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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Resultat war ein öffentlicher Scandal, der das Unheil nur verschlimmerte und der Verleumdung neue Nahrung zuführte.

Am 15. August 1785, einem Festtage, als der Hof zum feierlichen Kirchgange versammelt war, ließ plötzlich der König den Cardinal in sein Cabinet rufen. Hier fand er außer dem Könige die Königin, den Großsiegelbewahrer und den Baron von Breteuil, und in deren Gegenwart sollte er Rechenschaft geben über den Kauf des Halsbandes. Darauf war er freilich nicht vorbereitet. Er gerieth in Verwirrung, stotterte einige Worte zu seiner Entschuldigung und betheuerte seine Unschuld. Allein weder diese Versicherung, noch die Rechtfertigungsschrift, die er sogleich in einem Nebenzimmer aufsetzen mußte, vermochten den einmal gefaßten Beschluß zu ändern. In dem Augenblick, als er aus dem Cabinet des Königs trat, ward er auf Befehl des Barons von Breteuil vor den Augen des Hofes verhaftet. Er ward nach der Bastille gebracht, fand aber unterwegs Gelegenheit, einen schriftlichen Befehl zur Vernichtung aller ihn compromittirenden Briefe an seinen Vicar Georgel in Paris abzusenden. Dann wartete man auffallender Weise noch volle vier Stunden, ehe man zur Haussuchung schritt, und so mußte denn freilich der eigentliche Hergang der Sache für alle Zeiten ein undurchdringliches Geheimniß bleiben.

Drei Tage später, am 18. August, ward die Lamotte in Barsur-Aube verhaftet. Sie hatte bereits ihre Papiere, darunter mehrere Briefe des Cardinals, verbrannt. Da sie sich durch ihren Helfershelfer Cagliostro verrathen glaubte, schob sie alle Schuld auf diesen, der nun ebenfalls festgenommen ward.

Die scandalöse Verhaftung des Cardinals hatte überall das größte Aufsehen erregt und die Gemüther erbittert. Seine zahlreichen und hochgestellten Verwandten, die Geistlichkeit, ein großer Theil des Adels, ja selbst die Tanten des Königs protestirten feierlich gegen die schonungslose und unwürdige Behandlung eines Prinzen und Kirchenfürsten. Aber als man erfuhr, daß der Cardinal die Gnade des Königs abgelehnt, und sich der Jurisdiction des Parlaments unterworfen habe, bildeten sich zwei Parteien, die je nach der Verschiedenheit ihrer Interessen Verdruß oder Freude an den Tag legten. Am meisten frohlockte das Parlament, denn es fand einmal Gelegenheit, die Kirche und die Geburtsaristokratie, seine beiden Hauptgegner, in der Person eines Cardinals und Prinzen zu demüthigen, ja – was noch wichtiger war – es sollte zugleich über die Ehre des Königs entscheiden. Der Triumph des Parlaments mußte natürlich den Stolz den Adels beleidigen, und erfüllte ihn mit Zorn gegen die Königin, durch deren blinde Leidenschaftlichkeit einer der glänzendsten Namen der französischen Adelsaristokratie dem Tagesgespött preisgegeben war. Auch der Klerus war in hohem Grade entrüstet, und donnerte gegen das Parlament, das einem Geistlichen den Proceß zu machen wagte. Der Papst drohte den Cardinal zu suspendiren, weil er sich einem weltlichen Gerichtshöfe unterworfen hatte. Alle besonnenen und verständigen Anhänger der Monarchie verwünschten die Verblendung des Hofes und weissagten dem Könige nichts Gutes von dem Ausgange eines Processes, der den letzten Nimbus der Krone, den fleckenlosen Ruf der Königin und die Ehre Ludwig’s XVI., zerstören mußte.

Endlich begann der für die Bourbonendynastie so verhängnißvolle Proceß, und nun fanden die Parteien reichen Stoff, sich gegenseitig anzugreifen und zu verleumden. Ein Theil des Adels und der Geistlichkeit erklärte sich für den Cardinal, die Mehrzahl der Hofleute hielt es mit der Königin, die große Menge, die Alles nur nach dem äußern Schein zu beurtheilen pflegt, beschuldigte die Königin, mit ihrer Ehre und dem Cardinal ein frevelhaftes Spiel getrieben zu haben, und ihre Erbitterung gegen dieselbe verwandelte sich nach und nach in förmlichen Haß.

Nach Verlauf mehrerer Monate ward durch die Untersuchung festgestellt: daß die Oliva nach den Weisungen der Lamotte in der uns bekannten Parkscene die Rolle der Königin gespielt; daß ein gewisser Rétaux de Billette, ein Bekannter des Grafen de la Motte, auf Anstiften und in Gegenwart der Gräfin das oben erwähnte Handbillet der Königin und die Unterschrift: „Genehmigt, Marie Antoinette von Frankreich,“ verfertigt; endlich, daß der Graf de la Motte an den Juwelier Gray in London für 10,000 Pfund Sterling Diamanten verkauft hatte.

