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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

wie diese Welt! Wie doch das kleine Sternchen heißen mag, das man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament nur ein Stäubchen gegen die Unendlichkeit! Sage mir, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn wir Abends auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahnungen reicher, als Gedanken fassen und Worte sagen können. Komm, laß uns etwas Gutes thun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen. Sieh! die Welt kommt mir vor wie eingeschachtelt, das Kleine ist dem Großen ähnlich. So wie der Schlaf, in dem wir uns erholen, etwa ein Viertel oder Drittel der Zeit dauert, da wir uns im Wachen ermüden, wird, denk ich, der Tod, und aus einem ähnlichen Grunde, ein Viertel oder Drittel des Lebens dauern. Und grade so lange braucht ein menschlicher Körper, um zu erwachen. Und vielleicht gibt es für eine ganze Gruppe von Leben noch einen eigenen Tod, wie hier für eine Gruppe von Durchwachungen (Tagen) einen.“ –

Noch eh’ es dunkel wurde, kehrte Kleist und seine Freundin nach dem Gasthause zurück, wo sie zur Nacht mitsammen speisten. Sie hatten sich Feder und Dinte von dem Wirthe erbeten und schrieben einige Abschiedsworte an die zurückbleibenden Freunde. Der Hausknecht, welcher die ganze Nacht wachte, hat auf dem Zimmer der Fremden beständig Licht brennen sehn und beide zuweilen gehen hören. Sie schliefen demnach wenig oder gar nicht, wahrscheinlich lasen sie in den mitgebrachten Schriften von Novalis dessen „Hymnen an die Nacht.“

Am Morgen um fünf Uhr kam Henriette herunter und bestellte den Kaffee. Auf die Frage des Mädchens, ob sie zu Mittag essen wollte, entgegnete sie, daß sie nur etwas Bouillon trinken und am Abend desto besser essen wollten. Sie baten sich ihre Rechnung aus, die sie bezahlten und quittirt zurückverlangten. Dann forderten sie einen Boten nach Berlin, dem sie einen Brief zu besorgen gaben. Nachdem sie den Bouillon genossen, bestellten sie den Kaffee, den sie am Ufer des See’s zu trinken wünschten. Dorthin begaben sie sich auch; Henriette trug, wie die Wirthin bemerkte, ein Körbchen, welches mit einem weißen Tuche bedeckt war, am Arme, worin wahrscheinlich die Pistolen lagen. Eine Aufwärterin kam nach einiger Zeit, um das gebrauchte Kaffeegeschirr zu holen; sie fand die Gäste, wie es schien, in heiterster Stimmung scherzend und lachend. Henriette gab der Frau vier Groschen für ihre Mühe und ersuchte sie, einen Tassenkopf rein auszuwaschen und wieder zurückzubringen.

Als die Aufwärterin etwa vierzig Schritte weit gegangen war, fiel ein Schuß. Nach etwa dreißig Schritten weiter ein zweiter. Die Frau glaubte, daß die Fremden zum Vergnügen schössen, weil sie beide zuvor so aufgelegt und munter gesehn, daß sie sogar wie fröhliche Kinder Steine in’s Wasser geworfen hatten und mit einander gesprungen waren. Deshalb achtete sie nicht auf die Schüsse; sie wusch zuvor den ihr übergebenen Tassenkopf aus und trug ihn zurück, wie die Dame es von ihr verlangt hatte.

Als sie auf den Platz kam, fand sie beide Personen als Leichen und in ihrem Blute schwimmend wieder.

Entsetzen ergriff die Aufwärterin, die vor Schreck betäubt dem Wirth die Mittheilung machte, daß die Fremden sich erschossen und todt dalägen. Er eilte zunächst nach den von ihnen bewohnten Zimmern, deren Thüren fest verschlossen waren. Es gelang ihm jedoch durch ein Seitenpförtchen einzudringen, obgleich dasselbe absichtlich durch vorgestellte Stühle verrammelt war. Außer einem versiegelten Päckchen, welches auf dem Tische lag, war in der Stube nichts Bemerkenswerthes vorhanden. – Nun stürzte der Wirth in Begleitung seiner Leute nach dem Platze, wo er die Leichen fand; Henriette in liegender Stellung, den Oberrock von beiden Seiten aufgeschlagen und die Hände auf der Brust gefaltet. Die Kugel war in die linke Brust, durch das Herz und am linken Schulterblatt wieder hinausgegangen. Kleist in derselben Grube, die durch einen ausgerodeten Baumstamm verursacht wurde, kniete vor ihr; er hatte sich eine Kugel durch den Mund in den Kopf mit sicherer Hand geschossen. Beide Todte waren gar nicht entstellt, vielmehr zeigten ihre Mienen einen heitern und zufriedenen Ausdruck. In den Taschen seines Rockes, welche der Wirth untersuchen ließ, um irgend einen Aufschluß über den ihm Unbekannten zu erhalten, fanden sich nur die zwei Zimmerschlüssel vor. Es wurde sogleich der Polizei in Potsdam die nöthige Anzeige gemacht.

