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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

das Uebrige, nachdem zwei, drei Mal wiederholt worden. Iffland freute sich an der Innigkeit der Worte, die er niedergeschrieben, und die jungen Herzen vor ihm zeigten ihm, wie richtig er in die warme, blüthenreiche Seele der Jugend und Unschuld hineingeblickt. Die Liebe und die Poesie feierten zugleich ihren Triumph. Das Urbild hatte sich des Abbildes nicht zu schämen. Aber freilich, wie konnte auch auf den Bretern so gespielt werden, hier, wo die Natur selbst es übernahm, das Werk der Kunst zu vervollständigen! In einer immer höher steigenden Scala der Liebeslaute wuchs das schöne Concert zu einem entzückenden Wohllaut an.

Als das seelenvolle Mädchen die Worte sprach: „Anton – mein ganzes Leben ist in Dir! Wäre es möglich, daß Du einmal mich weniger liebtest, als heute? Wenn ich Eltern hätte, sie würden Dich an meiner Stelle fragen; nun bin ich eine Waise, und mein Leben ist in Deiner Hand. Wäre es möglich, so laß uns gleich abbrechen. Es wird mir das Leben kosten, das weiß ich, aber ich sterbe doch sanfter, als wenn – Ach, Anton“ und er darauf erwiderte, indem er ihre Hand an seine Brust drückte: „Riekchen, Riekchen, sieh mich an! Gott weiß es, es ist kein Falsch in mir!“ sprang Iffland auf, und von seinem Gefühle hingerissen, schloß er seine Arme um beide Liebende. Dann umfaßte er noch besonders den Jüngling, und indem er einen Kuß auf die vollen, unentweihten Lippen seines schönen Lieblings drückte, rief er:

„So recht, mein Junge, flamme mit Deinen Augen, flöße mit Deinen Küssen das Gebot der Liebe allmächtig in ihr Herz. So will es die Natur, so will es Gott! Sei ganz glücklich, Du darfst es sein, mich aber laß an Deiner Brust weinen, daß Du junger Seraph mich so tief unter Dir zurücklässest, in den Nebeln und Dämpfen der Erde! Komm herbei, Laura, komm herbei, nimm auch Du einen Kuß von diesen Lippen, sie sind in diesem Augenblicke geheiligte Priesterlippen der Liebe, heiße, milde Flammenrosen, die mit ihrer Gluth alte, verschüttete Altäre neu mit Feuerregen überschütten können.“ Und in seinem Enthusiasmus zog der begeisterte Mann die Freundin heran und der junge Soldat, verwirrt und beschämt, nicht wissend, ob er den abgeforderten Kuß geben dürfe, neigte sich zu der kleinen zarten Hand der Präsidentin und berührte sie ehrfurchtsvoll mit seinen Lippen. Iffland schwelgte in immer neuen Aufwallungen. Die Liebesscene hatte ihn so erschüttert, daß er abwechselnd von den beiden Liebenden zu der Freundin flog, bald seine Wangen an die Schulter Sophiens legte, bald mit der Hand in den dunkeln Locken des Jünglings wühlte, bald vor der Präsidentin niederfiel, und ihr knieend eine Liebeserklärung machte. Mit feiner Gewandtheit verstand es Laura, die Aufregung des Freundes nach und nach auf ein anderes Feld hinüberzuspielen, indem sie von den Forderungen des wirklichen Lebens, von den Erwartungen, die das Theaterpublicum hegte, zu sprechen begann. Iffland ernüchterte sich schnell.

„Ihr müßt nun gehen,“ sagte er zu der Präsidentin und Sophien, „noch ist es hell, und der Weg durch den Thiergarten steht auch noch offen. Finge es an zu dunkeln, so möchte ich Euch nicht ohne männliche Begleitung gehen lassen. Unser Kriegsheld muß rasch in seine Kaserne zurück, wir dürfen seine Zeit keinen Augenblick weiter in Anspruch nehmen. Also lebt wohl, Ihr Theuren, auf Wiedersehen.“

Der große breite Gang, der mitten durch den Thiergarten führt, war noch ziemlich belebt, als die beiden Frauen ihren Weg antraten. Der milde Abend bewog die Präsidentin, sich bald bei dieser, bald bei jener Baumgruppe zu verweilen, um die knospende Fülle des jungen Frühlings zu betrachten. Sophie trieb zur Eile.

