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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

nur der „gehorsame Diener“ der Musensöhne war. Denn diese bildeten einen wohlorganisirten Staat im Staate mit eigenen Gesetzen und eigener Gerichtsbarkeit und „die Philister waren ihnen gewogen meist, denn sie ahnten im Burschen, was Freiheit heißt.“ So hart die Corps gegenseitig oft auch aneinander geriethen, mit welchem Ernst und Gewicht ihre diplomatischen Differenzen auch verhandelt wurden, so oft von dem einen oder anderen auch „Verschiß“-Erklärungen ausgingen und der blutige Zweikampf mehr als einmal die vermeintlich befleckte Ehre repariren mußte: so schaarten sich doch die Jenenser Studenten, welche Farben sie auch trugen und in welche folgenschwere Kämpfe sie auch verwickelt waren, wie ein Mann um das gemeinsame Banner, wenn die studentische Integrität oder Oberhoheit von da oder dorther bedroht war. Wie damals die deutsche Freiheit nur im deutschen Liede, so war die deutsche Einigkeit auch nur bei der studirenden Jugend zu finden.

Es war im Sommersemester 1842, als die deutsche Einheit der Jenenser Studenten wieder einmal in hellen Flammen aufloderte. An einem heißen Julisonntage, nachdem man gegenseitig etwas über den Durst in Lichtenhain dem Safte des Gambrinus zugesprochen, kam es zwischen den Studenten irgend einer Verbindung und den anwesenden „Knoten“ zu einer grandiosen „Holzerei“, bei welcher die letzteren mit blutigen Köpfen heimgeschickt wurden. Die triumphirenden Sieger vergaßen aber die nöthige Vorsicht; zerstreut kehrten sie in die Musenstadt zurück; bevor er nach Hause ging, erzählte der Eine noch auf der „Rose“, der Andere im „Burgkeller“, der Dritte im „Bären“ u. s. w. das Ereigniß des Tages und zog sich dann, wie gewöhnlich, erst spät in die Einsamkeit seines Zimmers zurück.

Unterdessen kochte in dem Gemüthe der geschlagenen Handwerksburschen, die „trauernd tief“, wie Don Diego, in ihrer Herberge beisammen saßen, die Rache; mit der bewußten vereinten Studentenverbindung konnten sie sich nicht messen, das stand fest; sie beschlossen daher, ihr Glück im Einzelnkampfe zu versuchen, der ja auch im berühmten trojanischen Kriege keine verachtenswerthe Rolle gespielt hat. Ein stämmiger, grobknöchiger Schustergeselle übernahm es, heute Nacht noch einen Feind aufzusuchen. Und nicht lange stand es an, so traf er in einer einsamen Straße Jena's einen harmlosen „Fuchs“, der die Farben der siegreichen Verbindung trug. Ohne Weiteres drang er auf ihn ein, versetzte ihm mit seinem gewundenen Stocke eins auf den Kopf, daß er bewußtlos zu Boden fiel, und walkte den Wehrlosen dann noch überdies dergestalt durch, daß er nach einiger Zeit für todt von der Straße aufgehoben wurde. In der That waren seine Verletzungen sehr erheblich und die Aerzte gaben wenig Hoffnung für die Erhaltung seines Lebens.

Mit telegraphischer Eile gelangte schon am frühen Montagmorgen die Kunde von der barbarischen Mißhandlung eines ihrer Commilitonen zum Ohre eines jeden akademischen Bürgers. Die Theilnahme, die sich dem Mißhandelten zuwandte, war eben so allgemein und aufrichtig, als die Erbitterung gegen den Thäter gründlich und ernst war. Sein Name war bekannt; da aber der Träger desselben augenblicklich nicht ausfindig gemacht werden konnte, so ließ man vorläufig sein Wanderbuch auf der Polizei mit Beschlag belegen, nachdem der Fall bei derselben angezeigt und sie zur Fahndung aufgefordert worden war.

Am Montag Vormittag wurden die Collegien nur mit halber Aufmerksamkeit angehört; die sich Begegnenden wußten von nichts Anderem zu reden, als von dem Verbrechen, das in der letzten Nacht begangen worden war.

Am Nachmittage bildeten sich auf dem Markte einzelne Gruppen Studirender, die sich schnell sichtlich verstärkten. Jede Straße und jedes Gäßchen sandte sein Contingent auf den allbekannten Krystallisationspunkt der Musenstadt. Bald war der ansehnlichste Theil der Studentenschaft hier versammelt. Nachdem ein vielerfahrener, die studentischen Interessen getreulich wahrender Altbursche den Anwesenden eröffnet hatte, daß die „Knoten“ heute ihren „blauen“ in Lichtenhain feiern, wo sich der Maleficant sehr wahrscheinlich auch befinde, ward ohne weitere Debatte ein Zug dorthin beschlossen. Man wollte den Uebelthäter eigenhändig der Polizei überliefern.

Ich war noch nicht drei Monate auf der Universität, als dieses Ereigniß zwischen meine stillen Studien fiel. Da der Nachmittag allgemein „geschwänzt“ wurde, so machte ich mir auch keinen Gewissensscrupel, aus dem Colleg zu bleiben, und mein studentisches Bewußtsein hob sich mächtig bei dem Gedanken, auch einmal eine kühne, ritterliche Thai mit ausführen zu helfen. Mit einem riesigen Ziegenhainer bewaffnet, schloß ich mich dem feindlichen Zuge nach dem stillen Dorfe an.

