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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Theodoro hat diesen veranlaßt, sich mit der Bitte an das hiesige Berggericht zu wenden, es möge ihm – da er nicht wisse, wo er geboren sei, und seine Jugend mit seinem Bruder hier verlebt habe – bescheinigen, daß Georg Theodoro sein Bruder gewesen. Auf Befragen, zu welchem Zweck, hat er angegeben, um die Hinterlassenschaft seines Bruders als Erbe zu heben. Dabei hat sich dieser Schlaukopf in Widersprüche verwickelt, und da wir bereits die nöthige Aufklärung von Wien hatten, so ist es nicht schwer gewesen, ihn in der Haft zu Geständnissen zu bringen, welche die Wittwe Schönebeck graviren. Aber noch besser: vor einigen Abenden hat ein Zank zwischen dieser gemeinen Frau und einem alten Obersteiger, der ihre Tochter für seinen Sohn begehrte, in ihrem Hause statt gefunden, belauscht von einem hiesigen Grundbesitzer, Namens Tomanek, welcher ebenfalls um die Tochter freit. Tomanek hat höchst wichtige Aeußerungen der beiden Streitenden zur Anzeige gebracht, aus welchen hervorgeht, daß die Frau den Ring der Königin, in dessen Besitz Sie jetzt sind, gestohlen und dem Georg Theodoro gegeben hat. Denn nur mit dem Ringe konnte er den Diebstahl ausführen. Ja, der Obersteiger Ambrunn, einst ihr Verlobter, hat ihr sogar vorgeworfen, daß sie ihren Gatten vergiftet habe. Sie dagegen hat ihn beschuldigt, daß er dem Griechen behülflich gewesen. Jedenfalls haben wir die Complicen. So wie Sie dem Gerichte die Beweisstücke übergeben haben, wird die Verhaftung dieser beiden Personen erfolgen, und die Untersuchung beginnen, die jetzt bessere Resultate liefern wird, als vor zwanzig Jahren, wo man stets auf falscher Spur war.“

„Haben Sie die Güte, uns zum Gericht zu führen! Wir werden das corpus delicti überliefern.“

Kahlert trug eine kleine elegante, aber schwere Kiste herbei; Liebheld legte den Reisepaß und den Ring auf den Tisch, Hammerstein nahm den letztern und betrachtete ihn genau.

„Ist Ihnen die Bedeutung und Geschichte dieses Ringes bekannt, der in diesem bösen Handel eine so wichtige Rolle zu spielen scheint?“ fragte der Advocat den Bergbeamten. „Sie nannten ihn den Ring der Königin. Woher dieser auffallende Name?“

„Ich kann Sie vollständig über das Geheimniß dieses allerdings wichtigen Pretiosen aufklären. Die Königin Maria von Ungarn, die Gemahlin jenes unreifen Königs Ludwig, der in der unseligen Türkenschlacht bei Mohacs 1526 im Sumpfe erstickte, und die Schwester des deutschen Kaisers Karl des Fünften, war eine der holdesten und liebenswürdigsten Damen ihrer Zeit. Sie besuchte unsere Gold- und Silberbergwerke einige Male, welche damals im Besitz der reichen und speculativen Fugger von Augsburg waren. Ein junger Adliger aus der alten Familie der Thurzo war damals Oberbergmeister und Münzwardein und mit einer Tochter des Hauses Fugger vermählt. Als Verwandter wurde er Theilnehmer und als solcher Begründer des großen Reichthums und der Macht des später so angesehenen Hauses der Thurzo, von welchen Einer sogar Palatin von Ungarn wurde. Merkwürdiger Weise knüpfte man das außerordentliche Glück dieses Hauses an diesen Ring, welcher im Laufe der Jahrhunderte Gegenstand eines wunderlichen Cultus oder vielmehr Aberglaubens wurde. Die Königin Maria zeigte jenem jungen Thurzo, der die unterirdischen Schätze so trefflich zu heben verstand, wie noch nie ein ungarischer Edelmann, und der zugleich ein feiner, wohlgebildeter Hofmann gewesen sein soll, ganz besondere Gnade, und als sie nach dem Tode ihres Gatten von ihrem kaiserlichen Bruder zur Statthalterin der Niederlande erhoben worden war, schenkte sie dem ritterlichen Bergmeister diesen Ring. Er trägt als Emblem einen weiblichen Arm mit einem gekrönten Schwerte. Ein Wappen ist es nicht, auch konnte sie kein solches verleihen. Das Bild ist nur Symbol. Der Ring ist aus dem Golde dieser Berge geschmiedet; der Karneol ist ebenfalls ungarisches Product. Thurzo bediente sich des Ringes zum Versiegeln der Erz- und Schatzkammer, und so erhielt er als Petschier die zweite Wichtigkeit. Als solcher hat er sich erhalten. Er vererbte nämlich immer auf dasjenige Glied der Familie, welches dem Bergwesen hier vorstand, und ging auf die weibliche Descendenz über. Man kam endlich dahin, das Glück des hiesigen Bergwesens überhaupt von dem Besitze des Ringes abhängig zu glauben; der Ring wurde zum Talisman, zum Glückbringer, zum Goldbescherer, wenigstens bei den gemeinen Bergleuten. Er war auch im Besitz des Herrn Oberbergmeisters von Holdrat, und gerade[WS 1] dieser legte ihm eine ungemeine Wichtigkeit bei. Man sagt, er habe ihn seinem Sohne verweigert, und dieser habe sich deshalb todt gehärmt. Deshalb habe der strenge Herr ihn nachher dem Gemahl seiner Tochter, Herrn Bergmeister von Schönebeck, übergeben, als diese von ihm so heißgeliebte Tochter, welcher er keine Bitte abschlagen konnte, ihn darum gebeten. Herr von Holdrat hatte vom Charakter und der Sinnesart des Herrn von Schönebeck keine vortheilhafte Meinung, und war mit der Herzenswahl seines Kindes keineswegs zufrieden. Aber wie gesagt, der sonst so strenge Herr vermochte seinem ihm aus einer glücklichen Ehe allein übrig gebliebenen holden Kinde nicht wehe zu thun. Daß er sich nicht in Herrn von Schönebeck geirrt, bewies dessen Benehmen gegen seine junge schöne Gemahlin. Er fing eine strafwürdige Liebelei mit einem in seinem Dienste stehenden, freilich verführerisch schönen Slovakenmädchen an. Die junge Ehefrau, welche ihren Gatten schwärmerisch liebte, kam hinter die Untreue desselben und grämte sich so sehr darüber, daß sie starb, als sie einem Töchterlein das Leben gegeben. Dieses Kind ist uns wohlbekannt. Herr von Holdrat wandte ihm seine ganze Liebe zu. Dagegen wirf er auf den Vater desselben einen eben so starken, unversöhnlichen Haß, welcher das Motiv zur Zurückforderung des Ringes wurde. Der daraus entsprungene Streit wurde noch heftiger, als der Oberbergmeister auch die kleine Enkelin forderte, und Herr von Schönebeck die Auslieferung sowohl des Ringes als des Kindes verweigerte. Als er aber den gemeinen, obgleich reizenden Gegenstand seiner Liebeswünsche heirathete, wußte der alte Herr es nach einem mehrjährigen Rechtsstreit endlich durchzusetzen, daß ihm das Kind ausgeantwortet wurde. In diesem Proceß waren böse Dinge zur Sprache gekommen.

