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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Leib und Geist des Menschen sind auch zwei himmelweit verschiedene Dinge, und doch gehören sie zusammen und bilden einen Menschen; allein es existiren dafür Einflüsse des Geistes auf den Leib und wiederum Wirkungen des Leibes auf den Geist. Die Zeiten, in denen man dies noch bezweifelte, sind längst vorüber.– Die verlangten Wechselwirkungen zwischen Mond und Erde existiren ebenfalls. Ich komme hier auf ein weites Feld, auf dem noch viel Glauben und Unglauben, viel Unbewiesenes und viel Bewiesenes besteht; und manches Jahr werden sich deshalb die Gelehrten noch herumzanken. Diese Wirkungen sind durchaus nicht einerlei Art, sie sind vielfältig und uns fast durchaus unerklärlich. Ich erinnere nur an die Mondsüchtigen, oder an die Veränderungen, die, wie vielfach geglaubt wird, der Stahl erleidet; oder theils an die Verschlimmerung, theils Milderung der Krankheiten in Bezug auf den zu- und abnehmenden Mond. Da der Einfluß des Mondes ein Gegenstand ist, der zu sehr in’s Leben des Publicums eingreift, und weil er deshalb auch oft von Unkundigen besprochen wird, so ist es eine Folge davon, daß die meisten Leser in peinlicher Ungewißheit sein werden, welche Einwirkungen des Mondes blos vorgebliche und welche wirklich stattfindende seien. Es dürfte darum den meisten Lesern willkommen sein, einige der Einflüsse, deren Existenz nachgewiesen und die von der Wissenschaft jetzt acceptirt werden, hier zu erfahren.

In Bezug auf unsere Witterung manifestirt sich dieser Einfluß wirklich in Veränderungen des atmosphärischen Druckes (des Barometers), so daß zu gewissen Phasenzeiten das Barometer constant höher steht, als in andern, so wie zur Zeit der Erdferne des Mondes (der Mond ist bekanntlich öfters 54,800 Meilen weit von der Erde, öfters aber auch nur 48,800 Meilen; jenes heißt seine Erdferne, dieses seine Erdnähe) höher, als während seiner Erdnähe. Dieser Einfluß des Mondes zeigt sich ferner in den Veränderungen der Luftwärme dergestalt, daß während der Erdferne das Thermometer im Mittel höher steht, als zur Zeit der Erdnähe, wie denn auch die Phasen des Mondes einen Einfluß auf die Luftwärme äußern. Endlich erkennt man den Einfluß gewisser Punkte der Mondbahn auch in der ungleichen Vertheilung des Regens, sowie der Heiterkeit der Atmosphäre. Ein Einfluß der Declination des Mondes läßt sich in der Art nachweisen, daß Jahrgänge, in denen der Mond die Maxima seiner nördlichen und südlichen Declination erreicht, im Durchschnitt eine günstigere und namentlich dem Weinbau vortheilhaftere Witterung haben, als solche, wo er sich weniger vom Aequator entfernt. – Der Einfluß des Mondes auf das Wasser ist allbekannt; am deutlichsten tritt er hervor in Ebbe und Fluth des Meeres. – Der Einfluß des Mondes auf den Erdboden selbst, oder vielmehr auf das Erdinnere, ist ebenfalls constatirt und zeigt sich besonders in den Wirkungen der Erdbeben. Alexis Perrey hat der französischen Akademie der Wissenschaften zu Paris Beobachtungen hierüber vorgelegt, die fünfzig Jahre umfassen. Er sagt, daß die Erde außer dem sichtbaren Meere, dem aus kalten Wasser und auf dessen Oberfläche die Schiffe der Menschen schwimmen, – auch ein Meer in ihrem Innern habe, ein glühendes, aus flüssigen Steinen und Metallen, das in den Vulcanen seine Blasen wirft und das von jenem durch die feste Kruste der Erde getrennt ist, wie durch eine dünne, dazwischen geschobene Eierschale. Das Innenmeer fluthe und ebbe nun auch, beeinflußt vom Monde; da, wo die stärkste Fluth sei, dränge es am stärksten gegen die verhältnißmäßig dünne Schale, und die Erde finge an zu beben etc. – Der Einfluß des Mondes auf die Magnetnadel ist durch die neueren, zehnjährigen Beobachtungen von Karl Kreil (in Prag) völlig entschieden.

Was den Einfluß der Erde auf den Mond betrifft, so ist der Wissenschaft bis jetzt noch wenig gelungen, jenen darzulegen. (Ich rechne hier die Beleuchtung, die auch die Erde dem Monde bietet, nicht zu diesen Wechselwirkungen, obgleich sie offenbar eine ist.) Daß aber der Einfluß der Erde auf den Mond bedeutend sein mag, können wir errathen, vornehmlich darum, weil wir einen ziemlich starken Einfluß der Erde auf die Bewegung des Mondes beobachten können. Denn der Mond geht nicht ruhig seinen Weg, sondern wankt und schwankt gar sehr. Diese Ungleichheiten in dem Laufe des Mondes nennt man in der Wissenschaft „Störungen.“ Der Mensch hat sich aber nicht begnügt, diese Schwankungen zu beobachten, nein, er hat es auch dahin gebracht, sie genau zu berechnen, die Ursache zu jeder völlig zu entschleiern, und somit bestimmt nachweisen zu können, wovon und weshalb jede einzelne der Schwankungen erfolgen müsse. Ueberraschend ist es, zu sehen, wie sie genau so zutreffen, als der Astronom sie vorher angab. Diese „Störungen“ sind fast das schwierigste Problem der Wissenschaft, verlangen ungemein viel Geisteskraft und Zeit, verlangen Gelehrsamkeit und mühsames Arbeiten. Lange Zeit blieb deswegen dies Problem nicht vollständig gelöst. Endlich gelang es einem Mathematiker, der, obgleich sein Vater nur ein französischer Bauer war, von Napoleon I. zum Minister Frankreichs erhoben ward. – Der Laie würde die hierher gehörenden tiefsinnigen Rechnungen für wahre, unlösbare Hieroglyphen halten und anstaunen.

