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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Nein,“ entgegnete der Collaborator trocken. „Ich spüre keine Anlage zur Narrheit in mir.“

„So spricht Fiorlinens Geliebter?“

„Ach, woran mahnst Du mich! Wie kommt der Name Dir plötzlich?“

„Weil ich vorhin von dem Fiesco und den Nankingbeinkleidern sprach. Hast Du denn gar keine Nachricht von ihr?“

Der Collaborator schüttelte das Haupt und griff nach seiner Pelzmütze und seinem Stocke.

„Es war doch ein gar zierliches Geschöpf,“ fuhr der Freund lächelnd fort, „und ihr schient für das ganze Leben für einander geschaffen.“

„Theaterliebschaft!“ hüstelte der Roland. „Man kennt das.“

„Du wurdest Vater einer Tochter.“

„O weh, da zieht’s mir schon im Beine. Es kommt dieses Jahr früher, wie sonst. Nun gute Nacht, altes Menschenkind, gute Nacht.“

Die Magd leuchtete und vorsichtig tappend, in seinen Pelz gehüllt, verschwand der Collaborator in der Thüre. Iffland setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb bis tief in die Nacht.




II.

Die junge Gemahlin des Ministers lag in der Morgenstunde in den Polstern des Sopha’s und quälte sich, eine Tragödie von Aeschylos zu Ende zu bringen, indem sie mühsam und unter Gähnen Seite für Seite umschlug.

„Aimée, wie viel ist’s an der Zeit?“

„Excellenz, noch nicht zwölf Uhr.“

„Ach, mein Gott!“

„Der Herr Minister sind eben zum Könige gefahren und haben hinterlassen, daß sie heute Mittag nicht nach Hause kommen werden.“

„So, das ist mir lieb zu hören. Schicke augenblicklich den François zu Herrn Iffland, er wird gerade jetzt in der Probe sein, ich ließe mir die Ehre ausbitten zu heute Mittag. Hörst Du?“

„So eben kommen der Herr Director die Treppe herauf.“

Die junge Dame sprang vom Sopha auf, und machte freudig und aufgeregt einen Gang durch’s Zimmer. Als sie den Eintretenden erblickte, eilte sie auf ihn zu, und reichte ihm graziös die Hand zu Kusse. „Wie gerufen, mein gutes Directorchen,“ rief sie, „ich wollte soeben zu Ihnen schicken. Aimée, sage im Vorsaal, daß man Niemand einläßt.“ Sie führte ihren Gast zum Sopha und rückte zugleich ein Tischchen heran, auf dem Bücher und Papiere lagen. „Wir sind heute unter uns,“ sagte sie lächelnd, „wir werden zusammen zu Mittag speisen, und ich werde Ihnen wie ein junger Student meine erste Tragödie vorlesen. Da wir Alle jetzt die Franzosen so gründlich hassen, so hab’ ich ein echtes altdeutsches Thema gewählt, und nenne meine Heldin Rodogune. Nicht wahr, das ist zur Genüge gothisch? Worüber erschrecken Sie?“

„Rodogune hieß das Stück, das ich als sechsjähriger Knabe sah, als ich zum ersten Male das Theater besuchte. Ich werde den Abend nie vergessen.“

„Ach, was Sie sagen! Als sechsjähriger Knabe? Amüsant. Welchen Eindruck machte die Pièce auf Sie?“

„Den allerstärksten. Ich spielte auf dem Boden unseres Hauses ohne Zuschauer die Rodogune, bekleidet mit einem Reifrocke meiner Großmutter.“

Die junge Dame fiel laut lachend in die Kissen.

„Welch’ ein spaßhafter Dämon,“ rief sie, „hat mich getrieben, gerade diesen Namen zu wählen! Ich schwankte lange zwischen Rodogune und Amaltrudis. Meine Kammerfrau versicherte mich, das letztere klinge noch gothischer. Aber was ist Ihnen? Sie schauen plötzlich so ernsthaft drein. Bangt Ihnen vor meiner Tragödie? Ohne Sorge, Freund, ich habe erst zwei Verse des ersten Actes fertig, alles Uebrige, unter uns gesagt, sollen Sie machen. Sie schütteln dergleichen aus dem Aermel. Natürlich muß Niemand erfahren, daß wir zusammen arbeiten. Ich will bei Hofe und in der Stadt als Schöngeist glänzen.“

„Ist der Herr Minister nicht zu sprechen?“

„Nein. Was wollen Sie von ihm?“

„Ich hatte den Plan, eine kleine Kunstreise –“

„Still davon, daraus wird nichts. Ich rühre nicht die Hand, um Ihnen Urlaub zu verschaffen. Die arme Königin, sie ist so niedergeschlagen, wer soll sie erheitern? Wie kann man so sehr Egoist sein, Director, und immer an sich denken, während die gerechtesten Ansprüche von allen Seiten erhoben werden? Nochmals, zählen Sie auf mich nicht, ich rühre nicht die Hand.“

