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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

war schon früher nach Amerika gegangen, weil es Verwandte da hatte, – aber damals hatte der junge Kaufmann noch Geld und lebte im Gasthof.

„Gewiß, Marie, ich bin’s,“ erwiderte der junge Mann. „Doch warum erschrickst Du so?“

Marie stotterte, sie mochte ihm nicht sagen, wie heruntergekommen er ihr vorkomme.

„O, ich sehe schon, Du willst mit der Sprache nicht herausrücken,“ sprach der junge Mann mit bitterem Grimm weiter. „Aber was ist da zu verhehlen? Du siehst’s ja, ich logire im Hotel Park.“

Wenn aber Jemand in Newyork zu einem Andern sagt, er logire im Hotel Park, so weiß dieser schon, wo Bartel den Most holt, und man braucht ihm nicht weiter mit dem Holzschlägel zu winken. Marie war daher tiefinnerlich bewegt. Thränen traten ihr in die Augen, aber sie unterdrückte sie schnell, daß er’s nicht merke und dadurch beleidigt sei. Er, ihr Milchbruder, der reiche, schöne Jüngling, der nur das Theuerste und Ausgesuchteste gewöhnt war, er im Hotel Park!

„Ich habe mir Etwas erspart,“ sagte sie endlich schüchtern. „Es ist zwar nicht viel, aber wenn Ihnen damit gedient sein sollte, so …“

So konnte nicht fortfahren, denn er hielt ihr den Mund mit der Hand zu.

„Sprich nicht weiter,“ rief er, „beschäme mich nicht noch mehr. Ich weiß es, daß es eine Schande ist, daß ein kräftiger Mann, wie ich, es so weit kommen ließ. Aber Du weißt, daß ich lieber verhungerte, ehe ich eine Unterstützung annähme!“

„Allein,“ warf sie wieder mit ihrer schüchternen Stimme ein, „ich habe ein Stübchen für mich allein. Die Möbel drinnen sind mein Eigenthum. Ich könnte auf die nächsten paar Tage zu einer Freundin ziehen und dort schlafen, und Sie könnten dann mein Stübchen benutzen. Es ist zwar nicht so, wie Sie’s sonst gewohnt waren, aber …“

Abermals lag seine Hand auf ihrem Munde.

„Du bist das beste, treueste Herz auf der Welt,“ rief er, ohne ihr jedoch eine Antwort auf ihren Antrag zu geben; denn er dachte, es verstehe sich von selbst, daß er diesen nicht annehmen könne. – „Wo arbeitest Du jetzt?“ frug er nach einer Weile.

„In einer Tintenfabrik in Duanestreet,“ erwiderte sie. „Ich muß da die kleinen Gläser (in solchen wird nämlich in Newyork die Tinte verkauft) füllen und petschiren und bekomme vom Dutzend vier Cents; aber man kann gut seine sechzehn Dutzend den Tag fertig machen. So kann ich ganz gut in der Woche vier Thaler verdienen. Nur sind wir gegenwärtig etwas aufgehalten, weil unser Chemiker, der die Tinte macht, krank geworden ist, und der Boß (der Inhaber der Fabrik) sich nicht recht darauf versteht.“

„Also ist die Stelle des Chemikers vacant?“ fragte der Jüngling hastig. „Wie viel Nummer ist Dein Shop (Arbeitslocal), Marie?“

Natürlich sagte es ihm Marie mit doppelter Freudigkeit, als sie vernahm, daß er sich um die Stelle bewerben wollte, da er die Tintenfabrication gut verstehe. Hätte man dem jungen Manne ein halbes Jahr vorher gesagt, er werde noch Tintenmischer werden, so hätte er einen die Treppe hinuntergeworfen. Jetzt aber war sein Stolz gebrochen, und zwar durch das Hotel Park. Vielleicht trug auch die Begegnung der Marie und sein Gespräch mit ihr Manches dazu bei, seinem Hochmuth Adieu zu sagen.

Dies war die letzte Nacht, welche der junge Mann im Hotel Park zubrachte. Den andern Tag war er in aller Frühe bei dem Tinten-Boß und erhielt die Stelle des „Chemikers.“ Abends aber begleitete er Marie nach ihrer Wohnung und genirte sich nun gar nicht, von ihr etliche Thaler zu borgen, damit er in einem anständigen Logishause sich einmiethen konnte. Er hatte ihr aber zuvor unumwunden erklärt, daß sie ein paar Wochen warten müßte, bis er im Stande sei, mit nur etwas Sicherheit in die Zukunft zu sehen. Jetzt erst hatte er bemerkt, wie unsäglich ihn das Mädchen liebe. Jetzt erst ließ es der anerzogene Hochmuth zu, sich zu gestehen, daß auch er dem lieben Kinde gut sei, ob es gleich nur seiner Amme Töchterlein war.

