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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Ruhe freilich und die friedliche Stille einer in jeder Beziehung gesicherten Häuslichkeit, wie der Binnenländer sie für die späteren Jahre seines Lebens begehrt, fand der alte Mannis nicht auf seiner Warft. Wahrscheinlich wäre ihm damit auch nicht gedient gewesen. Der Halligbewohner schwebt nämlich immer in Gefahr, plötzlich von der Tücke der wilden See überrascht zu werden und ihrem Grimme zu erliegen. Er kann gegen die unbezwingliche Fluth, wenn der West sie aufwühlt, nicht kämpfen. Nur ein passiver Widerstand, furchtloses Aushalten können ihn im glücklichsten Falle retten. Gerade diese Gefahr aber, die er stets vor Augen sieht, läßt ihn wohl die Unthätigkeit leichter ertragen, weil sie seinen Geist und seine Phantasie beschäftigt.

Es war ein gar freundlicher Raum, den jetzt der alte grauköpfige Mann mit seinen drei Kindern betrat. Alles sah sauber, blank und glänzend aus. Das Mobiliar des nicht sehr hohen, oblongen Zimmers hätte einen städtischen Salon nicht verunziert. An den mit weißen, sehr zierlichen Kacheln gleichsam tapezierten Wänden hingen Abbildungen segelnder Schiffe. Auch der Untergang eines Dreimasters auf stürmischem Meere befand sich darunter. Es stellte dies Bild den Schiffbruch der Fregatte dar, welche Nicol Mannis das Seemannsleben verleidet hatte. Es war von nicht ungeschickter Hand nach seinen eigenen Angaben gemalt. In dem weißen, niedrigen Kachelofen, dessen Obertheil mit einer glänzenden Messingplatte geschlossen war, brannte ein stilles Torffeuer. Die Nordseite des Zimmers war von blüthenweißen Gardinen umfaltet, hinter denen nach altfriesischer Sitte die Lagerstätten des Hausherrn und seiner Gattin, in die Wand hineingebaut, sich befanden.

Die mittelgroßen, beinahe viereckigen Fenster, in hellgrün gemalte Rahmen eingefaßt, waren noch nicht durch Wetterläden geschlossen. Man überblickte daher die ganze Hallig nach Süd und West und bemerkte eine Anzahl gelbrother Lichtpunkte, die wie stille Irrlichter auf der mageren Erdscheibe standen. Sie zeigten die Wohnungen anderer auf hohen Warften liegender Halligleute an.

Frau Ellen, die Gattin des alten Capitains, hatte schon den abendlichen Theetisch gedeckt. Jetzt setzte sie weißes Feinbrod auf, nebst Butter und Zucker in einer werthvollen Dose aus getriebenem Silber.

Jeder der Bewohner nahm seinen Platz ein. Dann sagte Nicol, an alle drei Kinder sich gleichzeitig wendend:

„Nun laßt hören, was Euch passirt ist!“

Diese Frage ward kühl und durchaus nicht in einem Tone gethan, welcher Neugierde durchblicken ließ. Nicol Mannis fragte wie Jemand, der nur den Grund einer geschehenen oder unterlassenen Handlung erfahren will und ein Recht dazu hat.

„Wir hatten uns auf der Landtiefe vor Anker gelegt,“ nahm der älteste Sohn Taken das Wort. „Die See rollte leichte Wogen, die Sonne brach ab und zu durch das niedrig ziehende Gewölk. Im Ost waren uns die Dünen von Amrom gerade in Sicht, nordwärts schimmerte wie ein weißlicher Nebel die Sandeinöde der Sylter Südspitze. Schon hatten wir uns ein paar Stunden lang vergeblich abgemüht, ohne einen erträglichen Fang zu thun. Jens meinte, wir thäten besser, weiter landwärts zu segeln und bei Capitains Knob[1] unser Netz auszuwerfen. Ich stimmte bei, wir holten den Anker ein und drehten ab. Kaum waren wir abermals mit unserer Arbeit beschäftigt, als es dunkler und immer dunkler ward. Eine Bö aus Südwest zu Süd machte das Meer schäumen, wir mußten die Segel einnehmen; die Luft sah aus, als werde ein Sturzregen sich über uns entladen. Es fiel aber kein Tropfen. Die Wolken verzogen sich bald wieder, brachen sich an den Amromer Dünen und der blaue Himmel blickte alsbald wieder auf uns herab. Recht hell wollte es jedoch nicht werden. Als dämmere der Abend, gerade so sah das Meer aus, und die Luft blieb undurchsichtig, obgleich es nicht nebelte.

„Karen fiel diese Dämmerung früher auf, als uns Brüdern, die wir hart arbeiteten. Sie sprach darüber und meinte, es könne uns doch wohl noch ein schweres Wetter überfallen. Ob es nicht besser sei, weiter in See zu gehen?

„Beinahe hätten wir uns bestimmen lassen, da blieben wir alle Drei wie versteinert stehen und unser Netz spülten die Wogen fort.“

„Was versteinerte Euch?“ fragte der Vater.

