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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

vor der erdfahlen, grauenhaften Farbe dieser Züge und vor dem wahrhaft gräßlichen Ausdruck des halb erloschenen, halb düster glimmenden Auges, dessen Blick aus tiefen Höhlen wie in Asche zerfallene Brände einer Ruine hervorstach. Die Erscheinung kam in rasender Eile heran, und da sie so wenig Stoff hatte, schien sie wirklich mehr zu schweben, als zu laufen. In der Nähe ging ihr Geheul in die deutlichen Worte: „Brod! Brod!“ über. Sobald das gespensterhafte Bild bemerkte, daß der Obersteiger Begleitung hatte, wich es schnell wieder zurück; der alte Ambrunn hatte aber ein mächtiges Stück Brod aus dem Sacke hervorgezogen, streckte es dem Schachtgespenste entgegen und schrie:

„Hier ist Brod, Rabe! Komm’, komm’ und fürchte Dich nicht! Hier sind Aurelie und Caroline! Die Erstere hat Dir den Ring der Königin gebracht, weither; er ist da, Du wirst ihn haben! und das geraubte Gold ist auch wiedergebracht. Du wirst’s mit dem Ringe versiegeln und dem Könige abliefern. Deine Unschuld ist erwiesen, Dein Name leuchtet als der eines Ehrenmannes. Kathinka wird Dich nicht vergiften; sie büßt ihr Verbrechen im Kerker.“

Das Gespenst stand eine Minute lang dem alten Bergmanne gegenüber still, unbeweglich, einem Schemen gleich, aber die kleinen Augen glühten wie Kohlen auf die vier Menschen, dann stieß es plötzlich einen so gellen, fürchterlichen Schrei aus, daß die drei, auf’s Höchste aufgeregten Frauen ebenfalls schreiend zusammenbebten und einer Ohnmacht nahe waren. Unwillkürlich umfaßten sie sich und starrten die gräßliche Gestalt an. Diese ließ mm die Worte erschallen:

„Den Ring! Her den Ring! Aurelie, Caroline, gebt den Ring! Gebt Brod! Brod! Brod! Ich verhungere!“

„Barmherziger Gott!“ raunte Aurelie Carolinen zu. „Es ist die Stimme, es ist die Gestalt unseres Vaters, wie sie mir wie aus einem Traume in der Seele auftauchen. Er lebt, er ist’s, dieser Unglückliche.“

„Das ist kein lebendes Wesen, das ist sein Geist!“ versetzte das Mädchen schier außer sich.

„Nicht doch, Kind! wie sollte ein Geist so nach Brod schreien? Wir gehen der Lösung dieses Räthsels entgegen.“

„Hier ist etwas Brod!“ sagte der Bergmann zu der Gestalt. „Und im Sacke hab’ ich noch mehr Brod und auch Fleisch und Wein. Das sollst Du im Elisabethen-Schacht haben, Rabe. Fort! Flattere voran, wir folgen Dir! Dann erhältst Du auch den Ring, hörst Du, den Ring der Königin! Und auch das Dir gestohlene Gold! Begreifst Du’s?“

Wiederum stieß das Schachtgespenst einen unheimlichen Schrei aus und wieder hörten die geängstigten Frauen das Geheul:

„Brod! Brod! Fleisch! Wein! Den Ring! Das Gold! Aurelie und Caroline! Im Elisabethenschacht! Fort, zum Elisabethenschacht!“

Und das Stück Brod dem Obersteiger entreißend und es verschlingend, wie ein Wolf, stürmte der unheimliche Schachtbewohner voraus und die Andern nach. Das war eine wilde Hetze in den schrecklichen Gängen! Das ging über Stock und Stein, bald durchgezwängt durch enge Spalten, bald auf allen Vieren gekrochen durch niedrige Löcher. Aber diese Frauen waren durch die Liebe zu Heldinnen geworden; sie folgten dem Gespenst und dem Bergmanne unverzagt durch Dick und Dünn, durch das schier endlose Labyrinth von einem Gange in den andern, immer vorwärts auf der grausigen Jagd.

„Kein Mensch auf der Welt fände diesen Weg,“ sagte der alte Bergmann zu den Frauen. „Wer sich hier hereinwagte, müßte ohne Gnade umkommen. Er allein kennt da jeden Schritt und Tritt.“

Endlich war der Gang vor ihnen mit Hölzern und Steinen versperrt.

„Wir sind am Ziel!“ sagte Ambrunn. „Jenseits dieser leichten Wand ist der Elisabethenschacht; dort sind die Verschütteten. Ruft jetzt aus Leibeskräften und legt zu gleicher Zeit Hand an.“

Die Frauen stürzten herzu und rissen Hölzer und Steine fort. Sie entwickelten Kräfte, wie Riesinnen aus der Götterzeit. Dazwischen stießen sie ein Helles Geschrei aus.

„Bernhard! Eduard! Karl! Hoho!“ so erschallte es von den schönen Lippen, und der alte Bergmann vereinigte seinen Ruf mit dem ihrigen, ja, das Gespenst schien zu wissen, um was es sich handelte, es stieß fort und fort jenes heulende Geschrei aus und entfernte eben so gut Hölzer und Steine, wie die Andern. Nicht, lange, und es wurden Stimmen von jenseits vernommen. „Hülfe’, Rettung!“ erscholl’s hüben und drüben. Die Versperrung wurde auch dort weggerissen und nach wenigen Augenblicken jubelten sie einander in die Arme, an die Lippen, an die Herzen zum seligberauschenden Kusse, Aurelie an des Gatten Brust, Lina von Eduard umschlungen, Lieschen ohnmächtig vom Oberbergmeister gehalten.

