Seite:Die Gartenlaube (1858) 176.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sich mit der Kirchengeschichte im weitesten Sinne, insbesondere mit der Geschichte des Christenthums in seinen frühesten Epochen auf das Genaueste vertraut zu machen, und diesen gründlichen Kenntnissen verdankt Bunsen, in Verbindung mit den oben angedeuteten Eigenschaften des Charakters und Geistes, die hervorragende Stellung, welche er bis vor Kurzem im preußischen Staatsdienste bekleidete.

Im Jahre 1822 kam Friedrich Wilhelm III. nach Italien und nach Rom. Es ist bekannt, mit welcher Ausdauer und Gewissenhaftigkeit der König sich mit der Umgestaltung der preußischen Agende und des Gesangbuchs Jahre lang beschäftigte. Bunsen war nach beiden Richtungen hin unausgesetzt sammelnd, sichtend und in selbstständigen Entwürfen thätig gewesen. Als daher in Gegenwart Bunsen’s das Gespräch des Königs diese Fragen berührte, hatte ersterer Gelegenheit, seine tiefe Kenntniß des Gegenstandes und geistvolle Auffassung der entscheidenden Punkte auf eine den König überraschende Weise an den Tag zu legen. Und obgleich die Ansicht Bunsen’s von der bisherigen des Königs entschieden abwich, so that diese Meinungsverschiedenheit dem bedeutenden Eindruck, welchen Bunsen machte, keinen Abbruch, und es fehlte ihm nicht an mannichfachen Bekundungen königlicher Gnade.

Als Niebuhr im Jahre 1824 aus dem Staatsdienste ausschied, verwaltete Bunsen bis zum Jahre 1827 die Geschäfte der Gesandtschaft und wurde sodann zum Minister-Residenten ernannt. Im Jahre 1829 kam der Kronprinz (jetzige König Friedrich Wilhelm IV.) von Preußen nach Rom, und auch zu Diesem trat Bunsen bald in eine nähere Beziehung, welche im Laufe der Zeit den Charakter eines fast freundschaftlichen Verhältnisses annahm.

König Friedrich Wilhelm III. bediente sich zwar mehrfach des Rathes Bunsen’s rücksichtlich der Agenden-Angelegenheit, konnte jedoch die mancherlei Bedenken nicht überwinden, welche aus der principiellen Verschiedenheit der beiderseitigen Auffassung wesentliche, Punkte hervorging. Bunsen führte deshalb für den Gottesdienst in der Gesandtschaftscapelle in Rom eine von ihm selbst umgestaltete Liturgie ein, welche später von dem Könige gutgeheißen und mit einer eigenhändig geschriebenen Vorrede versehen wurde.[1]

Die gesandtschaftliche Stellung Bunsen’s fiel in eine Zeit, welche überaus reich an schwierigen Verwickelungen war. Da die päpstliche Regierung sich nach der blutigen Unterdrückung des Aufstandes im Kirchenstaate jeder Einführung der allernothwendigsten Reformen, trotzdem dieselben zugesagt waren, enschieden abgeneigt erwies, so nahmen sich die europäischen Großmächte der Sache an und beauftragten eine zu Rom niedergesetzte Conferenz mit der Ordnung der inneren Angelegenheiten des Kirchenstaates. Bunsen erhielt den Auftrag, den Entwurf dieser Reformen auszuarbeiten, und seine einsichtsvollen Vorschläge für die Neugestaltung der inneren Verfassung des unglücklichen Landes sind in dem bekannten „Memorandum del Maggio 1832“ enthalten. Leider hatten seine redlichen Bemühungen nicht den angestrebten Erfolg; Papst Gregor XVI. wußte zu genau, auf welchen Schutz er jederzeit rechnen konnte und wie wenig Gefahr ihm von der lügnerischen Politik des Juli-Bürgerkönigthums in Frankreich drohte.

Erfolgreicher waren Bunsen’s Bestrebungen auf einem anderen Gebiete, namentlich ist die Regelung der Differenzen wegen der gemischten Ehen eines seiner wesentlichen Verdienste. Die inzwischen eingetretenen Kölner Wirren, welche bekanntlich zur Verhaftung des Erzbischofs geführt hatten, erschwerten Bunsen’s Stellung außerordentlich, denn die Politik Gregor’s XVI., eines ehemaligen Camaldulenser-Mönches, der von Staatsgeschäften eigentlich niemals Kenntnis; genommen hatte, verfolgte hartnäckig nur das eine Ziel: lediglich seinen Willen durchzusetzen. Unter solchen Umständen mußten alle Versuche Bunsen’s zur friedlichen Beilegung dieses Handels scheitern, und da hierdurch seine Stellung eine unbehagliche geworden war, so kam er selbst um seine Abberufung ein.