„Ich kann’s nicht sagen, was es war, und doch sah ich’s, so deutlich wie Dich und die Mutter.“

„Und wir sahen es auch,“ bekräftigten Jens und Karen zugleich.

„Es war ein Ding, wie ein rollender Nebel,“ fuhr Taken fort, nachdem der Vater den andern Beiden durch einen Wink Schweigen geboten hatte. „Das Ding strich gegen den Wind gerade von Hörnum auf uns zu. Es konnte eine Wolke sein, wie die Sonne sie in den Dünenthälern ausbrütet. Solche Wetterwolken haben ihren eigenen Wind bei sich und können steuern, wie sie wollen. Auf einmal aber sahen wir, daß es ein Schiff war, ein Dreimaster, just so groß, wie der hinter Dir an der Wand. In’s Vormarssegel waren zwei Reefe geschlagen, das große Bramsegel aber blähte sich in seinen Nockbindseln voll im Winde. Alles war steif back gebraßt und das Fahrzeug rauschte auf uns zu, daß die Wogen schäumend am Buge hinaufliefen. An der Gaffel drehte die dänische Flagge und unter der Gallion erkannten wir deutlich den Namen „Der indische Nabob“.“

„Mein Fregattschiff, das ich verloren?“ unterbrach hier Nicol Mannis seinen Sohn, sich die Haare aus der runzligen Stirn streichend und ernst den Erzählenden anblickend.

„Das Schiff hieß gerade so,“ fiel Jens, der jüngere Sohn ein, „auch war’s genau so getakelt, wie das verunglückte.“

„Ich hielt unsern Ewer scharf leewärts, die Fregatte glitt vorüber, kaum aber sahen wir ihren Hintersteven, da zerrann auch das Ding, und die Luft klärte sich wieder auf. Karen fror, daß ihr die Zähne klapperten. Das bedeutet auch nichts Gutes, meinte sie, und trieb zur Heimkehr. Uns war auch wunderlich dabei zu Muthe, und da wir doch kein Glück hatten, drehten wir ab, und liefen mit halbem Winde südwärts.“

Nicol Mannis sah nachdenklich vor sich hin. Ellen störte ihn auf aus diesem Grübeln.

„Ich begreife nicht,“ sagte die einfache, klar verständige Frau, „wie Du über ein Wolkenspiel, deren es alljährlich in unserer Gegend so viele gibt, Dir Gedanken machen kannst. Haben wir nicht schon mehrmals um die Zeit der Dämmerung segelnde Schiffe gerade über die Hallig steuern sehen, ohne daß es Meerwasser gab, das sie tragen konnte? Es waren pure luftige Dünste, die gewöhnlich schnell zerrannen. Solch ein Dunst ist’s auch gewesen, der die Kinder getäuscht hat.“

„Will’s gern glauben, Frau,“ erwiderte Nicol, „nur vergiß nicht, daß ich ein Halligmann bin und Du ein Kind der festen Welt. Wir haben zweierlei Augen, mit denen wir die Dinge um uns her in verschiedener Weise betrachten. ’s wär also möglich, daß es mehr auf sich hätte, als Du meinst!“

„Man muß nicht darauf achten,“ bemerkte Ellen.

„Hast gut reden, lieb Weib,“ entgegnete Nicol, „hättest Du aber erlebt, was ich mit angesehen habe in der spanischen See, ein halb Jahr vor meinem Schiffbruche auf dem „indischen Nabob,“ Du würdest bald genug alle Segel einnehmen und Dich gefangen geben einem Glauben, den Keiner wegschwatzen kann.“

„Du hast mir noch nie etwas davon erzählt, Nicol,“ sagte Frau Ellen, mit Hülfe Karens den Theetisch abräumend. „Warum warst Du so zurückhaltend?“

„Weil ich’s gern vergessen hätte. Aber ich werd’ es nimmer los aus dem Gedächtniß. Und da’s nun gerade heute zur Sprache kommt, mögt Ihr es denn Alle erfahren! Zuvor aber schließt die Wetterläden! Die See geht hohl; wenn ein Sturm aufspringt, findet er Alles in Ordnung. Mag heute die Lichter nicht mehr sehen; es könnten Strandlichter sein, deren Leuchten noch Niemand Heil gebracht hat.“

Dem Befehle des plötzlich ernst gewordenen Vaters gehorchend beeilte sich Karen, die Läden zu schließen. Die Wohnung der Halligbewohner ward dadurch um Vieles gemüthlicher. Und wenn es je einen Ort gibt, der sich zur Mittheilung eines geheimnißvollen Ereignisses oder einer furchtbaren Begebenheit eignet, so bietet das windumrauschte, von der anprallenden Salzwoge des Meeres umbrandete Haus eines Halligmannes auf einsamer Warft gewiß einen solchen dar.




III.
Nicol’s Gesicht in der spanischen See.

Frau Ellen stellte drei Gläser heißen und steifen Grogs auf einem aus Canton stammenden Theebret auf den Tisch. Es war dies des alten Seemannes und seiner jungen Söhne gewöhnlichee

  1. Ein hoher Sand im Westen von Amrom.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_331.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)