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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

des Tages hatte. Gelage, Hochzeiten brachten meist einen ungeheueren Aufwand mit sich, vornehmlich was die enormen Massen von Speisen und Getränken betrifft. Auf der Hochzeit Wilhelms von Oranien wurden 4000 Scheffel Weizen, 8000 Scheffel Roggen, 13,000 Scheffel Hafer, 3600 Eimer Wein, 1600 Fässer Bier verzehrt. Die Hochzeitsgäste hatten allein 5647 Pferde mit. Der Sultan Bajazeth hielt sich 7000 Falkoniere. Unter Jakob I. von England gab es noch Gesandte, welche 500 Diener hatten, und doch besaß er selbst nur ein Paar seidene Strümpfe, die er seinem Minister lieh, um die Audienz des französischen Gesandten annehmen zu können. – Bei der Hochzeit Eberhard’s von Würtemberg im Jahre 1474 erschienen 14,000 Gäste. Bei der Hochzeit Ulrich’s von Würtemberg 1511 wurden 136 Ochsen, 1800 Kälber, 2759 Krammetsvögel verzehrt. Das merkwürdigste Beispiel ist die Hochzeit Wilhelm von Rosenberg’s mit Anna Maria von Baden vom 26. Januar bis 1. Februar 1576. Consumirt wurden 1100 Eimer ungarischen und deutschen Weins, 40 Pipen spanischen Weins, 903 Fässer Bier, 40 Hirsche, 50 Gemsen, 20 wilde Schweine, 50 Fässer gesalzenes Wildpret, 2130 Hasen, 250 Fasanen, 30 Auerhähne, 2050 Rebhühner, 150 Mastochsen, 20,688 kleine Vögel, 561 Kälber, 2308 Würste, 654 Schweine, 450 Hammel, 395 Lämmer, 20 geräucherte Ochsen, 40 geräucherte Hammel, 330 Pfauen, 5235 Gänse, 18,120 Karpfen, 13,029 Hechte, eine Unzahl Fische, 30,943 Eier, 490 Scheffel feines Korn, 42 Ctr. Butter, 29 Ctr. Schmalz.

Neben dieser Massenconsumtion und hierbei gewöhnlichen Unmäßigkeit, welche, wie dies eben Merkmal der untern Culturstufe ist, nur bei einzelnen Gelegenheiten ausbricht, geht in den Zwischenzeiten die größte Einfachheit nebenher. – Die Entwickelung nimmt, wie wir schon bemerkten, im Haushalte des Einzelnen denselben Gang, wie beim ganzen Volke. Daher stehen häufig einzelne Stände in der Gegenwart noch im Mittelalter, während die allgemeine Culturstufe des ganzen Volkes schon eine höher entwickelte ist. Solche Zustände finden sich unter Anderen noch heute auf Bauerdörfern der Lausitz. Noch im vorigen Jahre wurden zur Hochzeit der Tochter eines Bauers 2 Rinder, 6 Kälber, 3 Schweine und 15 gemästete Gänse geschlachtet. Die Art der Bewirthung ist eine dieser massenhaften Zurüstung entsprechende. – Ein jeder Gast erhält bei jedem Gericht seine Portion von nicht knapper Quantität gleich von vornherein auf dem Teller abgetheilt vorgesetzt. Mehrere derselben zu bewältigen würde unmöglich sein. Es hat daher der Gast sich vorsorglich mit einem größeren Topfe versehen, in den er sämmtliche Portionen der nach einander folgenden Gänge hineinschüttet, unbesorgt darüber, daß die verschiedensten Speisen, die keine Küche der Erde sonst zusammenmischt, in dieser Olla potrida eigentlichen Sinnes ein merkwürdiges Ragout werden.

Die nicht geladene nahe und fernere Nachbarschaft hat sich übrigens nicht umsonst in der Kirche zur Trauung am Tage eingefunden, denn Abends geht sie fein „Fenstergucken“, d. h. an die Fenster des Hochzeitshauses und weiß hier durch Bekannte oder Gönner ihrer Scherze einen Theil des Tafelüberflusses sich herauszulocken. – Mit dem Vorübergehen eines solchen Festes tritt die alte Einfachheit wieder ein, ein noch ganz patriarchalisches Verhältniß zwischen Herrn und Knecht, und ich selbst war es in meiner Kindheit nie anders gewöhnt, als neben meinen Eltern mit dem Gesinde an einem und demselben Tische aus einer und derselben Schüssel zu essen.

Diese Einfachheit in der Lebensweise hat ihren Grund theils in einer gewissen Schlichtheit der Sitte, in der Anspruchslosigkeit und Mäßigkeit, theils aber auch in der Unkenntniß höherer, feinerer Genüsse und in der mangelhaften, erst in ihren Anfängen begriffenen Entwickelung der Gewerbe und des Handels. Wenn daher Lobredner des Mittelalters die große Selbstbeherrschung der Völker auf unentwickelterer Stufe hoch erheben, so ist dies wie mit der Apologie mancherlei anderer Zustände dieser Culturstufe, es ist durchaus falsch. – Die alten Deutschen hatten ungeheuere Gefolge. Die Völkerwanderung ergoß ihre Horden – zum Theile aus derartigem Troß bestehend – über das blühende Italien bis hinüber nach Afrika. Sie warfen Alles vor sich her nieder, aber der Ueberfluß nie gekannter Genüsse, denen sie sich maßlos ergaben, warf sie wiederum nieder und sie gingen unter. – Die Homerischen Könige speisen immer nur Fleisch, Brod und Wein; in den isländischen Heldensagen kommen als Tafelgerichte nur Hafermus, Milch, Butter, Käse, Fische, Hausthierfleisch und Bier vor. Anna von Boleyn, die Gemahlin Heinrich VIII., pflegte, wie wir noch wissen, nur Speck und Bier zu frühstücken. Die Gemahlin Karl’s VII. soll ihrer Zeit die einzige Französin gewesen sein, die zwei leinene Hemden besaß. Es ist bekannt, daß der Mittelstand noch im Zeitalter der Reformation nackt zu Bette ging.