Das Jahr 1839 findet ihn als preußischen Gesandten bei der schweizerischen Eidgenossenschaft in Bern. Doch sollte seines Bleibens hier nicht lange sein, denn nach dem im Jahre 1840 in Preußen eingetretenen Thronwechsel trat er in nähere persönliche Beziehung zu König Friedrich Wilhelm IV. und ging im Auftrage desselben nach England, um die Verhandlungen wegen der Einrichtung eines preußisch-englischen Gesammtbisthums zu Jerusalem zu leiten. Kurze Zeit darauf wurde er zum Gesandten in London ernannt und hat diese Stelle bis zum vorigen Jahre bekleidet. „Ritter Bunsen“ (Knight Bunsen) war eine der hochgeachtetsten Persönlichkeiten der diplomatischen Kreise in England, nicht allein wegen seiner staatsmännischen Eigenschaften, sondern durch die Lauterkeit seines Charakters, die seltene Tiefe seiner Gelehrsamkeit und einen humanen Sinn, welcher trotz einer strengreligiösen Richtung Gerechtigkeit und Duldung für die Meinung und die Richtung Andersdenkender behielt.

Daß Bunsen auf dem politischen Gebiete ein energischer Vertreter nicht allein preußischer, sondern deutscher National-Interessen war, ist bekannt; wenn es ihm nicht gelang, die offene Wunde Deutschlands zu schließen, Schleswig-Holstein sein nationales Dasein wiederzugeben, so ist sicherlich seinem patriotischen Eifer keine Schuld des Mißlingens beizumessen. Der Abfassung des Londoner Protokolls hatte er sich mit aller Kraft entgegengesetzt; bei der energielosen Politik Preußens und der deutschen Mächte blieb ihm, als er dennoch zu Stande kam, nichts übrig, als der Protest gegen dasselbe.

Obgleich Bunsen an den innern Verfassungsangelegenheiten Preußens keinen offiziellen mitthätigen Antheil hatte, so ist es doch bekannt, daß er bereits in den ersten Regierungsjahren König Friedrich Wilhelm’s IV. mehrfach und dringlich auf die Nothwendigkeit von Verfassungsreformen hingewiesen, und seine Ansicht von den vorzunehmenden Erweiterungen des schwächlichen, auf die einzelnen Provinzen beschränkten ständischen Lebens in mehrfachen Denkschriften an den König niedergelegt hat.

Wie sich nach dem Vorstehenden Bunsen’s politischer Standpunkt als ein ehrlicher, wenn auch gemäßigter Liberalismus kennzeichnet, so ist auch seine Stellung zu den religiösen Fragen eine wesentlich vermittelnde. Aus den Septemberverhandlungen der evangelischen Allianz, welche im vorigen Jahre in Berlin abgehalten wurden, ist der Auftritt noch in lebhafter Erinnerung, welchen ein Herr Pastor Krummacher aus Duisburg (einer von der Gattung der neu-patentirten protestantischen Kirchenheiligen) deshalb herbeiführte, weil Herr Merle d’Aubigné von Genf den Doctor Bunsen umarmt und geküßt habe! Denn in den Augen dieser ehrwürdigen Herren erschien Bunsen als ein Abtrünniger von der wahren Lehre, weil er in seinen letzten Werken sich angeblich dem Rationalismus und dem Romanismus zugeneigt erwiesen habe! Die Weisheit dieser Anschauung konnte nur aus einem kurz zuvor erschienenen Pamphlet geschöpft sein, in welchem Bunsen gleichfalls mit logischer Begriffsverwirrung als Pantheist und Ketzer dargestellt wurde. In der That ist dieser Vorwurf nur ein Beweis von dem blinden Eifer dieser neuen Secte von Heiligen, von denen jeder an die Stelle der freien Forschung am liebsten seine eigne unfehlbare Auslegung mit Zwangscours in die Welt setzen möchte.

Es ist wahr, Bunsen hat nichts gemein mit dem herben und sauertöpfischen Rigorismus der theologischen Juristen, Verketzern und schmähenden Gottesknechte, denen es auf Radicalmittel, wie die

Absäbelung von sechzigtausend Menschenköpfen – natürlich in majorem Dei gloriam – nicht ankommt, um den ungläubigen Pöbel die Wege des Heils zu führen. Bunsen stellt aber ebensowenig auf der Seite jener Rationalisten, welche die Fundamente des Glaubens mit dem bloßen sogenannten gesunden Menschenverstände zerlegen und aus Mangel jeder wissenschaftlichen Einsicht, jeder philosophischen Grundlage das Einzelne wie das All, den Gottesbegriff wie den Inhalt jeder Glaubenslehre mit ihren wässerigen Gemeinplätzen auflösen zu können vermeinen. Bunsen ist ein strenggläubiger protestantischer Christ, und wenn er in der Auffassung der christlichen Lehre den dogmatischen Gehalt derselben stärker betont, als den ethischen, rein menschlichen, so entspringt diese Richtung aus seiner ganzen Individualität, welche von seiner frühesten Entwickelung an entschieden den Charakter einer stark ausgeprägten subjectiv - religiösen Innigkeit bekundet. In Zeiten, wie die gegenwärtigen, wo im protestantischen Deutschland eine einflußreiche Partei das gesunkene religiöse Leben, welches nur durch volle Gewissensfreiheit und religiöse Duldung erstarken kann, durch Gewaltmaßregeln wieder erwecken möchte, müssen die Grundlehren des protestantischen Glaubens dem Volke wieder zum lebendigen Bewußtsein gebracht werden, damit der letzte Hort, für den unsere

  1. Sie ist ihrem wesentlichen Inhalte nach in das „Allgemeine evangelische Gesang- und Gebetbuch“ aufgenommen, welches im Jahre 1846 in Hamburg (im Rauhen Hause) erschien.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_176.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)