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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Ganz in der Gestalt eines Menschen, der eben aus dem Wasser gezogen wird. Seine Kleider trieften, die Haare hingen ihm feucht um’s Gesicht, die Augen sahen mich traurig und als ob er mich um etwas bitten wollte, an. Sein Gang war der eines gewöhnlichen Menschen, nur schwebender und geräuschlos. Als ich ihn anrief, zerrann das Bild in der Luft und ein Klageton zitterte das einsame Gestade entlang.“

„Dann sind uns heute Mittag vor Capitainsknob Wiedergänger begegnet,“ fiel Jens ein. „Ihr saht doch wohl die fahlen Gesichter mit den lang herabhängenden Haaren?“ fuhr er fort, seinen Geschwistern sich zuwendend. „Der Eine hing in den Wanten des Fockmastes, der Andere stand am Steuerrade. Ihre Kleidung triefte von Wasser und als das Schiff vorübersegelte, zerrannen sie zuerst in der matt nebligen Luft.“

„Es war so, wie Jens sagt,“ sprach Karen, ihren Verlobten fester umarmend und ihr Gesicht an seiner Brust bergend. „Das Auge des Mannes am Steuer war so fest auf mich gerichtet, daß ich vor Furcht laut aufschrie.“

„Und den Namen des Schiffes konntet Ihr deutlich erkennen?“

„Wir sahen ihn alle drei zugleich,“ versetzte Taken.

Nicel Mannis schüttelte den Kopf.

„Mich dünkt,“ nahm er nach einer abermaligen Pause das Wort, während welcher die ungläubige Mutter besorgte Blicke mit Karen wechselte, „mich dünkt, Euer Begegniß soll uns Allen eine Warnung sein. Wiedergänger bringen nichts Böses, sie zeigen sich uns, damit wir Vorkehrungen gegen ein drohendes Unglück treffen. Auch zeigen sie böses Wetter, hohe Fluthen, verheerende Stürme an. Am meisten müssen wir uns vor dem Orte hüten, wo sie uns begegnen. Solche Orte werden uns gefährlich. Wenn Ihr also wieder in See geht, dann legt Euch nicht im Angesicht der Amromer Dünen vor Anker! Die dortigen Gründe und Schwellen sind ein gefahrvolles Fahrwasser. Eine plötzliche Regenbö kann Euch rettungslos auf Sandbänke werfen, wo Ihr verhungert oder ertrinkt, eh’ ein anderer Schiffer Euch entdeckt. Das ist’s, was das Nebelschiff mit seiner stummen Bemannung, in der ich wohl meinen ostfriesischen Steuermann und meinen Mat vom indischen Nabob wieder erkannt haben würde, Euch hat andeuten wollen.“

Ellen machte einen Versuch, die Behauptung ihres Gatten zu bestreiten. Das war aber kein leichtes Unternehmen; denn Nicol Mannis hing an dem mit der Muttermilch eingesogenen Aberglauben seiner Landsleute so fest, wie an den Aussprüchen des Evangeliums. Auch stand die vorurtheilsfreie Festlandsfriesin mit ihrer Ansicht ganz allein. Ihre Kinder, desgleichen ihr künftiger Schwiegersohn schlossen sich, als echte Uthlandsfriesen, unbedingt dem Vater an. Und als Geike Woegens ziemlich spät die Warft verließ, waren die Zurückbleibenden fester denn je überzeugt, daß sie von mitleidigen Wiedergängern vor einem ihnen bevorstehenden Unfalle gewarnt worden seien.




IV.
Fahrt nach dem Wrack.

Am nächsten Morgen verließ Nicol Mannis schon mit Sonnenaufgang sein Haus. Der erste Blick des alten Seemanns war auf die Windfahne gerichtet, die er auf einem Giebel des Hauses in Gestalt eines segelnden Schiffes angebracht hatte. Sie zeigte dick West. Hierauf umschritt Nicol die ganze Warft, oft ausblickend nach der Binnen- und Außensee. Noch gewahrte man nirgends ein Segel. Der Wind hatte sich gelegt und da die Fluth eben erst aufzulaufen begann, lagen die endlosen Watten noch größtentheils trocken. Die Morgensonne warf glührothe Lichter über Sand- und Schlickwatten, so daß der Meeresboden stellenweise von dunkeln Feuerwogen durchfluthet zu sein schien. Den seltsamsten Anblick aber boten jetzt die Halligwohnungen dar. Manche der entfernter gelegenen glichen Zuckerhüten oder Bienenkörben, um deren Borde das Sonnenlicht in goldglitzernden Strahlen sich brach. Andere hoben sich zugleich mit ihren Warften wie breite Opferaltäre aus dem Meere, noch Andere konnte man für ungeheuere Bautasteine halten. Eine Reihe von der Sonne angeglühter Felszacken abenteuerlichster Gestalt schloß im Süden dies eigenthümliche Seepanorama.

Ganze Heere von Möven schwebten hier über grauen Wattenfeldern oder stiegen in Pausen über den Priehlen[1] auf und ab, die jetzt von den hereinbrausenden Fluthwogen mit silbernen Brandungen sich füllten.