Diesen wichtigen Ermittelungen zum Trotz leugnete die Lamotte beharrlich alle Schuld, und wußte sich mit vielem Geschick zu vertheidigen. Sie behauptete nämlich, die Anfertigung des königlichen Handschreibens, das Arrangement der nächtlichen Parkscene, Alles sei mit Bewilligung der Königin geschehen, um den Cardinal zu mystificiren und seine Discretion auf die Probe zu stellen. Die Diamanten, die ihr Mann in London verkauft hatte, gab sie keck für ein Geschenk der Königin aus.

Obwohl diese Erklärungen nicht förmlich zu Protokoll genommen wurden, gelangten sie doch in die Oeffentlichkeit, besonders durch Flugschriften, welche die Lamotte von London aus verbreiten ließ, und wurden zu den abscheulichsten Insinuationen gegen die Königin benutzt. Die öffentliche Meinung war einmal gegen die „Oesterreicherin“ eingenommen und ergriff begierig die Gelegenheit, den Ruf und die Ehre der Königin durch scandalöse Verdächtigungen zu besudeln. Die Königin ihrerseits versuchte nicht, sich von dem Verdacht zu reinigen, der an ihrer Person haftete, sie setzte allen Anklagen und Verleumdungen schweigende Verachtung entgegen und bedachte nicht, daß sie dadurch ihre Lage nur verschlimmerte. Das Schlimmste aber war, daß Niemand dem geistreichen und scharfblickenden Prinzen Rohan, der mit seltener Gewandtheit die diplomatischen Geschäfte in Wien geführt hatte, genug Geistesbeschränktheit und Einfalt zutraute, um sich von einer gemeinen Intriguantin anführen zu lassen. War Rohan nicht betrogen, so blieb nur die Alternative: entweder hatte er das Halsband für sich, oder im Namen und auf Befehl der Königin gekauft. Eine furchtbare, aber unvermeidliche Alternative!

Nun stand aber actenmäßig fest, daß der Cardinal die Juweliere aufgefordert hatte, das Benachrichtigungs- und Denkschreiben an die Königin zu richten, und dieser Umstand – so meinte man – bewies zur Genüge, daß der Cardinal nur im Auftrage der Königin und für sie das Halsband gekauft hatte. Die Schuldfrage war also von vorn herein so gestellt, daß die Freisprechung des Cardinals ein Schandfleck für den Ruf der Königin sein mußte.

Zum Unglück für Marie Antoinette war das Parlament von feindseligen Gesinnungen gegen den Thron erfüllt, und ergriff begierig die Gelegenheit, den König und die Königin zu demüthigen. Vor Allem bemühte sich der Hauptreferent d’Epremeuil, die Schuldfrage so zu formuliren, daß sich die oben erwähnte verhängnißvolle Alternative einem Jeden von selbst aufdrängen mußte. Dazu kam, daß die Rohan’sche Partei Alles aufbot, um das Parlament zu Gunsten des Cardinals zu stimmen. Alte, grauköpfige Parlamentsräthe wurden von jungen, schönen Bittstellerinnen bestürmt, und wo der Zauber eines reizenden Augenpaares nicht verfing, da bediente man sich des bekannten goldenen Schlüssels. An den Sitzungstagen stellten sich die Condé, die Rohan, die Soubise, die Guemenée in schwarzer Trauerkeidung vor dem Justizpalast auf, und begrüßten ehrfurchtsvoll die eintretenden Mitglieder des Gerichtshofes. Alle Bemühungen Breteuil’s, das Parlament für seinen Racheplan gegen den Cardinal zu stimmen, hatten keinen Erfolg.

Am 31. Mai 1786 versammelte sich das Parlament, um das Urtheil zu fällen. Der Cardinal ward von der Anklage entbunden, die Lamotte zu Staupbesen, Brandmarkung und lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt, desgleichen ihr Mann in contumaciam; die Oliva und Cagliostro wurden freigesprochen, letzterer jedoch des Landes verwiesen; Billette ward auf immer verbannt.

Paris jubelte über die Freisprechung des Cardinals. Der ehedem unpopuläre Mann ward plötzlich vom Volke vergöttert. Als er in den Wagen stieg, um vorläufig nach der Bastille zurückzukehren, stritt man sich eifrig um die Ehre, seine Kleider zu küssen.

Für die Königin war das Urtheil ein furchtbarer Schlag. Sie überließ sich rücksichtslos ihren Zornausbrüchen gegen das Parlament und rächte sich auf eine beklagenswerthe Weise, indem sie es dahin brachte, daß der Cardinal seines Amtes als Almosenier entsetzt und vom Hofe verbannt ward.

Die Lamotte fand Gelegenheit, aus dem Gefängnisse zu entkommen, und begab sich zu ihrem Manne nach London. Dort ließ sie eine Denkschrift drucken, für deren Vernichtung der französische Hof ihr 200,000 Livres auszahlen ließ. Eis Exemplar blieb jedoch übrig, das Buch ward neu gedruckt, und gelangte in die Oeffentlichkeit.

Auf die Höfe von Europa machte der Ausgang dieser cause célèbre einen sehr üblen Eindruck; ja selbst die nächsten Verwandten der Königin, wie z. B. der Kaiser Franz II., ihr Neffe, zweifelten an ihrer völligen Schuldlosigkeit.

Es wird erzählt, unmittelbar nach der Urteilsverkündigung am

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