Allmählich aber geht dieses Zeitalter im Fortschreiten der naturgesetzlichen Entwickelung vorüber, der Gewerbfleiß hebt sich, die Handelsverbindung mit fremden Völkern erweitert sich, die Städte blühen auf und werden die Stapelplätze für einheimische und fremde Natur- und Kunsterzeugnisse, die Kirche schreitet voran und sucht zuerst die Heiligkeit der gottgeweihten Stätten durch Prunk, durch Musik, Gemälde, Sculpturen, ausländischen Weihrauch, bunte Gewänder und kostbare Geräthe zu erhöhen, die Vergnügungen, Genüsse legen den tobenden oder grobsinnlichen Charakter ab und verfeinern sich, der ungeheuere Dienertroß verschwindet, aus ihm werden wohl allmählich eine Anzahl selbstständiger Handwerker, der Luxus wird billiger, wird besser, dringt in immer weitere Kreise der Bevölkerung, auf’s platte Land, und erst jetzt beginnt der Mensch die schöne Wahrheit des englischen Sprüchworts: The man’s house is his castle: „mein Haus meine Burg“ zu fühlen und nach seiner Verwirklichung zu streben; er baut eine, baut seine kleine Welt um sich aus, es gilt, ihr die Behaglichkeit, den Comfort zu verleihen, welchen Handel und Gewerbekünste eines blühenden Volkes ermöglichen. Ueber diese Periode nächstens.




Blätter und Blüthen.

Die Adlerfeder. Fort Snelling, am Zusammenfluß des Minnesota und Mississippi gelegen, ist eine ziemlich stattliche kleine Feste. Sie bildet eine viereckige Redoute, deren Wälle mit solider Steinbekleidung versehen sind, und ist auf eine Besatzung von circa tausend Mann Infanterie mit vier Feldgeschützen berechnet, und wurde erbaut, um den damals spärlich angesiedelten Bewohnern der Umgegend nöthigen Falles Raum und Schutz gegen die unruhigen Indianerstämme zu gewähren. Jetzt findet man bereits 100 englische Meilen darüber hinaus Städte von 12–1500 Einwohnern, zwischen denen sich die legitimen Besitzer des Bodens nur noch in einzelnen Banden, wie Zigeuner, herumtreiben, um bald den weiten Weg nach dem Felsengebirge einzuschlagen. Ihre Grabhügel am Minnesota und an den Ufern der zahlreichen Landseen im Innern des Territoriums sind mit Pfeilen und Adlerfedern, den Emblemen des Krieges, geschmückt. Die Winnebagoes waren Krieger!

An einem milden Abend jenes wunderbaren Spätherbstes, der die amerikanischen Wälder in ihren schönsten Schmuck kleidet – der indianische Sommer genannt, etwa zwölf Jahre zurück – meldete sich ein junges Mädchen vom Stamme der Winnebagoes beim Wachtposten des Forts an, und begehrte dringend, sogleich eingelassen zu werden, da sie mit dem Commandanten sprechen müsse. Die Indianerin war schon einige Male im Fort gewesen, und die Schildwache kannte dieselbe persönlich. Aber die Einlaßstunde war für heute vorbei, und die Schildwache wies sie daher ab. Sie wiederholte ihr Anliegen jedoch so ungestüm und mit so dringendem Ernste, dabei bald in Thränen, bald in dunkle Drohungen ausbrechend, daß der Mann sich endlich entschloß, den Vorfall seinem Officiere zu melden. Dieser – glücklicherweise vernünftig genug erstattete sogleich dem Commandanten davon Anzeige, der – obgleich fieberkrank und schon zu Bette liegend – dennoch befahl, das Mädchen augenblicklich zu ihm zu bringen. Er kleidete sich hastig an, und als das junge Mädchen einige Minuten später bei ihm eintrat, fand sie ihn auf seinem Feldstuhl sitzend, den von Fieberhitze glühenden Kopf in die Hand gestützt, bereit, sie aufmerksam anzuhören. Aber sei es, daß die Indianerin plötzlich anderen Sinnes geworden, oder daß ihr die Aufregung den Gebrauch der Sprache geraubt, der Officier wartete wohl eine Viertelstunde lang vergeblich auf ihre Mittheilung; – das Mädchen weinte nur leise, blieb aber sonst völlig stumm.

Major Dean hatte lange mit Indianern verkehrt, und kannte ihre Eigenheiten. Er sah sogleich, daß es sich hier um etwas sehr Wichtiges handele, und war deshalb doppelt auf der Hut. Die kleinste Uebereilung von seiner Seite konnte Alles verderben.

„Die weiße Lilie vom Okano-See ist müde und traurig,“ sagte er endlich aufstehend im gütigen Tone zu dem weinenden Mädchen, ihre Hand ergreifend und sie sanft in das anstoßende Zimmer seiner Frau führend, fuhr er zu dieser gewendet fort: „Hier, Mary, unsere junge Freundin hat Dir etwas zu sagen.“

Die Indianerin schien die verlorene Sprache allmählich wieder zu erlangen, und obgleich anfänglich nur dunkel und zweideutig, waren ihre Mittheilungen doch zuletzt hinreichend, um dem Officier ein klares Bild zu verschaffen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_315.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)