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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Gegen Abend.“

„Waren Sie nicht noch mehrere Male allein mit ihm?“

„Wo sollte das gewesen sein?“

„Ich frage Sie.“

Sie fing an zu zittern und konnte die Augen gar nicht mehr erheben; ihr schuldhaftes Verhältnis; war mir nicht mehr zweifelhaft. Ich mußte weiter gehen.

„Hat Ihr Vater erfahren, daß er Sie allein gesehen und gesprochen hat?“

„Er hat mir nichts darüber gesagt.“

„Hat er nie mit Ihnen von dem Grafen gesprochen?“

„Ich wüßte nicht.“

„Sie weichen mir aus.“

„Fragen Sie meinen Vater.“

Sie hatte ihren vollen Muth wieder erhalten; selbst ihre Befangenheit hatte sich verloren. Entweder standen sie und ihr Vater in der That außer Beziehung zu dem Verbrechen und sie wußte auch nichts von diesem, oder sie hatte mit ihrem Vater eine genaue, feste Abrede getroffen, so daß sie sich getrost auf ihn berufen konnte, durch diese Berufung sogar an eigener Sicherheit gewann.

Ihre weitere Befragung erschien mir daher wenigstens vor der Hand zwecklos, zumal da ich keinen thatsächlichen Anhalt hatte, um ihr Vorhaltungen über einen unerlaubten Umgang mit dem Grafen machen zu können. Jedenfalls mußte ich vorher hierüber nähere Erkundigungen einziehen. Durch eine Vernehmung ihres Vaters konnte ich übrigens voraussichtlich eben so wenig etwas erreichen. War das Mädchen schon so fest und sicher, so war er es gewiß.

Das war eine traurige Aussicht für die arme Verdächtige, die ich so gern für schuldlos hielt. Nichts als meine tatsächlich völlig unbegründete, von ihr selbst nicht einmal getheilte Vermuthung sprach für sie. Wie schwierig, wie ungewiß war es, irgend eine festere Begründung dafür herbeizuschaffen! Gelang dies auch, es konnte nur erst nach einiger, vielleicht längerer Zeit geschehen. Bis dahin war die Arme eine Verdächtige, eine des Mordes Beschuldigte, eine in Untersuchung und in Untersuchungshaft befindliche Mörderin.

Und wenn ich auch zuletzt jenen Anhalt fand, wie leicht konnte er, kaum gefunden, unter den Händen mir wieder zerrinnen! Er zerrann in nichts, wenn es mir nicht ferner gelang, mit seiner Hülfe ein Geständniß des Försters und seiner Tochter zu erlangen. Und konnte ich auf dieses rechnen, wenn die Beiden bis dahin immer und immer wieder Zeit hatten, sich zu verabreden und sich gegenseitig in ihrer Sicherheit zu befestigen?

Ich wollte zur Vernehmung des Försters schreiten. Er war noch nicht da. Ich hatte mich in Gegenwart der Tochter nach ihm erkundigt. Das Mädchen wurde unruhig, als sie hörte, daß er noch immer nicht da sei. Es fiel mir auf, aber ich konnte keinen Grund dafür ersinnen; sie hätte denn, selbst schuldbewußt, fürchten müssen, daß er in seinem Schuldbewußtsein auf irgend eine Weise dem Gerichte sich entziehen wollte, entzogen habe. Aber dann wäre sie vorhin wohl nicht so sicher gewesen. Und doch!

Der Criminalbote, bei dem ich mich nach dem Förster erkundigt hatte, kam nach einigen Augenblicken mit der Nachricht zurück, daß man ihn vor Kurzem in der Nähe des Schlosses mit einigen Personen habe sprechen sehen, und daß er dann eilig in den Wald, in der Richtung seiner Wohnung gegangen sei.

Das Mädchen erbebte sichtlich, als sie dies hörte.

Ich sann nach, ob ich ein weiteres Verhör mit ihr daran knüpfen, und unterdeß ihren Vater herbei holen lassen sollte.

Ein furchtbares Ereigniß machte mein Nachsinnen überflüssig. Ein Criminalbote führte einen Burschen herein, der mir einen Zettel abzugeben habe. Es war ein Tagelöhnerbursch vom Gute. Er war leichenblaß, und zitterte am ganzen Leibe. Er trug einen zusammengefalteten Zettel in der Hand. Als er ihn mir überreichen wollte, sah er die Tochter des Försters im Zimmer. Er zitterte heftiger. Das Mädchen sprang ihm entgegen.

„Kommst Du von meinem Vater?“ rief sie ihm zu.

Der Bursch konnte kaum Ja antworten.

„Er ist todt?“ schrie sie auf.

„Er ist todt!“ sagte der Bursch.

Er erzählte: Der Förster hatte ihn vorn im Walde getroffen. Er hatte ihm den Zettel gegeben, mit dem Auftrage, ihn zu mir auf das Schloß zu tragen. Er war dann wieder tiefer in den Wald zurückgekehrt. Der Bursch hatte sich auf den Weg zum Schlosse gemacht. Aber kaum war er zwanzig Schritte weit gegangen, so hörte er hinter sich einen Schuß fallen. Der Förster war ihm so sonderbar vorgekommen. Er läuft zurück nach der Stelle, wo er den Schuß hat fallen hören. Der Förster liegt todt da, mit zerschmettertem Gehirn. Er hatte sich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Der Bursch war in Todesangst zum Schlosse gelaufen, um mir den Zettel zu übergeben und das furchtbare Ereigniß zu berichten.