Die Stimme des Schachtgespenstes brachte die Seligen wieder in die wirkliche Lage der Dinge. „Brod! Fleisch! Wein! Den Ring! Das Gold! Aurelie und Caroline!“ heulte es.

„Was ist das?“ fragte Liebheld. „Wer ist diese schauderhafte Gestalt? Ein Wahnsinniger?“

„Unser, Euer Retter, mein lebender, offenbar wahnsinniger. Vater, das berüchtigte, so sehr gefürchtete Schachtgespenst.“

„Dein lebender Vater?! Wer löst dieses Räthsel?“

„Das vermag ich allein hier,“ sagte der alte Obersteiger, indem er dem gierig zugreifenden Wahnsinnigen die versprochenen Lebensmittel verabreichte. Dieser setzte sich seitab auf den Trümmerhaufen und verschlang die Speisen mit thierischer Gierde, ohne sich um etwas weiter zu bekümmern oder Aufmerksamkeit auf die um ihn geführten Reden zu verrathen.

„Was ich bereits im Berggericht bekannt,“ fuhr der Obersteiger fort, „brauche ich hier nur zu wiederholen, um Alles aufzuklären. Die verdiente Strafe kommt mir recht, zumal mein Verbrechen heute meinem armen Jungen das Leben gekostet hat. Derweil der Verrückte da seinen Hunger stillt, und der ist groß, denn er hat, seit ich in Haft bin, nichts zu essen bekommen und hätte verhungern müssen, wenn Leberecht nicht den tollen Possen gespielt hätte – derweil also erzähl’ ich, wie das Alles gekommen.

„Ich hatte mich mit der Kathinka, die im Hause des Oberbergmeisters Holdrat als Magd diente und aus diesem mit der Tochter Marie, als diese den Bergmeister Schönebeck heirathete, in dessen Haus zog, verlobt und war ihretwegen einem hübschen braven Mädchen, mit welchem ich Jahre lang Umgang gehabt, untreu geworden; denn diese Kathinka war ein verführerisches Geschöpf. Nachher geschah mir ganz recht, daß sie den Bergmeister heirathete, als dessen junge Frau aus Verdruß über die entdeckte Leidenschaft ihres Mannes zur Magd gestorben war. Der Bergmeister war aber mit der Slovakendirne auch betrogen; sie hatte mich und ihn hintergangen, und auch mit dem Georg Theodoro vertrauten Umgang gehabt, als sie noch mit ihm zusammen in des Oberbergmeisters Hause war, ja der Grieche hatte mehr Gewalt über sie, wie ein anderer Mann. Der Oberbergmeister gerieth über das falsche Weibsbild mit seinem Schwiegersohne in arge Feindschaft, welche Theodoro benutzte, um darauf seine eigenen Pläne zu bauen. Er beschwatzte das treulose Weib, dem Bergmeister das vorräthige Gold mit Hülfe seines Ringes zu stehlen; dann wollte er sie nachkommen lassen oder sie abholen. Von diesem Verhältniß Theodoro’s zu Kathinka wußte ich aber damals nichts; ich war eben mit Blindheit geschlagen, so gut wie Herr von Schönebeck, und so wurden wir denn beide betrogen. Eigentlich verdienten wir’s auch nicht besser. Denn wie ich meiner Braut, so war er seiner Frau des zauberisch schönen, schlechten Weibsbilds wegen untreu geworden, und der Gram über solche Untreue hatte mir die Braut und ihm die Gattin getödtet. Ich habe Gottes Strafgericht späterhin, als ich hinter die Schlechtigkeit Kathinka’s und Theodoro’s kam, wohl eingesehen, aber damals war mein Herz noch voll blinder böser Rachbegierde gegen meinen Vorgesetzten, Herrn von Schönebeck. Und das wußte Theodoro und verführte mich mit der Vorspiegelung, er handle im Auftrage des alten Herrn von Holdrat – ich war dumm genug, das zu glauben, weil er bei diesem Alles galt – daß ich ihn versteckte, als er heimlich hierher kam, ja ihm auf alle mögliche Weise zum Diebstahl des Goldes behülflich war, nur um Schönebeck in’s Verderben zu bringen. Das aber ahnte ich nicht, daß auch des Bergmeisters eigene Frau mit dem nichtswürdigen Griechen gegen ihren Mann verschworen war. Der Diebstahl wurde ,so geschickt ausgeführt, daß Niemand eine Ahnung vom Thäter hatte; nur Herr von Schönebeck muß – ich weiß nicht wie, dahinter gekommen sein, daß sein Weib, welchem er so viel geopfert, dabei betheiligt, sei, und er ist schwach genug gewesen, sie dessen in’s Gesicht zu beschuldigen. Darauf hat sie ihn vergiften wollen. Vielleicht hat er schon einen Theil des Giftes genossen und Argwohn geschöpft; denn er hat die vergiftete Suppe seinem Hund gegeben, welcher

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