Um sechs Uhr Abends kamen zwei Herren aus Berlin gefahren, der eine war der Kriegsrath Peguilhen, der andere der Ehemann Henriettens. Der Kriegsrath stieg zuerst aus dem Wagen und fragte, ob die beiden Fremden noch hier wären? Auf die Antwort, daß beide nicht mehr lebten, fragte er noch einmal, ob es wahr wäre? – Der Wirth sagte, daß die Fremden jenseits des Sees erschossen in ihrem Blute lägen.

Darauf stieg auch der Gatte der Entleibten aus, er trat in die Stube, warf den Hut in einen Winkel, die Handschuhe in einen andern und weinte bitterlich, jeden Trost zurückweisend. In dem Briefe, welchen Kleist an den Ehemann Henriettens geschrieben und dem abgesandten Boten zur Besorgung übergeben, hatte er den Wunsch ausgesprochen, daß ein Grab beide Körper umschließen sollte. Außerdem übertrug er demselben die Berichtigung einiger kleiner, vergessener Schulden. –

Ein zweites Schreiben hatten die Unglücklichen an die Gattin Adam Müllers, ihre beiderseitige vertraute Freundin, kurz ehe sie sich den Tod gaben, gerichtet. Der Brief legt ein seltenes Zeugniß von ihrer wehmüthig heiteren Stimmung in den letzten Augenblicken ihres Daseins ab. Derselbe lautet im Auszuge folgendermaßen:

„Der Himmel weiß, meine liebe, treffliche Freundin, was für sonderbare Gefühle, halb wehmüthig, halb ausgelassen, uns bewegen, in dieser Stunde, da unsere Seelen sich wie zwei fröhliche Luftschiffer über die Welt erheben, noch einmal an Sie zu schreiben. Wir waren doch sonst, müssen Sie wissen, wohl entschlossen, bei unseren Bekannten und Freunden keine Karten p. p. c. abzugeben. Ja, die Welt ist eine wunderliche Einrichtung! – – Leben Sie wohl, unsere liebe, liebe Freundin, und seien Sie auf Erden, wie es gar wohl möglich ist, recht glücklich! Wir, unsererseits, wollen nichts von den Freunden dieser Welt wissen und träumen lauter himmlische Fluren und Sonnen, in deren Schimmer wir, mit langen Flügeln an den Schultern, umherwandeln werden. Adieu! Einen Kuß von mir, dem Schreiber, an Müller; er soll zuweilen meiner gedenken, und ein rüstiger Streiter Gottes gegen den Teufel Aberwitz bleiben, der die Welt in Banden hält. –

(Nachschrift von Henriettens Hand.)

„Doch wie dies Alles zugegangen,
Erzähl’ ich Euch zu andrer Zeit,
Dazu bin ich zu eilig heut. –

„Lebt wohl denn! Ihr, meine lieben Freunde, und erinnert Euch in Freud’ und Leid der zwei wunderlichen Menschen, die bald ihre große Entdeckungsreise antreten werden.

Henriette.“
(Abermals von Kleist’s Hand.)

„Gegeben in der grünen Stube den 21. Novbr. 1811.

H. v. Kleist.“

Dem Wunsche der Verstorbenen gemäß wurden der unglückliche Dichter und seine Freundin an dem Orte der That, an dem Ufer des Wansee begraben. Der Besitzer des Bodens hatte, durch einen Aufsatz von Eduard von Bülow in der Allgemeinen Zeitung, der in die Berlins Blätter überging, veranlaßt, den Gräbern die nöthige Sorge gewidmet, sie mit Rasen belegen, umzäunen und mit Bäumen bepflanzen lassen; ein junges, schönes Mädchen, die Tochter des späteren Wirthes, hatte die Hügel mit frischen Blumen geschmückt, die sie täglich begoß. Sie werden noch öfters von Verehrern und Freunden des Dichters besucht. Eduard von Bülow beabsichtigte, einen unbehauenen Granitwürfel mit Kleist’s Namen, Geburts- und Todestag neben der jungen Eiche zu errichten, die auf dem Grabe des deutschen Dichters frisch und grün emporgewachsen ist. Er bestimmte dazu den Erlös seiner Biographie von Kleist.

Ueber die That selbst wurden verschiedene Stimmen laut, unter denen wir vorzugsweise eine Aeußerung der berühmten Rahel in einem Briefe an ihren Freund von Marwitz hervorheben. Die ausgezeichnete Frau schrieb:

„Ich freue mich, daß mein edler Freund, denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach, das Unwürdige nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_236.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)