Hält der Leser das fest, was ich bis jetzt über das Erdsystem sagte, so wird er nicht blos der Natur gemäße Ansichten erhalten über das Verhältniß des Mondes zur Erde, sondern wird auch die Natur des Mondes selbst vom richtigen Standpunkte aus beurtheilen. Er erinnere sich, daß der Mond mit Polarland, die Erde, obgleich ursprünglich selbst Pol, mit Tropenland zu vergleichen sei, weil der „Schwerpunkt des Erdsystems“ zugleich in der Erde selbst mit liegt. Es ist nun zwar wahr, daß man deshalb nicht auf ganz entsprechende Beschaffenheit der Länder schließen darf, weil das Verhältniß des Tropenlandes der Erde zum Polarlande derselben andern Umständen untergeordnet ist, als das Verhältniß der Erde zum Monde, aber es ist auffallend, wie wirklich die Natur des Mondes, verglichen mit der der Erde, jenem Verhältnisse beistimmt. Dies aber ist unbedingt daraus zu schließen, daß Theile des Ganzen, hier also die Naturen des Mondes und der Erde, ähnlich und doch auch wieder so verschieden sein können, daß man eine ganz fremde Welt vor sich zu haben behaupten darf.

Man denke nur an die Naturen der Polargegenden auf der Erde und der ihrer Tropenländer. In den Urwäldern Südamerika’s sind Berge, und oft gar jähe; in Grönland (und nördlich davon) auch, nur daß sie dort von gelbem Sande und verschiedenfarbigen Felsen, hier von weichem Schnee und glattem Eise sind. Dort, wo in naßheißer, fast erstickend dichter Atmosphäre Alles üppig wuchert und grünt; dort, wo sehnenartige Lianen und tausend verschiedene andere Schlingpflanzen zäh, wie Flechsen im thierischen Organismus, uralte markige Baumstämme umranken, zwischen denen hervor eine zahllose Mannichfaltigkeit von Blättern und Blüthen, von Gräsern und Kräutern dicht sich drängen, alles in buntester Pracht, von strahlenden Farben, alles im würzigsten Dufte der schärfsten Gerüche, die wie gewitterschwere Wolken auf den gluthstrotzenden Blüthen lagern; dort, wo goldflimmernde Colibri’s und possirliche Affen, grellfarbige Papageien, wo flüchtige Rehe, zierliche Gazellen, stolze, edle Rosse elastisch leicht sich bewegen, – muß nicht Jeder zugestehen, daß Farbenpracht, daß phantastischer Schmuck, daß Leben in Fülle herrsche?

Schauen wir in die Landschaft des kalten Polarlandes; auch dort gibt’s Blumen – an gefrornen Fenstern; auch dort gibt’s Farbenpracht, wenn das rothe Polarlicht über die weißen Gefilde seine milden Strahlen sendet, und in den weitausgedehnten Glasflächen des Eises sich spiegelt, wenn Eiskrystalle in buntesten Farben schimmern, und der Schnee wie zahllose silberstrahlende Sternlein freundlich blinkt; auch dort gibt’s phantastischen Schmuck, dort wo Eiszapfen in langen blanken Reihen statt Guirlanden franzenartig an den Dächern herabhängen, wo fast alle Flächen wie polirte Spiegel, der glasartige Boden, wie mit glänzenden Diamanten statt Sandkörnern bestreut, feenartig prunkt; auch dort gibt’s Leben, wo der langzottige Eisbär, der fette, plumpe Robbe ungeschickt sich bewegt – und doch, wie ist die Natur eine ganz andere!

Dies Verhältniß auf der Erde, es ist ähnlich dem Verhältniß der Natur des Mondes zu der der Erde; auch dort auf dem Monde gibt’s Berge und Thäler, auch dort gibt’s Mannichfaltigkeit, Großartigkeit, Wunderbares, und doch wie Alles ganz anders als hier auf Erden! Hiervon wird sich der Leser bald selbst überzeugen, in den folgenden Abschnitten meiner Mondschilderungen, – wenn er die nöthige Rüstigkeit des Vorstellungsvermögens besitzt, die nöthig ist, um des Mondes Berge ersteigen, und dessen Thäler durchwandern zu können, – wenn er genug empfängliches Gemüth hat, um die Herrlichkeit und die Wunder einer fremden Welt zu würdigen.

Und somit wären wir denn geschickt, einzutreten in die Natur der Mondlandschaften. Die Mondgegenden, die wir beschauen wollen, liegen auf der diesseitigen Mondscheibe. Der Mond wendet nämlich, wie wohl jeder Leser schon weiß, der Erde immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_264.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)