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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wer kennt nicht den Diogenes in seiner Tonne, der, als er von dem ihn besuchenden Alexander sich eine Gunst erbitten sollte, nichts anderes wünschte, als daß er ihm aus der Sonne gehen möge; der, als er einst ein Kind aus hohler Hand Wasser trinken sah, auch noch seinen Trinkbecher wegwarf, als ein entbehrliches Luxusgeräth, über dessen Ueberflüssigkeit ihn erst ein Kind habe belehren müssen. Herakleides dagegen, der Aristoteliker, erklärte den Luxus als die Quelle alles Edelmuthes, der Tapferkeit, als die Ursache des Sieges der Athener bei Marathon, denn vom Luxus begeistert hätten sie den Feind niedergeworfen.

Theologen und zelotische Staatsmänner haben dem Luxus meist geflucht, und ihn als von der strafenden Hand des Schicksals verfolgt dargestellt. So erzählt Dandolus in seiner Chronik Venedigs, daß eines Dogen Frau einstmals so übermüthig gewesen, daß sie, anstatt mit den Fingern, mit goldenen Zweizacken – Gabeln – gegessen habe, dafür aber auch später noch bei Leibesleben stinkend geworden sei. – Ein englischer Geschichtsschreiber klagt in seiner Chronik von 1577 über den Luxus Englands, wo man seit Kurzem so viele Kamine errichte, und statt hölzerner Schüsseln irdene und zinnerne einführe.

In späterer Zeit treten Filangieri, Voltaire, Hume als Lobredner des Luxus auf, schreiben ihm die Blüthe einer ausgedehnten Industrie nach innen und außen, die Beschäftigung eines großen Theils der arbeitenden Classe, die Verschönerung des Lebens und Milderung der Sitten, die mit Wärme und immer neuem Leben erfüllende treibende Kraft im Staatskörper zu; als Gegner Warburton und Rousseau, die ihn einen verderblichen Gebrauch der den Menschen von der Vorsehung verliehenen Güter nennen, durch ihn die Macht und Stärke des Staates, die Vaterlandsliebe und Tugenden seiner Bürger gefährdet sehen, und die Ausschweifung der Reichen, das Elend der Armen, den endlichen Verfall der Gesellschaft von ihm verursacht glauben. – Und so geht die große Streitfrage durch alle Zeiten und Völker, durch alle Stände bis in die niedersten Schichten, in denen auf dem abgelegensten Dörfchen wohl ein altes Mütterchen über den Verfall der Sitten, über das Verschwinden der „alten guten Zeit“ klagt, wenn sie Sonntags auf dem Kirchwege vielleicht ein schmuckes junges Mädchen in neuerer Tracht, mit vielfachem Tand geputzt vor sich hergehen sieht. Sie klagt, denkt aber nicht, daß sie auf ihrem alten Haupte eine theure Fehmütze mit goldgesticktem Deckel, oder eine mit reichen Fältelungen gezierte Radhaube von wohl drei Ellen des äußern Umfanges trägt, welche von dem ihr vorangegangenen Geschlecht mit derselben Klage begrüßt worden ist. Der Luxus der Gegenwart ist nach vielen Seiten billiger. Das Frisiren, Pudern der Männer, das Tragen von kostbaren Spitzen und Schuhschnallen, Degen, goldgestickten Kleidern ist abgekommen. Die Industrie ist im Erfinden wohlfeiler Ersatzmittel für kostbarere Gegenstände sehr weit, wie z. B. in Baumwollensammet, Battistmusselin, plattirten Waaren, Argentan etc.

So ist denn der Begriff „Luxus“ ein ganz relativer, ein nach den verschiedenen Zeit-, Lebens- und Standesverhältnissen verschiedener. Es ist irrig und falsch, den Luxus schlechtweg zu loben oder zu verdammen. Denn er kann statthaft, ja er kann sittlich, aber auch unstatthaft, unsittlich und verderblich sein. Es ist irrig, ihm allein den Untergang Roms oder früher Athens Schuld zu geben, da sich durch die Geschichte nachweisen läßt, daß der ungeheure und zuletzt verderbliche Luxus in vieler Hinsicht erst wieder Ursache zu manch’ anderer Verschlechterung wurde. Diese Wechselwirkung ist natürlich eine nothwendige. – Bei einem gesunden Volke ist auch der Luxus gesund, bei einem sinkenden krank und verderblich. Er ist statthaft, wenn er auf die Behaglichkeit, den Comfort innerhalb der Grenzen der Ersparnisse des Volkes, gerichtet ist, und gerade der heutige Luxus ist dadurch charakterisirt, daß er auch in den Haushalt des gemeinen Mannes dringt, und dieser jetzt so Manches genießen kann, was vor einem Jahrhundert selbst dem Reichen nicht vergönnt oder wohl gänzlich unbekannt war. Er kann sittlich sein und von veredelndem Einfluß auf das ganze Volksleben, wenn er die schönen Künste zum Ziel hat, Musik, Bildhauerei, Malerei, Poesie; aber auch unstatthaft da, wo das Unentbehrliche um des Entbehrlichen willen leidet, wie einst in Athen, wo die jährlichen öffentlichen Feste mehr kosteten, als die Unterhaltung der Flotte kosten durfte, wo die Aufführung der Euripideischen Trauerspiele höher zu stehen kam, als der Krieg gegen die Perser; unsittlich endlich, wenn nur den Begierden des Körpers gestöhnt, wenn das Vergnügen Weniger durch das Elend Vieler erkauft wird, oder die Befriedigung von Genüssen wohl geradezu der Moral entgegentritt. Die Römer aßen zu Verres’ Zeit Singvögel oder nur ihre Zungen, die Rennpferde mußten aus Spanien, die Hunde aus Phrygien, die Pfauen aus Samos, die Kraniche aus Melos, die Thunfische aus Chalcedon, die Hechte aus Pessinus, die Austern aus Tarent, die Datteln aus Egypten, die Nüsse aus Thasos, die Kastanien aus Bätica sein, und so durch die Kostspieligkeit des Transports oder große Schwierigkeit der Erlangung ungeheure Summen kosten, um noch Werth zu haben, oder beziehentlich den Gaumen des durch den Ueberfluß und die Genüsse übersättigten Volkes bei großen Gastmählern zu reizen. – Bei dem enormen Aufschwung unserer heutigen Industrie, bei der Annäherung der entferntesten Erdtheile durch Locomotive und Dampfschiff ist es jetzt für den Mann selbst des Mittelstandes kein verschwenderischer Luxus, Kaffee aus Arabien, Thee aus China, Caviar aus Rußland, Zucker aus Ostindien, Rum aus Westindien, Wein aus Ungarn, Frankreich oder Spanien, Tabak aus der Türkei, Cigarren aus Havannah auf einem Tische zu haben.

