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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Dich lieb, – hätte nichts dagegen gehabt, wenn Karl – aber der Bau, die Maschinen, die ganze neue Einrichtung – ohne Capital würde Alles ein Schwindel sein, der uns in’s Unglück stürzen müßte. Das willst Du nicht, Mathilde, – bist Du bös auf mich? bist Du bös auf Karl? O, nur nicht hinein in den jetzigen Geschäftsstrudel ohne Capital! Denke an unsere Firma, an unsere Ehre, an unsere Verbindungen und Verbindlichkeiten, – Mathilde, bist Du bös auf mich und Karl? Und nimm doch die Hände weg, schäme Dich nicht, – bist Du bös auf uns?“

Langsam zog sie die Hände vom Gesicht. Die schönen Augen schwammen in Thränen.

„Nicht bös,“ sagte sie still, „nicht auf Sie, – nicht auf den jungen Herrn.“

„Aber auf Fräulein Cölestine?“

Schweigend schüttelte die Arme ihr Haupt, aber ein tiefschmerzlicher Zug ging über ihre Stirn.

„Gib mir Deine Hand darauf, – also nicht bös, nicht bös auf uns Alle, – auch nicht bös auf den lieben Gott, der es so haben will, weil er uns Vernunft gab, – freilich, freilich,“ setzte er seufzend hinzu, „er gab uns auch ein Herz.“

Da brach Mathilde in lautes Weinen aus, – aber sie reichte dem alten Herrn die Hand.

Mochte der alte Herr es fühlen, daß er in seiner Gutmüthigkeit immer wieder einriß, was er aufbaute, – oder erschrak er über das heftige Weinen, das er nicht erwartet hatte? Genug, auch er konnte sich jetzt nicht länger mehr halten, – er fing an, in eine Weichheit zu verfallen, welche die Verwirrung in seinem Innern noch größer machte, als sie schon war. Sein Gang wurde schneller, ängstlich fuhr er mit den Händen in die Rocktaschen, brachte bald den „Ernst Heiter“, bald das seidene Taschentuch heraus, mit welch’ letzterem er sich die Thränen abtrocknete, die er nicht länger hatte zurückhalten können. Dann las er einige Secunden lang in dem Zeitungsblatte, – aber es wollte nicht gehen. Es schwirrte und funkelte ihm vor den Augen, – in seinem Innern gährte und wogte es durcheinander, – er fühlte seine Schwäche und rang doch nach dem Siege. Auf das weinende Mädchen wagte er kaum noch hinzublicken.

In den Hof herein hörte man jetzt einen Reiter sprengen. Der alte Herr lief erschrocken nach dem Fenster und rief: „das könnte Karl sein!“

Mathilde aber erschrak wohl noch weit mehr, als der Alte. Sie stürzte nach der Thür, wollte fort, trocknete sich schnell noch die Augen, – aber als ihre Hand nach der Klinke griff, stand auch der alte Herr schon da und hielt und zog das Mädchen zurück und rief halb bittend, halb befehlend und doch in Angst: „bleibe da! verlaß mich nicht, Kind; bleibe, bleibe!“

Schon hörte man Schritte in dem anstoßenden Saale. Nach der Thür, die dort hereinführte, blickte bebend das Mädchen, und floh, als wolle sie sich dem Auge des Kommenden so lange als nur irgend möglich entziehen, an’s Fenster, das in den Hof ging. Kaum hatte sie dasselbe erreicht, und kaum hatte der alte Herr die Hände auf den Rücken gelegt, um seinen vorigen Gang anzutreten, da öffnete sich auch schon die Saalthüre.

„Guten Abend, Vater! Da bin ich wieder; Cölestine läßt Dich schön grüßen!“

Heiter und schnell erklangen und verklangen diese Worte, ehe sich der Saal wieder schloß. Der Sprecher trat ein, – der alte Herr antwortete nicht, sondern ging ängstlich zerstreut auf und ab.

„Ist etwas vorgefallen?“ fragte Karl.

„Vorgefallen, eingefallen, aufgefallen, aufs Herz gefallen! – dort, dort!“ sprach nun der Alte und schlenkerte die Hände vom Rücken hervor und streckte sie unter Thränen nach dem Fenster hin, wo mit gesenktem Haupt das zitternde Fabrikmädchen stand. Karl erschrak, – wurde roth, – sah schnell hinweg, dann wieder hin und bewegte grüßend den Hut.

„Also auch erschrocken? wieder erschrocken? Karl, Karl, das ist nicht gut! Ihr wird es schwer, mir wird es schwer, Dir wird es schwer! Fort mit den Maschinen, fort mit dem ganzen Kram, fort mit dem Schwindel! Hier, hier!“

So rufend im schnellen Eifer, lief er zu dem Mädchen, führte oder zerrte es an der Hand bis auf die Stelle, wo Karl stand, und fuhr, indem er rasch auch dessen Hand ergriff, hastig fort:

„Hier, hier, nehmt Euch! – Fort mit dem Schwindel!“

„Vater!“ rief zürnend der junge Mann und entriß dem Alten die Hand.