Nicol Mannis beobachtete dies Leben auf dem Meere geraume Zeit. Obwohl es dem Capitain nichts Neues war, beschäftigte es ihn doch immer noch und erquickte sein Seemannsauge und sein Herz. Hörte er das Rauschen der Fluth, dann zog es ihn unwiderstehlich hinunter von der Warft. Er mußte das Rollen, Schäumen und Springen der dunkelgrünen Wogen sehen, die in ununterbrochener Reihe gegen den Grasbord der Hallig brandeten; der weiße Schaum einer springenden Welle mußte ihn benetzen, sonst war er nicht ruhig, nicht zufrieden. Hatte er aber den Duft der See mit vollen Zügen eingesogen, dann stieg er wieder die Warft hinauf, setzte sich an’s Fenster, nahm seinen Dolland und beobachtete durch das treffliche Fernrohr, ohne das er keine Stunde leben konnte, die verschiedenen Seepfade, die aus der Binnensee zwischen Halligen, Halliggründen, Sandbänken und Untiefen auf das hohe Meer hinausführen.

Nach seiner Gewohnheit lehnte sich Nicol Mannis an die Umfriedigung, die sein gut erhaltenes Haus umgab. Ihn fesselte nichts als das Meer, die Segel, die sich nah und fern zeigten, die Richtung, welche vom Süden herkommende Küstenfahrzeuge einschlugen, und ihre Bauart und Takelage.

Heute schien Nicol noch mehr als gewöhnlich in die Betrachtung des Bildes vertieft zu sein, das er seit Jahren jeden Tag wieder sah und so genau kannte. Die Stimme seiner jugendlichen Tochter störte ihn in seinem Sinnen und Träumen.

„Vater,“ redete Karen ihn an, „wenn Geike nach Tönningen reist, um sein Schiff zu übernehmen, darf ich ihn dann begleiten?“

Nicol bewegte kaum merklich das Haupt. Diese Bewegung war aber eine beistimmende.

„Will Euch selber durch die Hallige steuern,“ versetzte er, „Hab’ zu lange still gesessen, wird mir eine Mütze voll Seewind gut thun. Wann gedenkt Geike zu reisen?“

„In zwei oder drei Tagen.“

„Sollte ein paar Tage länger warten.“

„Weshalb?“

„Es ist dann gerade Neumond. Da wechselt gern der Wind.“

„Das Schiff ist befrachtet und muß in See gehen.“

„Kenne das, mein Kind, werd’ also Geike nicht halten. Ein Seemann muß pünktlich sein. – Kiek’, ist das nicht ein Boot dort bei Hains Halliggrund?“

„Der schwarze Punkt?“

„Es treibt mit der Fluth und ist unbemannt.“

„Die heftige Bö gestern Abend wird es irgendwo losgerissen haben.“

Nicol ging in’s Haus, um sein Fernrohr zu holen. Zurückkommend, durchforschte er die Meerespfade, auf denen jetzt die Fluth wogte und wallte, mit großer Gewissenhaftigkeit.

„Es ist kein Boot von den Halligen,“ sagte er. „Seine Form ist anders; es muß von See hereingetrieben sein.“

So sprechend kehrte er sich um, ging nach der Westseite, lehnte sich hier an die Befriedigung und betrachtete die majestätische Nordsee, auf deren blaugrünen Woge» häufig breite Silberhügel aufstiegen und blitzend im Sonnenlicht zerrannen. Er suchte lange auf dem endlosen Meere, ohne etwas zu entdecken, das ihn fesselte. Endlich aber blieb sein Auge auf schattenhaften Umrissen haften, die ein Nichtseemann schwerlich beachtet haben würde. Auf der einförmig wogenden See entdeckte Nicol einen Gegenstand, der ungleich dunkler war als die wallende Wasserfläche. Es konnte der Schatten einer Wolke sein, deren viele langsam durch die Luft segelten. Der Halligbewohner bemerkte aber, daß der dunkele Punkt sich nicht bewegte und daß häufig blendend helle Lichter um ihn aufzuckten. Er wußte jetzt, was er vor sich hatte. Das Fernrohr rasch zusammenschiebend, rief er seinem jüngeren Sohne zu, der beschäftigt war, von einem der Heudiemen Futter herabzuholen:

„Jens, mach’ Dich fertig und rufe Taken! Draußen bei Engelssand sitzt ein Wrack. Bei nächster Ebbe zerschlägt es die Brandung. Wollen sehen, ob ’was zu bergen ist und ob die Mannschaft sich gerettet hat.“

Die schnell herbeispringenden Brüder fanden sogleich den vom Vater ihnen bezeichneten Punkt. Auch sie erkannten mit scharfen Seemannsaugen in dem dunkeln Schatten ein gestrandetes Fahrzeug. Auch Karen und selbst Ellen blickten durch das Fernrohr, und alsbald machte sich eine quecksilberne Lebendigkeit auf Nicol


  1. Schmale Stromrinnen zwischen und auf den Watten.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_346.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)