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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

gemartert. Das Schwert der Vernichtung hing fort und fort an einem Pferdehaar über meines Vaters Haupte. Dieser Zustand wurde ihm unerträglich. Er beredete den kranken, dem Grabe rasch zueilenden Liebheld, sich zu seiner Heilung mit Osterwasser zu waschen, aber damit es wirksamer sei, am Flusse selbst. Er begleitete ihn in der Osternacht dahin, um, wie er vorgab, ihm zu helfen, und stieß ihn in den Strom. Sie, meine Freundin, waren die Zeugin dieser That, und sie wurde die Veranlassung zu Ihrer Verbindung mit meinem armen Freunde. – Sie wissen, wie mein unglücklicher Vater seine Schuld in einer spätern Osternacht büßte. Auch er hat sich mit Osterwasser rein gewaschen. Er hatte nicht mehr so viel Kraft, nach der Donau hinabzugehen; er nahm die Reinigung im nahen Marktbrunnen vor. Er hinterließ mir ein umständliches Bekenntniß mit der Aufforderung, die Erben Theodoro’s aufzusuchen, und ihnen das geraubte Gut zurück zu geben. Wir fanden nach langer Mühe das – Schachtgespenst.“




XII.
Segen aus Fluch.

Nicht im illuminirten Goldschacht sollte die Verlobung der beiden Liebespaare stattfinden, wie der eitle Oberbergmeister von Hammerstein beabsichtigt und angeordnet hatte, das Schicksal hatte dazu ein den Verhältnissen angemesseneres und würdigeres Local bestimmt; auch sollte dabei nicht die rauschende Freude eine glänzende Rolle spielen, sondern die stille Wehmuth als ein schicklicherer Gast am Lager eines sterbenden Mannes knieen.

Zwanzig Jahre lang hatte der schwächliche Körper des Herrn von Schönebeck die feuchte, verdorbene Luft des Bergschachtes, ein elendes Lager in hartem Gestein, eine schlechte Kost und eine dürftige Kleidung ausgehalten, aber es war der Wahnsinn, welcher diesen armseligen Lebensfunken immer im Glimmen erhalten hatte. Jetzt, nach langer Ohnmacht, war der Wahnsinn von ihm gewichen, und er durfte sich mit erneuter Klarheit des Geistes seiner wiederhergestellten Ehre und der zärtlichen Liebe seiner Töchter erfreuen, aber der Lebensfunken wurde von dieser Freude um so sichtlicher aufgezehrt, und eilte rasch seinem Verlöschen entgegen. Es war die untergehende Sonne eines durch Leidenschaft getrübten Lebens, welche ihn auf einige Augenblicke mit dem vollen Glänze irdischer Seligkeit überstrahlte.

In feine Linnen gehüllt, lag der schwergeprüfte Mann im hellsten, schönsten Zimmer seines Hauses im reinlichen Bette, gepflegt von süßer Kindesliebe, die er bis jetzt hatte entbehren müssen, und sein mattes Auge glänzte von Wonne auf die edlen Gestalten, die vor ihm wandelten. Er hatte den Wunsch ausgesprochen, seine Kinder und Lieschen nebst den geliebten Männern zu segnen und die Hände der beiden Paare zusammen zu legen, und der Arzt hatte zur Eile getrieben; denn der Rest von Kraft schwand dem Kranken rasch. So waren sie denn um ihn, deren Liebe den Scheidenden mit dem erfahrnen Hasse versöhnt hatte; er winkte sie heran, und Eduard und Caroline, Hammerstein und Lieschen knieten in der vordern Reihe als die zu Verlobenden, Liebheld und Aurelie mit ihren beiden Kindern als die schon Verbundenen, die aber auch des Vaters Segen empfangen wollten, dahinter vor dem Bette. Mühsam, aber selig lächelnd, legte er die abgemagerte Hand auf ihre Häupter, und flüsterte einen Segensspruch. Alle weinten still; denn Jedes wußte, was nun folgen würde. Und er stand schon unsichtbar zu Häupten des Geprüften, der Engel der Vollendung, und strich jetzt mit leiser Hand über seine Züge hin. Sie verwandelten sich; das Auge brach. Er sank zurück in die Arme seiner Töchter, und hauchte an ihren Herzen die Seele aus.

Eine stille Minute ging vorüber. Dann sprach Liebheld:

„Gönnen wir ihm nach solch wirrem, trüben Leben und nach solchem verklärenden Abendschein den süßen Tod. Uns aber laßt der ewigen Liebe danken, die uns aus Fluch und Verbrechen die Segenssaat des Glücks und der Liebe hervorsprießen läßt. Seht, wie auch der geängstete Mensch irre, zuletzt siegt doch Gott, und führt gute Herzen zu Glück und Frieden.“

Die Paare umarmten sich. Trotz aller Rührung aber dachte Lieschen, als sie von dem schönen Verlobten an die Brust gedrückt wurde: „Das Osterwasser hat mir wirklich Glück gebracht, wie mir die Mutter gesagt, und ich hatte es noch nicht einmal geschöpft.“




Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen.
(Mit Portrait.)