Mit der Hochzeit – aber eine recht stille war’s – stand’s auch gar nicht lange an, denn der Tintenboß merkte bald, daß sein Chemiker noch andere Dinge verstehe, als das Tintenmischen, wie z. B. Waschblaufabrication und Stiefelwichse-Producirung. Dazu kam noch, daß er schon lange daran laborirte, eine Schwefelhölzchenfabrik zu errichten, und weil der junge Kaufmann derlei Dinge in seiner Jugend im Polytechnikum mit hatte laufen lassen müssen – damals schienen sie ihm ganz unnütz und jetzt ernährten sie ihn, – so kamen sie überein, sich zu vereinigen, und jetzt macht hier Wilhelm Schwefelhölzchen über Schwefelhölzchen, ganz nach Wiener Art und Färbung. Seine Frau aber führt die Aufsicht über die Sortirmädchen und verdient somit immer noch ihre vier Thaler in der Woche.

So hat das Hotel Park auch manchmal seinen Nutzen, weil es dem Stolz und Hochmuth das Genick bricht.

Th. Gries.


Heimgegangene.
Von Herm. Marggraff.
Friedrich Ludwig Jahn. Friedrich List.

Die Überschrift nennt Männer, welche bei aller Verschiedenheit der Bestrebungen und der geistigen Bildung doch auch viel Verwandtes hatten. Schon in Bezug auf Leibesgestalt zeigten Beide etwas Schweres und Massiges; doch war Jahn mehr knochig, List mehr fleischig; in Beiden aber erschien der deutsche Urtypus ohne Zweifel sehr rein ausgeprägt, nur mit dem Unterschiede, welchen die niederdeutsche Natur des Einen und die schwäbische des Andern bedingte. Beide waren, wie man weiß, rastlose Agitatoren, Beide machten gegen das Bestehende Opposition; aber in ihren letzten politischen Zielpunkten gingen Beide doch weit auseinander, wie Mittelalter und Neuzeit. Volksthümlichen Gepräges waren Beide; sie liebten, sich populär, körnig und gemeinverständlich auszudrücken, nur hatte Jahn etwas von der Schalksnatur des niedersächsischen Eulenspiegels; er war eine mehr trockene humoristische, List eine mehr feurige gewaltsame Natur. Beide haßten alles Bureaukatische und hielten sich gern zu Leuten von freier Stellung; List, der die Macht der Feder kannte und ehrte, mehr zu Schriftstellern, Jahn, der lieber sprach als schrieb und sich gern selbst sprechen hörte, zu der studirenden Jugend. List war Autodidakt, Jahn ein studirter Mann; doch hatte auch dieser wohl mehr durch sich und durch das Leben, als durch den Besuch von Collegien und Bücherlecture gelernt. Beide waren dem Aeußern nach Erscheinungen, welche auf den ersten Blick auffielen, aber Jahn strebte danach, auffallend zu sein, während sich bei List von Koketterie und Schauspielerei keine Spur wahrnehmen ließ; seine Person galt ihm nichts; die Sache, für die er wirkte, Alles. List war der bei weitem praktischere Kopf, aber doch auch nicht ganz frei von Phantastik und Idealistik, die freilich bei Jahn in viel bemerkbareren Zügen hervortraten. Um die Popularisirung gewisser nationalökonomischer Fragen hat sich List große Verdienste erworben, wie Jahn um die Popularisirung gewisser nationalpolitischer Fragen; aber die Schutzzölle des Einen gegen ausländische Waaren und die Schutzmaßregeln des Andern gegen ausländische Ideen haben sich dem Geiste der Zeit gegenüber doch mehr und mehr als unwirksam erwiesen. Doch ich will mit dieser Parallele aufhören, um so mehr, da ich mich an andern Orten gegen die Sucht, zu parallelisiren, erst jüngst ausgesprochen habe. Indeß lag es gerade bei diesen beiden Individuen nahe, einen Vergleich anzustellen. Ich bemerke nur noch, daß wir List in Deutschland die Eisenbahnen, Jahn die Turner verdanken, daß Beide im Leben wenig Dank geerntet haben, während man jetzt für ein in Reutlingen aufzustellendes Listdenkmal sammelt und in neuester Zeit auch ein dem Turnvater Jahn zu errichtendes Monument in Anregung gebracht worden ist. List hat inzwischen an Häusser und Jahn an Pröhle einen Biographen erhalten, und wem es um genauere Kenntniß dieser beiden merkwürdigen Männer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_196.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)