Aus einem Seitengange hervortretend, sahen sie drei junge Männer, wie es den Anschein hatte, den höhern Ständen angehörend, auf sich zukommen. Die kecken Spaziergänger vertraten den Damen den Weg und einer derselben, Sophien den Arm anbietend, rief:

„Meine Schöne, es dunkelt bereits, erlauben Sie, daß ich Sie beschütze und nach Hause geleite.“

Der zweite dieser Wildfänge reichte der Präsidentin den Arm, und der dritte machte Miene, sich an den noch freien Arm Sophiens zu hängen. Weigerungen und Abweisungen halfen nichts. Die kleine Gruppe bewegte sich unter lautem Lachen vorwärts. Die Präsidentin ließ ihre Blicke spähend umherirren, ob sie nicht unter den wenigen Spaziergängern zufällig einen Bekannten fände, doch vergebens. Es war das Beste, gute Miene zum bösen Spiele zu machen, und einstweilen die Ungebühr zu dulden, da man ihr nicht entgehen konnte; das Thor war nicht mehr weit entfernt. Die fortwährend sich umschauende Präsidentin bemerkte endlich zu ihrer nicht geringen Freude wenige Schritte hinter sich den General Xavier kommen, dem sie in letzterer Zeit häufig in Gesellschaft begegnet war. Sie blieb sogleich stehen, und als der General grüßend an sie herantrat, bat sie sich dessen Arm aus, indem sie zugleich eine höfliche verabschiedende Verbeugung gegen ihre aufgedrungenen Begleiter machte. Diese hatten aber nicht den Willen, dem neuen Ankömmling zu weichen; es gab einige scharfe Reden, endlich sagte der General in einem festen Tone:

„Meine Herren, diese Damen vertrauen sich, wie Sie sehen, meinem Schutze, daraus scheint mir zu folgen, daß jede andere Begleitung hier überflüssig ist.“

„Darf ich um Ihren Namen bitten?“ fragte einer der jungen Männer.

„Ich sehe keine Gründe, ihn zu verheimlichen, ich bin der General Xavier,“ entgegnete der Gefragte.

(Fortsetzung folgt.)



Leben und Sterben eines deutschen Dichters.[1]

Es war am 20. November des Jahres 1811, an einem jener seltenen schönen Herbsttage, wo die scheidende Natur noch einmal wie ein Licht im Erlöschen ihren ganzen Glanz über die Landschaft ausgießt, als ein Berliner Fuhrwerk vor dem dicht bei dem Wansee gelegenen neuen Kruge hielt. Aus dem Wagen stiegen ein Herr und eine Dame von leidendem Aussehen. Sie verlangten von dem herbeigeeilten Wirth zwei besondere Zimmer in der oberen Etage mit der Aussicht auf den See und ein Mittagbrod. Nachdem sie das letztere eingenommen hatten, ließen sie sich den Weg nach dem jenseitigen Ufer weisen, wohin sie ihre Schritte lenkten. Weder in ihrem Benehmen noch in ihren Zügen that sich der außerordentliche Entschluß kund, den sie bei ihrer Abreise von Berlin gefaßt hatten.

Es mochte ungefähr einige Wochen her sein, daß die innig Befreundeten in dem Zimmer der Dame saßen, welche Henriette hieß, und die Frau eines angesehenen und wohlhabenden Beamten war. Sie litt nach der Aussage des Hausarztes an einem unheilbaren Uebel, weit mehr aber an einem großen Lebensüberdrusse, der Folge eines reizbaren Nervensystems und einer hochgespannten Phantasie, welche keine Befriedigung in der Wirklichkeit und ihrer Umgebung fand. Eine ähnliche Verstimmung beherrschte ihren Freund, und Beide fühlten sich dadurch bald zu einander hingezogen. Er war eine jener tiefen und genialen Naturen, welche das Unglück gleichsam als die Dornenkrone ihrer geistigen Größe tragen müssen. Ein unwiderstehlicher Drang nach Wissen ließ ihn seine militärische Laufbahn mit der Universität vertauschen. Bald aber fühlte er auch hier nicht die gehoffte Befriedigung, und statt der anfänglichen Lust an philosophischen Studien erfaßte ihn ein Ekel vor der Schulweisheit, welche die ewigen Räthsel des Daseins und die ungestümen Fragen seiner nach Offenbarung lechzenden Seele nicht zu lösen im Stande war. Die Liebe eines unschuldigen und trefflichen Mädchens schien ihm einen Ersatz bieten zu wollen, aber mit selbstquälerischer Unruhe zerstörte er sein Glück, indem er an die Geliebte die überspanntesten Forderungen stellte und Opfer verlangte, die sie trotz ihrer aufrichtigen Neigung zu ihm nicht zu bringen vermochte. Gekränkt zog er sich von ihr zurück, um sich von nun an ausschließlich der Kunst zu widmen. Aber auch hier hatte er mit dem Widerstand der schnöden Welt zu kämpfen. Obgleich wie wenige begabt und ein Dichter, den Deutschland gegenwärtig zu den ersten der Nation zählt, war es ihm nicht vergönnt, die Anerkennung seiner Zeitgenossen zu erleben. Seine Schöpfungen waren zu gediegen, zu gewichtig, um mit

  1. Wir finden uns zu der Bemerkung veranlaßt, daß obige Darstellung auf authentischen Ueberlieferungen beruht, von denen einige hier zum ersten Male mitgetheilt werden.  D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_220.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)