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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

gefallen, ertönte Iffland’s Name, aber zugleich ein so durchdringendes Pfeifen, ein so auffälliges Poltern und Pochen, daß das sämmtliche Personal der Schauspieler, die sich auf der Bühne versammelt hatten, entsetzt zusammenfuhr.

Wem galt dieses tumultuarische Zeichen? Nicht dem Stücke, denn das war öfters und mit Beifall gegeben worden; also dem Benefizianten, dem Helden dieses Abends, dem bewunderten und hochstehenden Künstler.

Iffland stand und horchte. Wieder ertönte sein Name und wieder Zischen und Pfeifen! Keinem Zweifel unterlag es weiter, daß es dem Benefizianten galt. Eine große, vielleicht überwiegende Partei war da, die ihn demüthigen, ihn vernichten wollte. Und das gerade an diesem Abende! Welche schneidende Contraste! Niedergeschmettert stand er da, Anton in einem, Sophie im andern Arme haltend – plötzlich riß er sich aber los. Eine Leichenblässe verbreitete sich über sein Antlitz, seine Muskeln spannten sich in Stolz und Wuth, sein Auge rollte.

Mir das!“ rief er heimlich und wildglühend in sich hinein. „Also heute Abend sollte der langverhüllte und langgenährte Groll gegen mich ausbrechen! Heute, wo ich meinen Ehren- und Festtag halte! Heute will man mich vernichten, auf immer zu Boden schmettern! Gut, sie sollen es haben; ich betrete diese Breter nie wieder. Doch ehe ich scheide, will ich ein männlich schneidend Wort zu diesen Unwürdigen sprechen.“

Das Getobe hinter dem Vorhange dauerte fort. Jetzt riefen dicht hinter den Lampen laut eine Menge Stimmen: „Iffland!“ Er befahl, den Vorhang aufzuziehen; Alles flüchtete von der Bühne fort, er stand allein. Kaum hob sich der Vorhang und er stand dem Publicum gegenüber, das sich von seinen Sitzen erhoben hatte, so bemerkte sein scharfes Auge sogleich das Wehen eines Taschentuches von einer der vorderen Logen und sogleich tönten wieder Zischen und Pfeifen. Da bog sich aus der königlichen Loge eine schöne Frau mit dem huldvollen Lächeln der Ueberraschung und Freude weit über die Brüstung herüber und aus ihrer Hand flog ein Blumenkranz auf die Bühne. Jetzt schwiegen, wie mit einem Zauberschlage gedämpft, die Zischlaute und das ganze Haus tönte von Beifall wieder. Iffland eilte freudig an die Lampen heran, nahm den Kranz, drückte ihn ehrfurchtsvoll an seine Lippen und verbeugte sich, die Hände über die Brust gefaltet, gegen die Loge. Sein Sieg war entschieden, der Triumph des Abends laut ausgesprochen! Berlin jauchzte seinem großen Künstler zu. Die Hyder des Neides und der Bosheit war zu Boden geworfen.

Auf den Treppenstufen stand ein Mann, der trotz der milden Nacht in einen Pelz gehüllt war. Iffland, der die Seinigen vorausgeschickt hatte, bemerkte ihn kaum, da rief eine bekannte Stimme:

„Theurer August, laufen Sie gefälligst nicht so toll dahin, grüßen Sie gefälligst Ihre Freunde, die sich Ihretwegen in bitterer Kälte einen Rheumatismus holen.“

„Ach – Roland!“ rief Iffland, „Du hier! Also hat die Furcht vor der Zugluft Dich nicht abgehalten? Habe Dank, alter Freund! Komm mit mir in den Wagen.“

„Nein,“ sagte der Collaborator, „ich kann noch nicht fort von hier; ich habe ein Rendez-vous. Ich bitte Dich, störe mich nicht.“

„Du ein Rendez-vous!?“ lachte Iffland. „Du!“

„Wo mir recht ist. lauscht meine Dame bereits dort hinter dem Möbelwagen.“

„Warum kommt sie denn nicht hervor?“

„Einfältige Frage: weil sie sieht, daß ich nicht allein bin. Ach – gerade heute muß mich der Kuckuck plagen, Schuhe und Strümpfe anzuziehen, aber es ist Alles Deinetwegen geschehen, nur an Deinem Ehrentage. Und dann, es wäre doch auch möglich gewesen, daß Ihre Majestät, die Königin, mich in der Menge bemerkt hätte; alsdann hätte es nicht gepaßt, mich Ihr in Stiefeln zu präsentiren. Du weißt, man hat stets gesagt, ich hätte ein schönes Bein. Doch das bei Seite; ich glaube, die Königin hatte diesen Abend nur Augen für Dich! O, Du Beneidenswerther.“

