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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Ein dem Meere entrissenes Erzbild.

Ein heftiger Sturm wühlte die Nordsee auf. Der Fallm der rothen Klippe war dicht belagert mit jungen und alten Lootsen, die ihrer Gewohnheit nach die See, den Zug der Wolken und das Rollen der langen Wogen beobachteten, welche sich am Bollwerk des Unterlandes in mattrothen Schaumsäulen unter lautem Donnern zerschlugen. Alsbald ward es lebendig unter den Auslugenden. Die Fernrohre der Helgoländer richteten sich alle auf einen Punkt, den nur ein Seemannsauge entdecken konnte. Es war ein Schiff, das, vom Nordweststurm gepackt, sich mehr und mehr jener gefahrvollen, unter den Wellen verborgenen Klippenreihe näherte, die in der Sprache Helgolands das Witt-Klaww (weiße Kliff) heißt, in ihren einzelnen Ausläufern aber noch eine Menge anderer Namen führt, welche jeder tüchtige Seemann genau kennt. Dem Schiffe drohte offenbar Gefahr, wenn es nicht von sehr kundiger Hand gesteuert wurde. Damit es an solchen Pfadfindern auf der Meereswoge niemals fehle, hat Gott die Felsenkanten der rothen Klippe in der Nordsee aufgerichtet und ihr eine Bevölkerung von unerschrockenen Lootsen gegeben, die immer gern mit ihrer Hülfe bei der Hand sind, wenn diese begehrt wird. Wer sie nicht verlangt, der erhält auch keine. Der echte Sohn Helgolands ist Fatalist; er sagt mit allen Starkgläubigen: „Hilf Dir selbst und Gott wird Dir helfen!“

Jenes Fahrzeug, dessen die Lootsen am Fallm des Oberlands ansichtig wurden, führte die schwedische Flagge. Wir wissen nicht genau, ob es in seiner Bedrängniß durch ein paar Nothschüsse den Wunsch nach Hülfe zu erkennen gab, oder ob es sich auf die Kenntniß seines eigenen Führers und Steuermanns verließ. Gewiß ist nur, daß kein Lootse der rothen Klippe das Fahrzeug betrat, daß es in der Nähe der Düne scheiterte und zu Grunde ging. Die Mannschaft ward unseres Wissens gerettet, und von ihr erfuhren die Helgoländer, daß sich am Bord des Schiffes ein unschätzbares Kleinod befand, die eherne Statue des größten schwedischen Königs Gustav Adolphs, jenes auch Deutschland so theuer gewordenen Mannes, dessen Thatkraft, Charakter und Glaubensstärke die kernige Inschrift auf dem ihm errichteten einfachen Denkmale bei Breitenfeld so wahr in die Worte zusammenfaßt:

„Glaubensfreiheit für die Welt
Rettete bei Breitenfeld
Gustav Adolph, Christ und Held.“

Die Gustav-Adolph-Statue in Bremen.

Das erzene Standbild des großen Schwedenkönigs, nach einer meisterhaften Zeichnung des schwedischen Bildhauers Benedict Foggelberg modellirt, und in der königlichen Gießerei zu München in seltener Vollendung verfertigt, war ein Raub des Meeres geworden. Kaum aber hatte der Sturm ausgetobt, so belebte sich auch der Strand Helgolands mit rührigen Männern. Die starken Fischerboote, mit denen sie das Meer in der Nähe der Klippe befahren und auf den Fischfang gehen, wurden von dem röthlichen Steingetrümmer in die wieder sanft brandende See geschoben. Man wollte das Wrack besehen, und etwa noch darauf befindliche Gegenstände nach altem Strandrechtsbrauch bergen. Da fanden die froh erstaunten Lootsen Helgolands das prachtvolle Erzbild, überschüttet von sandigem Geröll, mit Seetanggewinden von dem Meergotte umkränzt. Wenn die Ebbe eintrat und der blaue Himmel bei stiller Luft die Meereswellen nur wie einen Baldachin von dunkelgrünem Sammet erzittern ließ, lag die versunkene Statue, das edle Gesicht mit den schönen ernsten Zügen nach oben gekehrt, Allen sichtbar da. Die Rechte mit dem ausgestreckten Zeigefinger hob sich oft über die Fluth, als wollte sie den Helgoländern winken, sie sollten herbeikommen. Und sie kamen, die speculirenden Söhne des wunderbaren Felsen-Eilandes, an dessen Gestade die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_180.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)