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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

auch ein ästhetisches Interesse. Wenn irgend die Annahme verstattet ist, daß der Mensch bewußt oder unbewußt für bildnerische Zwecke Formen der organischen Natur entlehnt hat, und der Akanthus des korinthischen Capitäls, sowie das Kleeblatt der gothischen Baukunst sind so dafür sprechende Beweise: so sieht man sich zu der Vermuthung gedrängt, daß auch die Pilze mancherlei plastische Modelle abgegeben haben. Wem fiele nicht bei den gewöhnlichen Hutpilzen. z. B. dem Champignon, sogleich ein Gartentisch, ein Schemel, ein Elfenbein-Sonnenschirm, ein Kiosk-Gartenhäuschen ein? Unser Feuerschwamm aber erinnert auf den ersten Blick an eine Console, die zum Tragen einer Bildsäule bestimmt ist. Er gleicht einem längs der Achse durchschnittenen Kegel und ist, ein je höheres Alter er erreicht, mit um so mehr concentrischen Rundstäbchen gar zierlich geschmückt. Der berühmte Bildhauer Schwanthaler sammelte gern im Walde holzartige Pilze und wußte diesen durch geringe Nachhülfe mit dem Messer so groteske Aehnlichkeiten mit Eremiten, Rittern und Jägern zu geben, daß sie als phantastische Decorationen seiner Humpenburg dienen konnten. Aber wer auch nicht die Gabe hat, diese Schwämme mit Callot’scher Phantasie zu gestalten, kann sie zum Zimmerschmucke verwenden; sie gehen, zumal wenn der Rand der Grundfläche mit Moostroddeln behangen wird, die zierlichsten Consolen für Statuetten.

Die ausgewachsenen Pilze jedoch, welche als reizende Ornamente für Gartenhäuser bestens zu empfehlen sind, eignen sich nicht zur Zunderbereitung, diese „Pferdehufe“ werden vom Schwamm-Mann gleichgültig weggeworfen. Sie sind zu sehr verholzt, um reichen Zunder zu geben. Sie erreichen eine ansehnliche Größe,

Der Feuerschwamm.

ich habe deren von zehn Zoll Querdurchmesser und drei bis vier Zoll Höhe gefunden. Ihre Farbe ist sanft braungrau. Auf der breiten, ziemlich ebenen Fläche tragen sie eine Menge feiner Löcher, die Eingänge in zarte Röhrchen, in denen die staubähnlichen Sporen (Samen) gebildet werden. Sie wachsen, gleich den Baumstämmen, durch jährliche Zuwachsstreifen oder Jahresringe, welche auf dem Mantel des kegelförmigen Pilzes die Rundleistchen darstellen

Für den Schwamm-Mann brauchbar ist nur der junge Pilz, wie er auf unserer Abbildung einem Wappenschild ähnlich am spitzen Ende des Pferdehufes ansitzt. Dieser jugendliche Feuerschwamm ähnelt einem sehr runzligen und zähen, gelbbraunen Leder, welches oft die Dicke eines Zolles erreicht und in unregelmäßigen Lappen an den Baumstämmen anklebt. Dieses Pilzleder hat eine dünne, außen grauliche, innen tiefbraune, zähe Oberhaut; die von ihr bedeckte, lederbraune und korkartig sich anfühlende Masse ist die Substanz, welche den Zunder liefert.

Der Zunderpilz wächst nur an an Buchen und zuweilen an Ebereschen auf dem Gebirgen. Schon dadurch unterscheidet er sich hinlänglich von dem sehr ähnlichen Pilze Polyporus igniarius, der an alten Weiden- und Obstbaumstämmen vorkommt, aber nur ein elendes hartes Surrogat des echten Zunders abgibt. Unser Löcherpilz gleicht den gewöhnlichen weichen Pilzen nicht in der sprüchwörtlichen Schnelligkeit ihres Wachsthums, aber auch nicht in der raschen Vergänglichkeit. Er braucht zur vollen Entwickelung seiner Größe zehn bis zwanzig Jahre, trotzt aber auch nach seinem Tode noch lange der Verwesung. Ich habe Veteranen mit sechszehn Jahrringen gefunden, die noch rüstig vegetirten, obgleich mancherlei Insectenlarven sich in ihnen eingehaust hatten.