Daß der Flächeninhalt eines Landes und die Einwohnerzahl desselben in keinem nothwendigen Verhältnisse zu der Anzahl bedeutender Männer stehen, welche dem Lande ihren Ursprung verdanken, davon liefert ganz besonders das kleine waldecker Ländchen einen schlagenden Beweis. Einer der kleinsten deutschen Bundesstaaten, wenig über 50,000 Einwohner zählend, ist es dennoch die Wiege einer Anzahl von Männern geworden, deren Ruhm weit über die Grenzen des engeren und weiteren Vaterlandes hinausgedrungen ist, deren Name überall in hohen Ehren steht, wohin Bildung und Gesittung gedrungen ist. Wir nennen hier nur den Namen Christian Rauch’s, des größten Meisters der Bildhauerkunst in unserem Jahrhundert, den genialen Kaulbach, einen der ersten und berühmtesten Maler unserer Zeit, Franz Drake, den Schöpfer herrlicher Denkmäler, Baron Stieglitz (in Petersburg 1843 gestorben), den weitblickenden Finanzmann, und den Namen des Mannes, welcher als Staatsmann die Ehre der deutschen Nation gegen fremden Hochmuth und Uebermuth zu wahren bestrebt war, der auf dem Gebiete des Glaubens in einer Zeit pietistischer Kopfhängerei und zelotischen Dünkels das Banner der Gewissensfreiheit emporhielt und diesem doppelten Rufe den eines der tiefdenkendsten Geschichts- und Alterthumsforschers hinzugesellt hat: Josias Bunsen.

Der Lebensgang Bunsen’s legt durch sich selbst Zeugniß von dem charakterfesten und ausdauernden Sinne eines Mannes ab, dessen hervorragende Eigentümlichkeit in dem tiefen, sittlichen Ernste besteht, welcher alle seine Handlungen beseelt. Darum werden wir selbst da, wo seine Richtung, namentlich in religiöser Hinsicht, uns Bedenken einflößt, dieselbe achten müssen, weil sie als die Consequenz eines Standpunktes erscheint, welcher unzweifelhaft frei ist von allen Nebengedanken und Nebeninteressen menschlicher Art.

Bunsen ist am 25. August 1791 zu Korbach im Fürstenthum Waldeck geboren. Neigung und äußere Verhältnisse bestimmten ihn bei frühzeitig entwickelten bedeutenden Anlagen, sich dem Studium der Philologie und Geschichte zu widmen. Bereits im Jahre 1806 bezog er die Universität Marburg, vertauschte sie jedoch bald mit Göttingen, wo damals Heyne im höchsten Ansehen stand. Nach Beendigung seiner Studien nahm Bunsen eine Lehrerstelle an dem Gymnasium zu Göttingen an und bekleidete das Amt eines Collaborators an demselben bis zur Occupation des Landes durch die Franzosen. Obgleich mit Glücksgütern keineswegs gesegnet und ohne Aussicht auf eine andere Stellung, gab er doch im Jahre 1813 sein bisheriges Amt auf, um nicht unter der Fremdherrschaft des neugeschaffenen westphälischen Königthums dienen zu müssen. Er begann zuerst eine Studienreise nach Holland und Dänemark, um den großen germanischen Sprachstamm in allen seinen Verzweigungen auf das Genaueste zu studiren, und begab sich sodann im Jahre 1815 nach Berlin, wo die Bekanntschaft mit Niebuhr für die Gestaltung seiner ferneren Lebensschicksale entscheidend wurde. Denn nachdem er sich in Paris eine geraume Zeit hindurch dem Studium der orientalischen Sprachen gewidmet hatte, führten ihn zufällige Umstände im Jahre 1816 nach Rom, woselbst Niebuhr preußischer Minister-Resident war. Die früher angeknüpfte Bekanntschaft führte zwischen beiden Menschen zu einem regen Verkehr, der in gemeinsamen Studien und Arbeiten immer neue Anregung fand. Auf Niebuhr’s Veranlassung wurde Bunsen im Jahre 1818 zum Gesandtschaftssecretair ernannt und behielt neben seinem Amte Muße zur Fortsetzung seiner literarischen Arbeiten, welche sich in jener Epoche vorzugsweise auf die römische Alterthumskunde bezogen.

Doch hatte ihn ein angeborener religiöser Sinn frühzeitig angeregt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_175.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)