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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Und das Resultat der Besprechung? – Auf die Packstube wurde ein Gegenbefehl gegeben, – die Ballen erhielten die Signatur, – neue Ballen wurden gepackt, – nach einigen Tagen ging die Waare nach Hamburg.

Nach einigen Tagen kam auch Fräulein Cölestine angefahren mit ihrem Vater, Beide stiegen aus und besahen den Bau nicht nur, sondern das ganze Etablissement. Karl und sein Vater waren zugegen, und Beide schlossen an Beide sich an, – und als man besehen hatte, setzte man sich zu Tisch.

Auch das war vorbei. Da zog der alte Herr den Bräutigam auf die Seite und sagte: „Karl, wir müssen allein sprechen.“

Und als sie allein waren, hob der Sohn an: „Du scheinst verstimmt zu sein, Vater, – nichts von Mathilden!“

„Nichts von ihr, Karl, – aber sie wäre doch ein ganz anderes Kind für mich,– also nichts von ihr, nichts! Von etwas Anderem, Karl.“ Er zog einige Rechnungen aus der Rocktasche und fuhr fort: „Hier, Karl, der Bedarf wächst, – nur auf Abschlag für Maurer und Zimmerleute! und dann, Karl, wenn die Maschinen kommen, sofort wieder auf Abschlag! – Du hattest doch Hoffnung, man würde Dir heute ebenfalls eine Zahlung auf Abschlag –“

„Ich habe sie noch, – aber sei nicht verstimmt, Vater, dränge nicht,“ bat der Sohn. Und der Alte drängte nicht, er wurde Herr über seine Verstimmung.

Die Zeit verging, – der Wagen stand bespannt im Hofe,– die erwünschte Offerte zeigte sich nicht. Gewandt brachte Karl es an seinen künftigen Schwiegervater, daß er viele Papiere in den Händen habe, welche erst nach einigen Monaten zahlbar würden,– wie das einigermaßen genire beim Bau, – aber die Offerte kam nicht. Man stieg in den Wagen, man fuhr ab, und der alte Herr ging mit schnellen Schritten in den Garten, und sagte lächelnd und doch entrüstet: „„und deine Zettel, deine Lumpen blüh’n!““




Wir rücken ein kleines Stück weiter in der Zeit. Die Leipziger Michaelismesse war vorbei. Schöne, sonnige Herbsttage gab’s, aber am Horizont der Handelswelt war das Ungewitter längst aufgestiegen, weiter und weiter breitete es sich am Himmel aus, näher und näher zog es auf Deutschland heran. Der „große Krach“, welcher in Amerika geschehen war, erschütterte natürlich auch Europa, – und wie konnte da Deutschland, welches so innig und tausendfach mit Amerika verbunden ist, von der Erschütterung verschont bleiben?

Bald nach der Leipziger Michaelismesse schon hatte ein harter Schlag auch unsern alten Herrn getroffen. Noch hielt sich das Geschäft, – der Bau aber gerieth in’s Stocken. Karl bemühte sich, die zu erwartende Mitgift seiner Braut wenigstens theilweise herbei zu bringen, – es war vergebens, – Cölestine wich aus, ihr Vater wich aus. – Nun stieg die Verlegenheit für den alten Herrn und seinen Sohn von Tag zu Tag. Die Papiere, welche sie besaßen, waren jetzt zwar zahlbar, aber viele davon mußten sie schon früher mit Verlust verwerthen, die noch übrigen und die etwa einlaufenden Zahlungen reichten kaum hin, das Geschäft im Gange zu erhalten.

Da kam der verhängnißvolle December. In der Natur noch immer heitere Tage, – aber Sturm, Blitz und Wetterschlag entluden sich über Hamburg, Berlin, Wien, Stettin und fast allen Groß- und Mittelhandelsstädten Deutschlands.

Die „Krisis“ war da, und zog wie ein Würgeengel von Platz zu Platz, und schlug über Nacht.

Gleich in den ersten Würgnächten war auch das Haus St. in Hamburg gefallen. Schnell kam die Todespost in’s Thal zu unserm alten Herrn und dessen Sohn. Todesangst ergriff sie, – sie lagen getroffen von einem ungeheuren Verlust.

Armer, alter Herr! – Wir wollen nicht erzählen, in welch sonderbare, oft komische Ausbrüche und Ergießungen Du verfielst, – Deine Lage ist zu ernst und traurig.

Und Karl, – betrachten wir ihn genau, wir werden kein hartes Urtheil über ihn fällen. Er ist jung, ist Kaufmann, hat sich ein Strebziel gestellt, gehört einer Zeitperiode an, die so manchen Rechtlichen verlockte, der älter und erfahrener war, als er.

Der jetzige Schlag hat ihn gebeugt, aber er erhebt sich, er verzagt nicht. Schnell ordnet er, was zu ordnen ist, sitzt und arbeitet die Nächte hindurch, läßt den Bau gänzlich still stehen und – so weh es ihm und dem Vater thut – er reducirt die Zahl der Fabrikarbeiter auf die Hälfte.

