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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

dahin und hängen sich, Perle um Perle, an Halm und Zweig, wie an das kunstvolle Zirkelnetz verschiedener Spinnen oder an das ausgebreitete Gespinnst, das im Herbste weite Strecken überzieht, um später, von der Sonne gelöst und emporgezogen in langen Fäden, wie geheimnißvolle Zauber wirkend, dahinzuschweben. Um Halm und Nadel und leichtes Gewebe funkeln und blitzen in wunderbarer Farbenpracht die reinen Tropfen, die von der nun im reinsten Aether glänzenden Sonne geküßt werden. Doch fast mit wehmüthigem, wenn auch nicht minderem Genuß schweift das Auge über das sonnendurchglühte, blühende, honigduftende Haidekraut und über das in kosender Morgenluft wehende, fahle Riedgras hindurch

Der geprellte Fuchs.

das man im perlenden Thau lange Streifen – die Fährte von mancherlei Gewild – verfolgen kann. Ueber Anflug und Dickichte hinweg bleibt der Blick am Saume des Hochwaldes haften, dessen Rand bereits in goldigem Scheine erglüht, während tief drinnen noch mystisches Dunkel herrscht. Außen ist überall schon Leben geworden. Vögel aller Gattungen, meist nach ihren Arten zusammengeschaart, durchziehen in schnellem Fluge die Luft, oder flattern und hüpfen durch die Dickichte und lassen all’ ihre verschiedenen Stimmchen ertönen. Da lockt es und pfeift es und flötet es so lieblich und heimisch und doch wieder so verlockend, mit den kleinen Pilgern hinwegzuziehen in jene schönen, fernen Länder, wo sie den Winter über weilen werden. Den gellenden und klagend verhallenden Ton des Spechtes trachtet kreischend der Nußheher zu überbieten. Summende Bienchen und einzelne brummende Hummeln durchstreifen ebenfalls bereits die blühende Haide und der unermüdliche Gesang der zirpenden Grille umspinnt gleichsam, so weit das Ohr reicht, die Natur mit seinem Einerlei. Dies ist der Schauplatz, auf dem wir unsere Beobachtungen beginnen, und siehe, wir haben nicht lange zu warten.

Aus einem Graben, der auf das Gehau mündet, kommt jetzt der Schlaukopf gezogen, den wir suchen – ein alter Fuchs. Er macht Halt, um den Wind einzuholen,[1] und äugt überall herum ob’s auch geheuer, eh’ er es wagen darf, über die vor ihm liegende Fläche zu wandeln. Der Sprung eines Grashüpfers, den er mit scharfem Lauscher gehört, läßt ihn sich blitzschnell im Graben niederducken, denn nie läßt er die äußerste Vorsicht außer Acht, wäre sie auch einmal unnöthig. Langsam sich wieder erhebend, scheint er nun so weit sicher, daß nichts Verdächtiges in der Nähe sei. Mit einer gewissen Sorglosigkeit gibt er sich dem Genusse hin, im schönen warmen Sonnenschein, der ihm nach der Morgenfrische doppelt wohl thut, dahin zu schlendern. Bald nimmt er eine Wildfährte an, der er mit seiner Spitzbubennase eine Weile folgt; dann springt er plötzlich ab, um ein unkluges Mäuslein zu haschen, das er als Nachfrühstück zu sich nimmt,

  1. Wind einholen heißt: durch die Geruchsorgane, die ein Wild der entgegenströmenden Luft aussetzt, prüfen, ob nichts Verdächtiges wahrzunehmen sei.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_333.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)