Ich wußte Alles! Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen!

Die Unglückliche – die Tochter des Försters war jetzt die Unglückliche. Sie war fast leblos zurückgesunken. In Ohnmacht war sie nicht gefallen, aber ihr Zustand war desto fürchterlicher.

Ich las den Zettel. Nachdem ich ihn für mich gelesen hatte, las ich ihn laut. Der Förster hatte geschrieben:

„Er höre, daß der Tod des Grafen Ruthenberg entdeckt sei. Er erfahre, daß das Fräulein Braun deshalb in Verdacht stehe. Das Fräulein sei unschuldig, er sei der Thäter. Er müsse es jetzt entdecken. Sein Gewissen habe ihm ohnehin schon keine Ruhe gelassen. Seine Tochter werde das Nähere angeben. Er könne die Schande, als ein Mörder in der Welt gesehen zu werden, nicht überleben.“ Noch einmal sprang das Mädchen auf.

„Ja,“ rief sie, „er hat den schlechten Menschen erstochen. Aber ich bin die Mörderin, ich bin die Vatermörderin!“

Sie war zu aufgeregt, als daß ich sie sofort hätte verhören können. Ich hatte auch noch eine dringende andere Pflicht zu erfüllen. Ottilie Braun mußte wissen, daß ihre Unschuld anerkannt war. Sie mußte aus ihrem entsetzlichen Zustande gerissen, dem Leben, der Ehre wiedergegeben werden. Ich theilte ihr den Zettel, den Tod des Försters mit.

Nie werde ich den Anblick des schönen Mädchens, der edlen Frau in jenem Augenblicke vergessen. Die Gottergebenheit, das Gottvertrauen in dem feinen, blassen, angegriffenen Gesichte hatte einen erhabenen Glanz, wie in einem Engelsgesichte, erhalten. Sie reichte mir stumm die Hand und drückte die meinige herzlich. Dann bat sie, sich entfernen zu dürfen, um in der Einsamkeit Gott für die unendliche Gnade zu danken, die er ihr erwiesen habe.

Es ist doch auch etwas um den Glauben an einen Gott, an eine höhere, ewige Gerechtigkeit.

Ich vernahm die Tochter des Försters. Das Mädchen gestand Alles, offen, aufrichtig, reuig. Sie konnte es, denn sie selbst war vor dem Gesetze – unschuldig; ihr Vater war todt.

Sie war die leichte Beute des jungen Grafen geworden. Ihr Vater hatte eine Ahnung davon gehabt, aber keine Gewißheit. Er hatte ihr Vorwürfe gemacht, sie hatte geleugnet, aber ihm seinen Verdacht nicht nehmen können.

An jenem Abende, an welchem das Unglück geschehen war, hatte sie wieder eine Zusammenkunft in einem Bosquet des prächtigen Parks mit dem Grafen verabredet. Sie hatte sich eingefunden. Er war ausgeblieben. Sie hatte, ihm entgegen zu gehen oder nach ihm auszusehen, sich dem Schlosse genahet. Da hatte sie ihn gesehen, in der Gegend des Bibliothekzimmers. Neugierig, was er dort mache, war sie hinter Hecken und Spalieren näher zu ihm herangeschlichen. Auf einmal sieht sie von einer andern Seite ihren Vater. Sie erkennt ihn im Mondscheine deutlich. Er mußte ihr nachgeschlichen sein. Er verfolgte sie. Sie verbarg sich hinter einer dichten Hecke vor ihm. Er verlor ihre Spur. Aber gleich darauf hört er Geräusch am Schlosse, an dem Bibliothekzimmer. Er glaubt, seine Tochter sei dorthin geflohen. Er eilt hin. Er sieht das Fenster des Zimmers offen, und in dem Fenster einen Mann. Er erkennt den Grafen. Der Graf will durch das Fenster in das Innere des Zimmers dringen. Er ringt mit einem Frauenzimmer, das ihm den Eingang verwehrt. Der Förster meint, es sei seine Tochter, die aus Furcht vor dem verfolgenden Vater den Grafen zurückstoße. Aber die Schande seiner Tochter ist ihm dennoch klar. Der heftige, jähzornige Mann geräth außer sich vor Wuth. Er stürzt herbei. Die Ringenden gewahren ihn nicht. In dem Augenblicke, als der Graf in das Zimmer springen will, stößt er ihm sein Waidmesser in die Brust. Der Getroffene fällt in das Zimmer hinein. Als der Förster aufblickt, sieht er seine Tochter neben sich. Sie hatte ihr Versteck in der Nähe gehabt; sie war ihm angstvoll gefolgt. Sie war zu spät gekommen. Sie hatte den Unglücklichen, den Mörder, nach Hause geleitet. Er hatte sich den Gerichten überliefern wollen. Aber die That war verborgen geblieben; da hatte auch er, um der Ehre der Tochter willen, geschwiegen.

Für den Arm der weltlichen Gerechtigkeit war das leichtfertige

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