist’s nur lieb, daß der Sturm vor dem Vollmonde rast, das schützt uns vor einer Sturm-Springfluth.“

Mannis ließ nun seine weiblichen Hausgenossen gewähren. Er verwandte kein Auge mehr von dem immer dunkler sich färbenden Himmel. Das ruhelose Hin- und Herfliegen der Windfahne war sein zweites Augenmerk. Diese Unruhe gefiel ihm nicht. Er schüttelte wiederholt den Kopf und sah durch’s Fernrohr. Es war jedoch wenig, in größerer Ferne nichts zu erkennen. Der bereits heftig wehende Nordwest trieb Schnee- und Eisnebel vor sich her und hüllte Alles in trübe, kalte Schleier.

Von seinen Söhnen und ihren Begleitern sprach Nicol nicht. Ellen nur erwähnte ihrer, als sie Licht anzündete und das Gekrache des Eises sich bereits mit dem Pfeifen des Nordweststurmes mischte. Oft klang es, als rollte der Wiederhall eines Kanonenschusses von dem brüllenden Meere herein.

„Die sind geborgen,“ versetzte er mit Zuversicht. „Sie werden auf Föhr oder Amrom, wo sie nun eben sein mögen, ganz ruhig das Unwetter abwarten. Es ist aber leicht möglich, daß sie viel später zurückkommen, als sie ursprünglich beabsichtigten. Denn wenn starkes Thauwetter eintritt und Alles rund um die Inseln von Sturm und Fluth zertrümmert wird, ist die Binnensee kaum vor ein paar Wochen in einem starken Boote sicher zu befahren. Werdet Euch also ein paar Tage länger bei mir gedulden müssen.“

Den Mädchen leuchtete dies ein. Sie blieben heiter und gesprächig und die Windstöße, welche wiederholt an den Wänden des Hauses rüttelten, beunruhigten sie eben so wenig, als das Dröhnen berstender Schollen und der Schwall der Wogen, der schon ein paar Stunden nach Sonnenuntergang den Fuß der Warft umspülte und eine Mauer dicken Eises um sie aufhäufte.

Zu gewohnter Stunde begaben sich Alle zur Ruhe. Nicol Mannis aber konnte nicht schlafen. Die Warft und das Haus zitterte unter den Umarmungen des Sturmes und den Fluthwogen der See, als bebe fortwährend die Erde. Das entsetzliche Krachen nahm gar kein Ende, es wurde eher von Stunde zu Stunde heftiger. Hagel und Regen schlugen prasselnd an die Fensterladen und durch alle, auch die feinsten Ritzen, rieselte Wasser. Verstummte auf Augenblicke das Heulen des Sturmes, dann klang noch viel schauerlicher das Gebrüll der See durch die wüste Nacht.

Mit geschlossenen Augen lag Nicol auf seinem Lager. Die weißen Vorhänge waren zugezogen und ohne die Aufregung in der Natur würde der bejahrte Seemann sich so sicher geglaubt haben, wie der Städter in seiner ringsumschlossenen, von unübersteiglichen Mauern umgebenen Wohnung.

Es kam ihm vor, als funkele dann und wann etwas Helles vor seinen Augen. Oeffnete er dann die schweren Lider, so sah er nichts, als den dämmernden Schimmer der Vollmondnacht, die durch die Ritzen der Läden brach. Indeß wiederholte sich dies zuckende Aufflammen mehrmals, der Sturm wuchs, alle Balken im Hause ächzten. Nicol stand auf, kleidete sich schnell an und versuchte, die äußere Thüre zu öffnen.

Ein Strom weicher, fast warmer Luft wehte ihm entgegen. Der Wind war ganz nach Westen gelaufen und trieb jetzt berghohe Wogen gegen die Inseln und Küsten, auf deren rollenden Kämmen weiße Eisblöcke wie Marmorsteine blinkten.

Im Zenith schimmerten die Sterne, um den Mond standen Wolkenmassen von Silber umsäumt, die sein Licht beträchtlich abdämpften. Gegen Westen thürmten sich schwarze Wetterwolken empor, aus deren Schooße oft grell rothe Blitze brachen und als feurige Schlangen in die schäumenden Wellen untertauchten. Ob diese Blitze von Donnerschlägen begleitet waren, ließ sich nicht unterscheiden, da Wind, Fluth und zerberstendes Eis ein fortwährendes Donnern und heulendes Sausen erzeugten.

Noch hatte der Sturm nicht seine größte Höhe erreicht, dem alten Seemanne aber sagte die Richtung, aus der er wehte, daß er sich bald legen werde. Umlaufende Stürme pflegen nicht von langer Dauer zu sein.

Nicol suchte eine Stelle zu gewinnen, wo die Windsbraut ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_370.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)