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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

auch meist bald lernt, wo man die Fortsetzung eines verworfenen Flötzes zu suchen habe.

Zum Schluß dieser Abtheilung unserer Betrachtung der Steinkohle möge noch Einiges über die Gesammtmächtigkeit des kohlenführenden Schichtensystems und über einige andere nutzbare Einschlüsse der Formation hinzugefügt werden. Natürlich ist diese Mächtigkeit nicht in allen bekannten Kohlenbecken gleich und auch noch nicht von allen bekannt. Die größte bis jetzt nachgewiesene Mächtigkeit zeigt das kohlenführende Schichtensystem von Saarbrücken, in welchem das tiefste bekannte Flötz, bei Bettingen nordöstlich von Saarlouis, bis 20,656 Fuß unter den Meeresspiegel hinabreicht. Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß diese Tiefe, die der Höhe des Chimborazo oder beinahe einer geographischen Meile gleichkommt, nicht unmittelbar gemessen ist, denn diese Tiefe wird kaum bis zum siebenten Theile vom Bergbau erreicht. Die Messung gründet sich auf Berechnung des Einfallens des Flötzes an beiden Rändern der Mulde. Als eine sehr werthvolle Zugabe zu den Steinkohlen bietet ihre Formation noch verschiedene Eisenerze, namentlich den thonigen Sphärosiderit, welcher an manchen Orten, z. B. im Saarbrücker Becken einen großartigen Hohofenbetrieb beschäftigt. Reich an Sphärosiderit ist in Sachsen das Zwickauer Becken. Wenn diese Eisenerze vornehmlich in der thonigen Zwischenfolge ihren Platz haben, so ist dagegen der vorhin erwähnte Kohlenkalkstein oft sehr reich an Blei und anderen Metallen, namentlich in England, weshalb die Engländer ihn metalliferous limestone (metallführenden Kalkstein) nennen.




Die Halsbandgeschichte.

Speit die Revolution ihre Todten aus? Oeffnet sie ihre Gräber, um den tollen Spuk der Gegenwart durch die unheimlichen Gespenster der Vergangenheit zu vermehren?

Während die stets gepanzerte Regierung Frankreichs aus den Rüstkammern der Revolution das Schreckenssystem der Jacobiner hervorsucht, um es als gute Wehr’ und Waffe gegen Unzufriedene und Verdächtige jeder Farbe zu gebrauchen, erhebt sich plötzlich aus seinem Grabe der geheimnißvolle Schatten eines der scandalösesten Vorspiele der Revolution. Wir würden es nicht glauben, wenn es nicht schwarz auf weiß gedruckt wäre und in allen Zeitungen stände: Die Halsbandgeschichte der Königin Marie Antoinette spielt noch einmal vor den Pariser Gerichtshöfen. Die Rechtsverfolger der Herren Boehmer und Bassange, Hofjuweliere unter Ludwig XVI., führen in diesem Augenblicke einen Proceß gegen die „Prinzen“ Rohan, die Schuldforderung betreffend, die durch den Verkauf des weltberühmten Halsbandes entstanden ist. Sie klagen gegen die Letzteren auf Anerkenntniß und Bezahlung der betreffenden Rechnung, die mit dem übrigen Activ- und Passivvermögen der Firma Boehmer und Bassange in ihren Besitz übergegangen ist.

Alle Welt kennt oder glaubt die berüchtigte Halsbandgeschichte zu kennen, die in der Chronique scandaleuse der achtziger Jahre eine Hauptrolle gespielt hat. Aber wer kann von sich sagen, er erkenne die einzelnen Fäden dieses verwickelten Intriguengewebes und sei im Stande, jeden von Anfang bis zu Ende zu verfolgen? Ist es doch selbst der gewissenhaften und unparteilichen Geschichtsforschung nicht gelungen, alle dunkeln Partien in diesem Drama aufzuhellen, und manche dürften unauflösliche Räthsel bleiben, da die betheiligten Personen aus Furcht oder Eigennutz das wahre Sachverhältniß verheimlicht oder entstellt haben. Prüfen wir unbefangen die Quellen, ziehen wir sorgfältig die besten Gewährsmänner zu Rathe, so überzeugen wir uns mehr und mehr, daß es eine Person gab, durch deren Mund die volle Wahrheit an den Tag kommen konnte – die Königin Marie Antoinette. Sie hat nicht gesprochen, den Schleier nicht gelüftet, die Verleumdung nicht Lügen gestraft. Das Geheimniß ruht in ihrem Grabe und reizt den Scharfsinn des Geschichtsforschers, der in den vorhandenen Berichten vergebens nach einer befriedigenden Lösung sucht.

Wenn wir nun hier eine kurze Darstellung der Halsbandgeschichte zu geben versuchen, so geschieht dies keineswegs in der Absicht, um ein neues Licht über dieses Intriguenspiel oder einzelne dunkele Partien desselben zu verbreiten. Jedermann hat in den Zeitungen die Nachricht von dem Proceß gegen die Prinzen Rohan gelesen, die Erinnerung an die Halsbandgeschichte ist wieder aufgefrischt, und der Leser wird es uns vielleicht Dank wissen, wenn wir seinem Gedächtniß zu Hülfe kommen.