„Diese schöne Hand!“ rief Iffland, und ließ einen freudig bewundernden Blick auf die Hand fallen. „Wenn sie nur eben so gefällig wäre, wie sie allmächtig ist.“

„Wollen wir zu meinem Trauerspiel übergehen.“

Iffland rückte mit dem Stuhl näher heran, und die Dame ergriff ein paar beschriebene Blätter. In diesem Augenblick öffnete leise der alte Haushofmeister die Thüre des Salons. Die Ministerin sah ihn unwillig an. „Was gibt’s?“

„Der neue Attaché der f– Gesandtschaft,“ flüsterte der Alte durch die Thürspalte.

„Graf Sylchon?“

Der Alte nickte und blieb, um einen Befehl zu erwarten.

„Das ist mein Liebling,“ sagte die Dame, „ich besinne mich, daß ich ihn zu heute herbestellt habe. Er ist der lächerlichste und eingebildetste Fant, den man sehen kann. Die Prinzeß Radziwill und ich, wir haben dieses Wildpret für unsere Tafel ausgesucht. Er darf nicht wieder entschlüpfen. Was beginnen wir, Director?“

„Ich denke, die Tragödie –?“

„Die entläuft uns nicht, wir wählen statt ihrer die Komödie.“

Iffland sah seine muthwillige Gönnerin fragend an, diese rief dem Diener zu: „Lasse Er ihn in den Saal eintreten, Excellenz der Herr Minister werden ihn sogleich vorlassen.“ Zu Iffland gewendet, setzte sie hinzu: „Haben Sie bemerkt, wie der alte Johann mich versteht? Er weiß, daß es auf einen Spaß abgesehen ist. Nun geschwind, mein Herr, den Minister gespielt, in aller Würde, in allem Anstand, und dem jungen Mann bei Gelegenheit etwas auf die Nase gegeben. Verstanden?“

„Aber – Excellenz – einen Scherz mit einem Attaché einer Gesandtschaft –?“

„Ah – fehlt es Ihnen an Muth? Directorchen, das hatte ich nicht gedacht. Ich sage Ihnen, dieser Fant ist seit den paar Tagen, die er hier ist, dem Hofe, der Gesellschaft wegen seiner Anmaßung, seiner Einfalt, seiner Zudringlichkeit verhaßt. Der König hat sich über ihn schon lustig gemacht, ein Wort von mir zum Gesandten und man schickt ihn fort. So stehen die Sachen. Ich weiß, mit wem ich spaßen kann. Also nun rasch den Minister gemacht, den übrigen Theil der Posse überlasse ich Ihnen; sie muß aber so lustig wie möglich werden, denn wir müssen etwas haben, um unsere gute Königin zu amüsiren.“

„Kann ich dann auf eine Gunst als Belohnung rechnen?“ fragte der berühmte Schauspieler mit einem eben so demüthigen als schlauen Lächeln.

„Wir wollen sehen. Also, mein Herr Gemahl –“

Iffland erhob sich, schob die Hand in die Weste auf der Brust, trat einen Schritt vor, und eine Prise nehmend, rief er Johann zu, der noch immer an der Thüre lauschte, und kein Wort von dem verloren hatte, was in dem Cabinete gesprochen: „Eintreten!“

Sogleich stand, gepudert, frisirt, in eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs gehüllt, ein Männchen von vierundzwanzig Jahren in einem eleganten Morgencostüm da. Verbeugungen von der einen, beifälliges Nicken von der andern Seite. Die Ministerin bleibt auf dem Sopha liegen und fährt fort, in dem Aeschylos zu blättern, nebenbei aber über die Blätter nach den Beiden im Zimmer zu lauschen.

Iffland spielt den Minister vortrefflich. Er nimmt das Empfehlungsschreiben aus der Hand des jungen Mannes an; das Gespräch dauert zehn Minuten, aber trotz der Kürze der Zeit findet der Pseudominister doch Zeit, dem jungen Manne einige gute Lehren zu geben und einige Winke fallen zu lassen, wie man sich in diesem oder jenem Falle zu benehmen habe, sehr wenig erbaulich für die Eitelkeit des Zöglings der höhern Staatskunst, der sich für vollendet hält. Darauf entfernt sich Seine Excellenz, nicht ohne ein Zeichen des Einverständnisses mit der Dame auf dem Sopha gewechselt zu haben, die mit einer äußerst lustigen Miene in ihrer Lectüre fortfährt, hier und da eine kurze Erwiderung gebend auf die Anreden des jungen Diplomaten. Sie klingelt. Johann erscheint.

„Ist mein Wagen vorgefahren?

„So eben, Excellenz.“

„So geb’ Er mir meinen Mantel. Nun, was steht Er? Was hat Er?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_203.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)