Aber auch Mathilde entzog dem Alten ihre Hand und stürzte fort nach der Thür.

„Entschuldigen Sie, Mathilde, – der Vater allein –“

Mehr konnte Karl nicht nachsenden, – Mathilde war verschwunden; aber an den Vater richtete er die Worte:

„Was ist denn geschehen? Vater, weißt Du, was Du thust? Wozu diese schmerzlichen Possen? Du warst ja heute früh so vernünftig, – ich freute mich, –“

„’s mag nun gut sein, Karl,“ fiel der alte Herr ein und strich die letzte Thräne aus den Augen. „Ich konnte mich nicht lassen, – das Herz ließ mich nicht, – es mußte sein Recht haben, so gut wie die Vernunft. Jetzt ist mir wohler, – und wenn’s denn durchaus nicht geht, wenn’s nicht geht, Karl, – aber das Mädel dauert mich, – Mathilde weiß Alles, ich habe ihr Alles gesagt, – es wird ihr schwer, sehr schwer, – schwerer als Dir, – ich habe ihr auch erzählt, daß Dir’s schwer an’s Herz ginge, –“

„Das hast Du gethan, Vater?“ versetzte Karl tadelnd. „O, was das für Dinge sind! Du drücktest dem Mädchen Dornen in’s Herz, die Du nicht wieder herausziehen kannst!“

„Auch Du nicht? – Gar nicht möglich, Karl?“

„Vater,“ entgegnete verletzt der Sohn, „Vater, ich werde ganz irre an Dir! Wie kann Dir noch ein einziger Gedanke beigehen, daß ich meinen Plan aufgebe!“

„Der Plan ist nicht übel, – nun, laß es gut sein, Karl, – komm, wir gehen in den Garten, dort will ich Dir erzählen, wie Alles geschah, – wirst das arme Kind ja ebenfalls bedauern.“

Achselzuckend fragte Karl:

„Wozu soll das nützen und wohin soll es führen? – Vater,“ setzte er lächelnd hinzu, „wir wollen eine Fabrik bauen, nicht aber ein Theater oder Narrenhaus.“

„Narrenhaus?“ versetzte beleidigt der alte Herr. „Dann brauchen wir gar nicht in den Garten zu gehen, Karl, – und bauen, bauen, wir müssen Geld haben, wenn wir bauen wollen, sonst bauen wir ein Schwindelhaus, – wird Fräulein Cölestine Dir jetzt schon – ich meine die nöthige Beschaffung, das nöthige Capital –“

„Sei ganz außer Sorge, Vater, der Bau beginnt!“ versicherte Jener.

„So laß uns in den Garten gehen, Karl,“ schloß der alte Herr und nahm den Sohn an der einen Hand, während er mit der andern den „Ernst Heiter“ aus der Tasche langte und dabei erklärte, es könne und werde ja der Papierkram, von welchem der Dichter rede, nicht lange mehr halten.

So kamen sie in den Garten. Karl bat den Vater, ihm nun mitzutheilen, wie es mit Mathilden sich zugetragen. Das that der alte Herr, that es treu, gewissenhaft, umständlich. Oft wandelte ihn dabei jene Rührung an, welcher er nicht auszuweichen vermochte, und daran knüpfte er immer einen neuen Versuch auf das Herz seines Sohnes. Er blickte dabei nicht selten hinauf zu den Bäumen, wo die Vögel für diesen Tag die letzten Halme zum Nesterbau trugen und ihr Abendlied sangen, und der Alte sprach dann von glücklicher Ehe, – von der Ehe, in welcher auch er gelebt, und erinnerte den Sohn an die verstorbene Mutter.

Der Sohn war kindlich, – blieb aber fest.

„Karl,“ hob der Alte zuletzt noch an, „eins haben wir vergessen, eins. Damit könnte man’s thun, und es wäre doch kein Schwindel. Fünftausend – und nicht in modernen Papieren, nicht in Lumpen, – Karl, Fünftausend blankes Capital – Mathilde hat es, bringt es, gibt es. Das wäre doch auch etwas –“

„Reicht kaum aus für die Dampfmaschine,“ entgegnete der junge Mann.

„Müßten Alles kleiner – nicht eine so großartige Erweiterung – Karl, mit Fünftausend könnten wir doch schon etwas anfangen.“

„Lassen wir das, lieber Vater, es führt zu nichts,“ erklärte Karl. „Und gute Nacht, Vater! es dämmert schon, ich will nach der Stadt, Du weißt, daß ich noch zu schreiben habe.“

Und Beide schritten der Gartenthür zu. Noch ehe sie dieselbe erreichten, trat der Werkführer ein, welcher der Packstube vorstand.

„Mathilde läßt sich empfehlen – und hier –“ sagte der Werkführer, indem er ein Billet in die Hand des alten Herrn legte, „sie hat ihre Sachen gepackt, wird dieselben abholen lassen.“

„Und ist fort?“ fragte erschrocken der Alte, während er das Papier erbrach.

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