Die Personen des scandalösen Drama’s waren: Marie Antoinette, Königin von Frankreich; der Prinz Rohan, Bischof von Straßburg, Großalmosenier und Cardinal; die Gräfin de la Motte, Abenteurerin und Intriguantin; ihr Mann, der angebliche Graf de la Motte, Garde-du-corps Monsieur’s; Demoiselle Oliva, „Cameliendame“; ein gewisser Rétaux de Villette und der berühmte Graf Cagliostro.

Der Schauplatz war der Hof von Versailles, die Zeit der Handlung das Jahr 1785.

Der Prinz Rohan, ein geistreicher, eitler, prachtliebender, den sinnlichen Genüssen ergebener Mann, war in Ungnade gefallen, weil er sich als Gesandter in Wien einige bittere Aeußerungen über Maria Theresia erlaubt hatte, die zur Kenntniß der Königin kamen und ihm deren Haß zuzogen. Obwohl er dessen ungeachtet nacheinander zum Großalmosenier, Cardinal, Abt von St. Waaß d’Arras und zuletzt zum Rector der Sorbonne ernannt ward, ertrug der eitle Hofmann doch nur seufzend eine Ungnade, die seinen ehrgeizigen Plänen keineswegs förderlich war. Er versuchte mehrmals, sich zu rechtfertigen, ward aber schnöde abgewiesen, und schon gab er die Hoffnung auf, die verlorene Gunst der Königin wieder zu erwerben, als ein Umstand eintrat, der sein Vorhaben mächtig zu fördern und einen gewissen Erfolg in Aussicht zu stellen schien.

Er hatte in Straßburg den berühmten mystischen Gaukler Cagliostro kennen gelernt und war nach dessen Ankunft in Paris sein fanatischer Anhänger geworden. Ihm vertraute er den tiefen Kummer, den er über die Fortdauer der königlichen Ungnade und die Fruchtlosigkeit seiner Rechtfertigungsversuche empfand. Der große Magier, der mit einer ungemeinen Menschenkenntniß die gemeine Berechnung eines Gauners verband, ließ dem Cardinal eine Frau vorstellen, die zwar zunächst nur eine Geld-Unterstützung nachsuchte, aber durch ihre Herkunft, ihr romantisches Geschick, ihren Geist, ihr feines Benehmen und ihr pikantes, reizendes Aeußere befähigt war, sowohl den Cardinal für ihre Person zu interessiren und sein Vertrauen zu gewinnen, als auch die Rolle einer Vermittlerin zwischen ihm und der Königin, und sei es auch nur zum Schein, zu spielen. Diese Frau, die in gerader Linie von Heinrich II. abstammte und sich deshalb Valois nannte, war die Tochter eines Landmannes, der ein nicht unbedeutendes Vermögen durchgebracht und sein Leben als Bettler in einem Pariser Spital beschlossen hatte. Nach seinem Tode nahm sich die Marquise von Boulainvilliers der armen Verlassenen an, sorgte für ihre Erziehung und verschaffte ihr einflußreiche Gönner und Freunde. Die junge Valois eignete sich bald den feinen Ton der höheren Gesellschaftskreise an, ward als letzter Sproß des königlichen Geschlechts der Valois förmlich anerkannt, erlangte als solcher eine Pension, und war seit Kurzem mit dem Grafen de la Motte verheirathet, als sie sich mit einem Gesuch um Unterstützung an den verschwenderischen und mildherzigen Cardinal wandte. Dieser, schon im Voraus durch das Gerücht von ihrer Herkunft und ihrem Geschick günstig für sie gestimmt, überließ sich dem Zauber, den das anmuthige und einschmeichelnde Wesen der jungen, mit allen leiblichen und geistigen Vorzügen ausgestatteten Abenteurerin auf ihn ausübte. Er beklagte sich gegen sie über die ungnädige Behandlung, die ihm die Königin zu Theil werden ließ, und als nun die Lamotte wie zufällig äußerte, daß es ihr bei ihren bis in die höchsten Hofkreise hinaufreichenden Verbindungen gelingen dürfte, die Gunst und das Vertrauen der Königin zu gewinnen, ging er bereitwillig auf diese Idee ein und redete ihr zu, ihre Bewerbungen um den Schutz der Königin zu beginnen. Darauf hatten die Lamotte und ihr Helfershelfer Cagliostro gewartet. Sie entwarfen sogleich ihre Gaunerpläne, die sie denn auch, soweit es die Umstände gestatteten, mit vollendeter Meisterschaft ausführten.

Der Cardinal erfuhr alsbald von der Gräfin den glücklichen Erfolg ihrer Bemühungen. Sie war der Königin vorgestellt worden, hatte Zutritt zu ihr und besaß in gewisser Hinsicht ihr Vertrauen. Hocherfreut über diese Nachricht und in vollem Glauben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_209.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)