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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 16. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Iffland.
Biographische Novelle von A. v. Sternberg.
(Fortsetzung.)

„Schweig!“ rief die Frau, nach einer Weile, „tadle nicht das Einzige, was vielleicht noch gut an mir ist. Seit ich mit Dir zusammenlebe, bin ich schlecht.“

„Nicht schlecht bist Du, Du bist klug; Du siehst die Welt an, wie ich sie ansehe, das heißt, angefüllt mit Schurken und Schwachköpfen; die ersteren dazu geschaffen, auf Kosten der Anderen zu leben. Ich war lange Zeit ein Schwachkopf, bis ich’s endlich weg hatte, ein Schurke zu sein. Wie lange hab’ ich mich von dem Schurken Iffland um meinen Ruhm, um mein Glück, um mein Leben betrügen lassen! jetzt, wenn ich heute aufträte, würde er an mir seinen Mann gefunden haben.“

„Nun so tritt auf; aber Du liebst die Flasche so sehr, daß Du nicht einen einzigen Abend kannst nüchtern sein. Ist das nicht Schwäche?“

„Seine besten Rollen hat er von mir! Was er als Hamlet und Lear leistet – ein schwaches Abbild ist es von mir! Und ich Thor – ich öffnete ihm, dem Jämmerlichen, noch die Pforten zum Ruhme.“

„Er ist ein edler Mann.“

„Weib!“ rief der Zürnende, indem er heftig aufsprang und die Fäuste ballte, „wenn wir gute Freunde bleiben sollen, so rede nicht so von dem Manne, den ich hasse, wie ein Mensch nur den andern hassen kann. Hier lieg ich im Staube, ein Zertretener, ein Vergessener, ein Verschmähter, während er triumphirt, während er bei den Großen, bei Hofe und in glänzenden Kreisen in der Stadt als Stern erster Größe glänzt. Und ich, von dem er hat, was er hat, ich gehe in Armuth und Elend unter. Und nun kommt diese Närrin und lobt ihn noch. Sage mir lieber, wie ich ihn vernichte, wie ich ihn todtmache, wie ich ihn unter meine Füße bringe, das stände Dir gut an, alte Gauklerin!“

„Wenn ich sage, daß dieses Gefühl Neid ist und daß der Neid Elende noch elender macht –“

„Schweig, Du verstehst davon nichts. Jeder große Mann ist neidisch und muß es sein; es gehört der Neid zur Größe. Aber laß uns von etwas Anderem sprechen. Wie viel hast Du in Casse?“

„Die paar Pfennige, die das Kind mir gestern gebracht.“

„Gib sie her.“

„Sie sollten dazu dienen, uns ein Abendbrod zu verschaffen.“

„Mich hungert nicht. Ich habe gestern eine Schenke entdeckt, in der man billig und gut eine Erfrischung zu sich nehmen kann.“

„So nimm, was da ist, aber bleibe nicht so lange aus. In der Einsamkeit und im Dunkeln hab’ ich so sonderbare Träume. Es naht sich mir mit Stimmen und spricht zu mir mit Gebehrden, als wollte die alte Zeit erstehen. Neulich sah ich sogar meinen Ottokar. O, da hab’ ich weinen müssen, bittere, unversiechbare Thränen; Thränen, wie sie Agrippina weinte auf den Aschenkrug ihres Unvergeßlichen.“

„Ottokar? Das war der Leichtfuß, der Dich sitzen ließ und der später Minister geworden ist?“

„Laß ihn,“ flüsterte die Kranke und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. „Wo er auch sei, es gehe ihm gut.“

„Dieses Weib ist, so wahr ein Gott lebt, zum Tollhause reif!“ tobte der Mann. „Ich könnte über diese kindische Seele lachen, wenn ich sie nicht hassen müßte. Wie hat doch der Himmel oder die Hölle, was gleichviel bedeutet, in den engen Raum dieser Dachkammer das schwächste Weib und den stärksten Mann zusammengeführt!“

Er machte sich fertig zum Gehen, dann blieb er stehen und es war, als zucke ihm etwas durch Gehirn und Glieder. Er hielt den Leuchter mit dem Lichtstümpfchen hoch empor, und indem er den Schein auf sein todtenfahles und verzerrtes Antlitz fallen ließ, begann er plötzlich in hohlen Tönen jenen schauervollen und gigantischen Monolog des Franz Moor zu declamiren, in welchem alle Schrecken der Phantasie zusammenwirken, um ein Bild des Tages des Weltgerichts zu geben. Er sprach sich immer mehr hinein und die Darstellung wurde so ergreifend, daß die Kranke sich im Bette aufrichtete, beide Hände vor das Gesicht schlug und weinend ausrief:

„Gott sei mir armen Sünderin gnädig!“

In der dunkeln Einfassung der Thüre stand ein Mann im Mantel unbeweglich und war Zuschauer dieser Scene, ohne daß sein Erscheinen von den Andern war bemerkt worden.

„Ha!“ brüllte plötzlich der Declamirende. „Da ist er!“

„Wer?“ fragte die Frau auf dem Bette.

„Wie kommt er hierher?“ stotterte der Bestürzte, indem er sich scheu und schüchtern bis in die Nähe des Bettes zurückzog und dann mit vorgehaltener Hand der Frau zuflüsterte: „Iffland!“ Die Frau stieß einen Schrei aus und wandte sich im Bette gegen die Wand, indem sie vor sich hinmurmelte:

„Ich will ihn nicht sehen; er soll mich nicht hier und in diesem Elende finden.“

Das Kind kam an das Bette der Frau und rief:

„Das ist der Herr, der Dich sehen und sprechen wollte, Mutter.“

Eine lange Pause herrschte im Zimmer, endlich trat Iffland

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_217.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)