Die Herstellung des Zunders aus diesem Pilze ist ein einfache, seit unvordenklichen Zeiten aus dem thüringer Walde heimische Industrie. In der besseren Hälfte des Jahres, die auf dem Gebirge die kürzere ist, durchstreift der Schwamm-Mann den Forst, um sein Rohmaterial zu suchen. In manchen Revieren gehört der Feuerschwamm, wie die eßbaren Pilze überall, zu den herrenlosen Dingen, die jeder sammeln darf, wer Lust hat; in andern Forsten, wo man der Rückert’schen Weissagung, daß man zuletzt zum Fangen eines Schmetterlings eine Jagdkarte werde lösen müssen, näher gekommen ist, wird der Schwammertrag der Waldung verpachtet. In einem linnenen Quersacke führt der Feuerschwamm-Sammler seinen Proviant mit sich, denn er muß den ganzen Tag umherstreifen und dabei glücklich sein, wenn er seine Schubkarren mit einem Viertelcentner befrachten will. Wenn ein Pilz an einem niedrigen Buchenstocke sitzt, wird er leicht mit dem Messer abgeschält; zur Abnahme der hoch an den Stämmen lebender Buchen sitzenden Schwämme bedient man sich eines Meißels, der auf eine Stange gesteckt wird; zu den allerhöchsten Schwämmen klettert man empor, wozu oft Steigeisen an die Kniee gebunden werden müssen. Es erfordert einen Kennerblick, um die Reife eines Pilzes genau zu ermessen, da ein Schwammleder, dem man noch ein Jahr Frist gönnt, später einen ansehnlicheren Lappen Schwamm liefert. Ein auf die Zukunft denkender Sammler verfehlt nie, Etwas von der lederartigen Grundlage des Pilzes am Baumstammne sitzen zu lassen, da sich aus einem solchen Reste leichter eine Ernte regenerirt, als aus dem Pilzsamen ein ganz neuer entsteht.

Aber trotz alle Rücksicht auf die Zukunft reicht der Ertrag der thüringer Forsten lange nicht mehr aus, um den nöthigen Rohstoff zu liefern. Einmal sind seit der regelrechten Schlagwirthschaft der Forsten die alten Buchen, an denen die Pilze entstehen, seltener geworden; dann aber hat sich die Zahl der Consumenten seit dem dreißigjährigen Kriege, wo das Tabakrauchen in Thüringen und anderwärts allgemeine Sitte geworden ist, außerordentlich vermehrt. Die thüringer Fabrikanten beziehen des halb schon seit längerer Zeit große Massen von Rohmaterial aus dem Auslande. Namentlich kommen viele rohe Feuerschwämme aus den Wäldern Skandinaviens über Stralsund und aus denen der Apenninen über Triest, ehemals über Nürnberg nach Thüringen; auch der Böhmer Wald, der Schwarzwald, die schweizer Forsten und die Karpathenwaldungen Siebenbürgens haben manche bedeutende Sendung geliefert.

Der rohe Schwamm wird zuerst etwa vierzehn Tage lang in feuchte Asche gelegt, damit er „aufbrause und mild werde.“ Das dadurch mürbe und dehnbar gewordene Filzgewebe wird nun auf einem hölzernen Ambose mit einem hölzernen Hammer geklopft und dadurch das Pilzfell auf die drei- bis vierfache Flächenausdehnung ausgestreckt. Hierauf werden die „Lappen“ in Aschenlauge eingeweicht und getrocknet und zuletzt zwischen den Händen gedehnt und weich gerieben.

Da es unter den Schwamm-Consumenten nicht Wenige gibt, die den dunkelfarbigen Schwamm für besser halten, als den leder- und honigbraunen, so sieht sich der Schwamm-Fabrikant oft genöthigt, einen Theil seiner „Lappen“ mit Blauholzbrühe zu färben. Salpeterauflösung wird zur Tränkung des Schwammes nicht verwendet, denn der mit Salpeter oder Schießpulver versetzte Schwamm versprüht zu rasch, um dem Raucher ein behagliches Anzünden seines Krautes zu gestatten. Und als Lunte für die Pfeife findet ja der Schwamm seine Hauptanwendung. Zwar verbrauchen auch die Chirurgen etwas Zündschwamm zum Blutstillen, zwar verarbeitet man auch zuweilen einen besonders großen Schwamm zu einer Mütze ohne Naht (und der schönbraune, sich wie Sammetplüsch anfühlende Pilzstoff sieht wirklich so hübsch aus, daß er Empfehlung verdiente, wenn eine solche Mütze nicht zu leicht Feuer finge): aber die hauptsächlichen Verbraucher des deutschen Zunders sind und bleiben doch die Raucher. Gleich der Tabakspfeife ist der Schwamm Privilegium der Männer geblieben; selbst die Bauersfrau, die anmaßlich genug ist, bei schlechtem Wetter ihres Mannes Stiefeln und Röcke ohne eingeholte Erlaubniß zu mißbrauchen, versteigt sich nie so weit, sich an seinem Feuerzeuge zum Küchengebrauche zu vergreifen, Ob sich die emancipirten Cigarrenraucherinnen, die hier und da auch in Deutschland aufgeschossen sein sollen, auch Das Mannslehn des Schwammes anmaßen, weiß ich nicht; aber die armen Irländerinnen sah ich ihre Thonpfeifen stets nur mit einer Torfkohle anstecken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_192.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)