Der Luxus ist eine unvermeidliche Folge des Fortschreitens in den Gewerbekünsten und der Ansammlung von Vermögen, somit eine Frucht der höheren Entwickelung, eine der stärksten Triebfedern zur Erwerbung sachlicher Güter, ohne welche der Mensch weit weniger arbeiten würde.

Und bei dieser heutigen Entwickelung ist er deshalb so freudig zu begrüßen, weil auch der bessere Luxus, weil Erzeugnisse der Kunst und Wissenschaften vermöge der tausendfachen Vervielfältigung derselben selbst dem unbemittelteren Bürger zugänglich sind, der sich ihrem versittlichenden Einfluß nicht entziehen kann und wird.

Hier entsteht Angesichts der geschichtlichen Beispiele des Unterganges der Griechen und Römer die große Frage, ob einst auch unserem Volk im Weiterschreiten seiner Handels- und gewerblichen Entwickelung, im zu erwartenden Umsichgreifen des immer mehr sich erweiternden, immer leichter zugänglichen Luxus ein solches Ende bevorstehe? Die Antwort kann beruhigend lauten. Bei jenen Völkern würde der Luxus allein den Sittenverfall nicht haben bewirken können, wenn nicht andere Ursachen dagewesen wären, von denen der ungezügelte Luxus selbst wieder Wirkung und Symptom war. – Es gelten hier also keine Folgerungen. Wir können die ermuthigende Hoffnung hegen, daß bei der neueren Organisation der Gesellschaft, unter dem Einflüsse einer erhabeneren Religion für unsere Staaten, deren Wohlstand auf dem eigenen Fleiße ihrer Bürger ruht, ein solches Ende nicht zu befürchten steht!


I. Der Luxus roher Zeiten.

Der Luxus roher Zeiten ist durch den Hang zu grobsinnlichen Reizen charakterisirt. Die Wirtschaft, der Haushalt eines Volkes entwickelt sich wie der des Individuums im Einzelnen. Die Preise haben das Eigenthümliche, daß die der Ackerbauerzeugnisse bei wachsender Cultur steigen, die der Gewerbs- und Industrie-Erzeugnisse herabgehen. Der Handel eines Volkes auf noch niedriger Culturstufe ist gering und auch räumlich engbegrenzt, daher fehlen ihm die Producte ferner Länder, die Gewerbe haben geringe Ausbildung und so sind auch deren Erzeugnisse von geringer Bedeutung und beschränkter Menge. Aus diesem Grunde wirft sich der Luxus auf massenhafte Consumtion der Speisen und Getränken bei Fest- und Speisegelagen, auf überzahlreiches Gefolge, Kriegs- und Jagdtroß, während das ganze Schmuckgeräth in Nichts mehr als glänzenden Waffen und kostbarem Trinkgeschirr besteht. Die eine Domäne Karl’s des Großen hatte an Leinenzeug nicht mehr als zwei Betttücher, ein Hand- und ein Tischtuch aufzuweisen. Bei dem Silbergeschirr ist es auch bei weitem die Schwere, welche ihnen den größten Werth verleiht, nicht die Kunst der Arbeit, sowie auch die Wohnungen weit mehr massen- und dauerhaft sind, als bequem und elegant. Die alten, noch erhaltenen Burgen haben durchgängig Mauern von gewaltigem Durchmesser, aber keine wohnlich-behaglichen Zimmer, die gewöhnlich dunkel und winkelig sind. Im Palast Alfreds des Großen mußte man wegen des durchziehenden Windes die Wände mit Decken behängen und die Lichter in Laternen tragen. – Dagegen gehört der Dienertroß zum Standesaufwande. Der Herzog Alba hatte in seinem Palast in Madrid keinen angemessenen Saal, wohl aber 400 Bedientenkammern, die zugleich die Frauen und Kinder der Dienerschaft beherbergten. Er bezahlte monatlich 1000 Pfd. Sterling Lohn, der Herzog von Medina-Celi 4000 Pfd. Sterling. – In Rußland hielt vor 1812 noch mancher Adelige 1000 Diener, von denen vielleicht Mancher nur eine Verrichtung

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