„Das bin ich auch!“ sagte Iffland stolz. „Aber wer ist denn Deine Dame?“

„Du wirst sie schon sehen, wenn sie erst hinter den, Möbelwagen hervorkommen wird. Ich fand sie hier am Eingange des Hauses. Als alle Welt hineinging, ging sie heraus, und der Zufall wollte, daß wir beim Scheine einer Laterne fast Gesicht an Gesicht stießen. Obgleich sie mich auf mein Hühnerauge trat, so kann ich Dir zuschwören, daß mir der Schmerz verging, als ich das alte, liebe Gesicht sah. Herr Gott! rief ich. – Herr Jes! rief sie. Ich wollte ihre Hand erhaschen, da fuhr eine Droschke dazwischen und die Peitsche des Flegels von Kutscher trieb uns auseinander. Sie flog an diese Säule, ich an jene. Nur so viel Zeit blieb mir, ihr zuzurufen: „Wo sehe ich Sie wieder?“ „Wenn es aus ist, hier an dieser Stelle!“ flüsterte sie. Und wieder eine Droschke, und wieder ein Peitschenknall. Als der Tumult sich legte, war der Platz leer und meine Dame fort.“

„Das ist seltsam.“

„Jawohl ist das seltsam. Ich habe dabei ein Kampherstöpselchen aus dem Ohre verloren. Aber was verliert man nicht willig, wenn man so viel findet?“

„Aber wen, wen hast Du gefunden?“

„Ich bitte Dich, jetzt gehe! Ich sehe dort einen Schatten auf uns zukommen! Der kleine zerdrückte weiße Hut mit der einen geknickten Feder, der blaßgelbe Shawl! Sie ist es. O, wie unvorsichtig ist dieses thörichte Mädchen, so leicht bekleidet in diesem Klima sich hinauszuwagen.“

„Nimm sie unter Deinen Pelz!“

„O, pfui, sei nicht noch muthwillig. Wenn Du wüßtest, wie mir zu Muthe ist! – Ach – ach! sie kommt! Vielleicht ist es passender, ich gehe mit ihr zusammen hinter den Möbelwagen. Wir sind da geschützter! Was meinst Du?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, entschlüpfte der Collaborator dem nachschauenden Freunde.

Zwei Männer gingen jetzt an dem Schauspieler vorüber, der sich nach seinem Wagen umsah. Einer dieser Männer war klein, zusammengedrückt, im Gange schleichend: Iffland erkannte Fellmer. Von seinem Genossen hörte er nur mit scharfer Stimme einige Worte:

„Sie sind ein Armseliger, ein Feigling! Es thut mir leid, Ihnen den wichtigen Posten anvertraut zu haben. Sie standen dicht unter meiner Loge, Sie mußten sehen, wie ich das Zeichen gab, und haben doch nichts zur rechten Zeit gethan. Die Kerle hätten gleich brüllen sollen, wie er auftrat. Da war aber Alles still. Ich konnte mit meinem Tuche winken, so viel ich wollte.“

„Herr Graf,“ tönte die Gegenrede, „wir hatten ausgemacht, daß am Schlusse –“

„Nun – und am Schlusse? Was haben Sie denn da gethan? Ist denn nicht Alles gerade so gegangen, wie es nicht gehen sollte?“

„Mein Gott – Ihre Majestät –“

„Narrheit! Hätten wir ärger gewüthet, wäre die Königin nicht erschienen. Ich habe mein Geld umsonst weggeworfen.“

„Wir finden wohl noch eine andere Gelegenheit, Herr Graf; entgehen wird er uns nicht. Dieser Schade ist noch der geringste, ein Anschlag anderer Art, den ich klug geleitet und gesponnen, leider ist der auch mißglückt. Teufel! das ist etwas, was mich wahrhaft wurmt –“

Bis dahin hatte die schnarrende Stimme gesprochen, da fühlte sich der Sprecher von einem starken Arme gefaßt.

„Nichtswürdiger!“ rief Ifflands Stimme, „Du folgst nur sogleich und gibst Rechenschaft.“

Zwei herbeigerufene Diener der Polizei bemächtigten sich Fellmer’s. Sein Begleiter, der Niemand anders, als der Graf Sylchon war, entfloh.

So endete ein sehr stürmischer und sehr inhaltreicher Abend.




VII.

Ein anhaltendes Unwohlsein hielt den gefeierten Künstler über drei Wochen nach der Benefizvorstellung in seinem Zimmer gefesselt. Die Erschütterung seines Gemüths war zu heftig gewesen, als daß sie hätte ohne Folgen sein können. Laura wachte an seinem Bette und pflegte den Fieberkranken. In den Stunden seiner Genesung spielte sie ihm seine Lieblingslieder auf der Harfe vor. Er hatte hastig nach Anton verlangt, man mußte ihm verheimlichen, daß der Jüngling sich in Haft befand, in Folge eines tollkühnen Versuchs, den General zur Rede zu stellen. Die Rache des Mächtigen war dadurch gereizt und es schwebte die für ein schweres Subordinationsvergehen festgesetzte Strafe über dem Haupte des Unglücklichen. Die Freunde waren thätig, aber sie vermochten

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