„Bald darauf verschwand Herr von Schönebeck auf eine unerklärliche Weise. Er hatte mitten in der Nacht sein Haus im Bergmannskleid verlassen. Als er nach einigen Tagen nicht zurückkehrte, und nirgend aufgefunden werden konnte, nahm man an, er sei in einem der alten Schächte verunglückt. Seine Leiche ist niemals aufgefunden worden. Jetzt stellte sich heraus, daß in der Schatzkammer, die er zu verwalten, zu verschließen und zu versiegeln hatte, ein ungeheurer Defect war. Es fehlten Goldbarren für einige hunderttausend Gulden. Wohin das Metall gebracht worden, wer es entwendet, darüber konnte keine haltbare Andeutung beigebracht werden. Weder die Schlösser noch die Siegel waren verletzt. Der doppelte Wachtposten hatte nichts wahrgenommen. Erst war man geneigt, zu glauben, Herr von Schönebeck habe das edle Metall veruntreut und sei geflohen. Die Untersuchung stellte diese Annahme als Irrthum fest. Man suchte nach dem Ringe, er fand sich nicht. Da gab es Leute, welche behaupteten, Herr von Holdrat habe sich von Haß und Golddurst zu dieser That hinreißen lassen. Es gelang ihm in der Untersuchung, seine Unschuld klar darzuthun, aber er fühlte sich so gekränkt, daß er sein Amt niederlegte und mit seiner Enkeltochter nach Wien zog. Was man auch aufbot, um eine Spur zu entdecken: es war Alles vergebens. Seltsamer Weise muß man an diesen Georg Theodoro gar nicht gedacht haben. Dieser schlaue und gewandte Mensch war eine Reihe von Jahren Diener und vertrautes Factotum Holdrat’s und hatte seinen jüngeren Bruder, einen Knaben, bei sich, den er erzog. Er stand beim alten Herrn in großer Gunst, übergab aber, als er ein halbes Jahr vor der Katastrophe den Dienst um einer geringfügigen Ursache verließ, diesen seinen Bruder der Frau von Schönebeck zur Beköstigung. Er selbst verschwand und blieb verschollen. Deshalb dachte Niemand an ihn, als das Verbrechen sich herausstellte. Nun wird es einleuchtend, daß er mit Hülfe der Frau von Schönebeck und des Steigers Ambrunn sich eine kurze Zeit heimlich hier aufgehalten und den Diebstahl verübt hat. Den Ring hat er, wie wir bereits wissen, durch die treulose Frau erhalten und damit die Siegel neu hergestellt. Die nähern Umstände des Verbrechens wird hoffentlich die erneute Untersuchung ermitteln.“

„Und was halten Sie von diesem seltsamen Schachtgespenst?“ fragte Kahlert.

„Ich bin wirklich um eine Antwort verlegen. Ich selber habe nie etwas in den Schächten gesehen, das wie ein Gespenst aussieht. Aber unerschrockene, ehrenwerthe Bergleute, junge und alte und wahrlich keine geringe Zahl, haben zu verschiedenen Zeiten eine unnatürliche gräßliche Gestalt in abgelegenen Gängen; die mit verlassenen Bauten zusammenhängen, gesehen, jedoch nie während der Arbeitsstunden, und sie beschreiben es so gleichmäßig, daß man doch nicht ohne Weiteres ihnen widersprechen kann. Eine

  1. Vorlage: gegerade
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_160.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)