Dasselbe war bald von allen Seiten umschlossen; immer enger zog sich der Kreis der Belagerer, bis sämmtliche „Knoten“ gefangen waren. Nun allgemeiner, aber würdiger Jubel: denn die Studentenschaft war entschlossen, sich bei dieser Angelegenheit durchaus nobel zu benehmen und den Schuhmacher, der dieses Mal auf das unrechte Leder geklopft, ohne ihm ein Haar zu krümmen, der Gerechtigkeit zu überantworten.

Aber leider befand sich der Gesuchte nicht unter den Blaumontagsgesellen von Lichtenhain; jetzt wollte man zwar wissen, daß er irgendwo in einem Keller oder unter einem Dache versteckt sei, allein auch die sorgfältigste Haussuchung ergab kein Resultat. Ein hoffnungsvoller „Fuchs“ lenkte nun die Aufmerksamkeit nach Ziegenhain hin, wo gewiß auch „blauer“ gemacht werde; wenn irgendwo, so müsse der Uebelthäter dort zu finden sein.

Und nun marschirte das ganze studentische Heer über die Saale, Ziegenhain zu, das im milden Glanze der Abendsonne dalag, ohne zu ahnen, welche Macht heranrücke. Noch war aber die letztere nicht in das Dorf eingerückt, als die dort weilenden Blaumontagsgesellen von deren Absicht unterrichtet wurden; obschon von aller Schuld sich frei wissend, floh, wer fliehen konnte, und wem dies nicht mehr möglich war, der verbarg sich in die tiefsten Tiefen der Keller oder verkroch sich hoch hinauf unter das Dach. Die Furchtsamen gehörten sammt und sonders der ehrbaren Zunft der Schneider an und meinten allen Ernstes, die Studenten hätten es auf die totale Vernichtung der „Knoten“ abgesehen.

Bald gelang es, die Meisten aus ihren Verstecken hervorzuziehen, und so verdächtig sich dieselben durch ihr Benehmen auch gemacht hatten, so zeigte es sich doch bald, daß diese Helden der Nadel durchaus schuldloser Natur waren. Man ließ sie ruhig ihres Weges ziehen und war im Begriff, selber wieder nach Jena zurückzukehren, als ein Schneiderlein, um sich bei den „Herren“ Studenten extra beliebt zu machen, mit verschmitzter Miene auf ein Haus deutete, in welchem noch Einer versteckt sei. Der Jubelruf: „Endlich haben wir ihn!“ rang sich unwillkürlich aus der ungeduldigen Brust des studentischen Heeres –, das Haus wurde genau durchsucht und nicht lange, so brachten die Klügsten und Besten der akademischen Streitmacht einen blondlockigen Jüngling als Gefangenen in’s Freie. Aber auch jetzt war der Jubel wieder zu voreilig gewesen und der Gefangene war so unschuldig, als diejenigen, die man so eben hatte frei abziehen lassen; auch er war ein harmloser Schneidergeselle! Und doch war er nicht ganz ohne Schuld, man fand es wenigstens im höchsten Grade anmaßend, daß er sich studentisch trage und die Haare studentisch wachsen lasse. Um nun dem Unmuthe über das vergebliche Fahnden auf den Schuster, der irgendwo in guter Ruhe saß und sein Pfeifchen Tabak dazu rauchte, Luft zu machen und den Tag doch mit irgend einer That zu beschließen, ward der Schneidergeselle verurtheilt, seines widerrechtlichen Haarschmuckes beraubt zu werden. In dem Dorfe, das für den Schneider einen verwandtschaftlichen Namen hat, wurde dem Vermessenen unter lautem Lachen zwar nicht der Bart, aber doch die Locken abgeschoren, wobei man übrigens den Trost hatte, daß durch diese unschmerzliche Operation ihm aus sehr einfachen Gründen nicht geraubt wurde, was durch eine ähnliche einst Simson verlor. Ohne ihm weitere Unbilden zuzufügen, wurde auch der Geschorene entlassen.

Und so begab sich denn die akademische Heeresmacht, ohne große Heldenthaten verübt zu haben, wieder nach Jena zurück, wo man zum Schlusse noch die Gesellenherbergen vergeblich durchsuchte. Die Hoffnung dieses Tages war zu Wasser geworden.

Indeß wachte mehr als ein Auge über die studentischen Interessen. Drei bemooste Bursche, durch die Erlebung vieler Semester bekannt mit den inneren und äußeren Verhältnissen Jena’s, zu alt, um sich mit dem Besuche der Collegien zu befassen und zu jung, um das Staatsexamen zu machen oder sich für eine Anstellung zu bewerben, hatten sich vorzüglich die Aufgabe gestellt, in der „Kneipe“ und auf dem Fechtboden, sowie gegen auswärtige Feinde die Vorkämpfer der Jenensischen Musensöhne zu sein. Zugleich docirten sie den „Füchsen“ gegen ein Honorar von einigen Tonnen Bier, gegen Freihalten auf Reisen, Suiten und anderen ordentlichen und außerordentlichen Gelegenheiten die Regeln des

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