Es versteht sich von selbst, daß er oft hinüber reitet zu seiner Braut. Auch können wir annehmen, daß in der Umgegend das Gerücht geht: „L. und Sohn werden doch noch falliren.“

Sie fallirten nicht, so nah sie auch daran waren.

Fünf Tage aber nach den eingetretenen Reducirungen, Entlassungen und Veränderungen kam ein höflicher Brief vom Vater Cölestine’s, ein höflicher Rücktrittsbrief.

Es ist gut, daß wir Cölestine nicht beschrieben, nicht geschildert haben. Schön war sie nicht, von Herzen weder gut noch schlecht, – übrigens verwöhnt durch die vielen Bewerbungen um ihre Hand, – im Ganzen eine weiche Treibhauspflanze.

Immerhin aber fühlte der alte Herr und sein Sohn den neuen Schlag gar sehr. Eine beschleunigte Heirath konnte Alles in den frühern Stand bringen, – vielleicht nur die Vollendung des Baues mußte eine Zeit lang verschoben werden. Jetzt stellte sich’s anders. Es war keine Möglichkeit, das volle gangbare Zeug in der Fabrik fortzubeschäftigen, – ein Theil der Maschinen mußte abermals stehen, und von den Arbeitern – das wurde in strenger Stille abgemacht – behielt man größtentheils nur diejenigen, welche mit der Zahlung des Lohnes in Geduld stehen konnten. Die übrigen mußten Feierabend machen.




Der neunte December kam, – der Geburtstag des alten Herrn. Vater und Sohn blieben jetzt stets in der Fabrik, – der Schimmel stand ruhig im Stalle, sollte verkauft werden, sobald sich ein Käufer fände. Der junge Herr hat es selbst so bestimmt, dem alten Herrn thut es leid, daß der fleißige, jetzt fort und fort arbeitende Sohn sich trennen soll von dem Thier. Doch es thut ihm noch Anderes leid, und mehr leid als das. Er fühlt die Erschütterung seiner Finna tiefer, als ein Zweiter sie fühlen kann. Durch Thätigkeit, Umsicht, günstige Conjuncturen war er gewachsen. Kaufmännische Ehrenhaftigkeit stellte von Jahr zu Jahr seine Firma höher, und trotz der blendenden, aber seichten Grundsätze, welche sich in neuerer Zeit der Handelswelt bemächtigten, hielt er die alten, soliden Ansichten fest. Nur seit einem Jahre war er, größtentheils genöthigt durch Umstände oder auch mit verleitet durch Karl, davon abgewichen. Oft faßte ihn darüber tiefe Besorgniß, – er sah, was da kommen konnte, – es war nun gekommen.

Jetzt sitzt er rechnend und schreibend oben auf seinem Zimmer. Er muß schon lange gearbeitet haben, es liegen viele fertige Briefe vor ihm.

„Aus nun!“ spricht er vor sich hin, legt die Feder weg und siegelt die Briefe, und gibt ihnen die Adresse. „Geburtstag heute,“ fährt er fort, als er auch dieses Geschäft vollendet hat, und steht auf und tritt an’s Fenster, durch welches die winterliche Abendsonne blickt, „Geburtstag, wie er noch nie gekommen, Geburtstag ohne Freude, – die Freude weg durch’s amerikanische Schwindelthum!“

Er sah hinüber nach dem Garten, – gedankenvoll nach dem längst verblühten Blumenbeete links und rechts, wo soeben ein Arbeiter eine schützende Einhüllung gegen Frost und Schnee, welche nun täglich eintreten konnten, anbrachte.

„Ist auch spät damit, – Alles außer Ordnung,“ fährt er fort, „würde anders sein, längst geschehen sein, wenn Anderes nicht geschehen wäre, – und sonst war Mathilde dort, – jene zwei Beete pflegte sie gern.“

Er steht, – er sinnt. Ein Anflug von Freude legt sich auf sein Gesicht. Aus dem Sinnen und Denken scheint eine Neigung, – aus der Neigung ein Entschluß zu erwachsen.

„Warum sollt’ ich das nicht?“ spricht er weiter, „dieses Angebinde kann ich mir zu meinem Geburtstage schon machen, – und ich will’s, ich will’s!“

Er sieht nach der Uhr, die auf dem Schreibepulte steht, er nimmt Stock und Hut, rafft die gesiegelten Briefe zusammen.

„Diese Briefe müssen noch zur Post,“ sagt er draußen zu einem Werkführer, „also hin damit, zu meinem Sohne! Ist er noch auf seiner Schreibstube?“

Der Werkführer bejaht es und geht. Der Alte geht auch, – an dem Treppenhause, wo der Weg hinter nach Karl’s Schreibstube führt, bleibt er stehen.

„Nichts da, – braucht gar nichts zu wissen!“ entscheidet er schnell, „Geburtstagsfreiheit, – Geburtstagsfreude, – hält mich sonst zurück – – ich gehe! – ’s kann seinen Nutzen haben, – tritt vielleicht wieder ein als Arbeiterin, braucht nicht augenblickliche Zahlung, würde in Geduld stehen auf Rechnung. – wenn sie wiederkäme! – er hat sie ja lieb, lieb noch, – o Gott und Herr!

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