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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

durch gute Aufführung auszeichnende Sträflinge werden mit als Küchengehülfinnen benutzt.

Sämmtliche Anstalten hatte ich jetzt gesehen; nur die mich am meisten interessirende, das Erziehungsinstitut für Schwach- und Blödsinnige, blieb mir noch zu besuchen übrig. Sachsen hat den schönen Ruhm, in der Errichtung solcher Institute, deren hohe Aufgabe die Linderung menschlichen Elends ist, mit leuchtendem Beispiele andern deutschen Ländern vorangeschritten zu sein. In Sachsen wurde das erste Taubstummen-Institut, zu Leipzig 1778 gegründet; Sachsen besaß in Deutschland das erste Irrenhaus, Waldheim 1787 – und wiederum war es Sachsen, wo im Jahre 1846 auf Antrag des Landtags die erste Anstalt zur Erziehung und Bildung blödsinniger Kinder auf Staatskosten in’s Leben gerufen wurde, während sich alle übrigen, zum Theil schon früher gegründeten derartigen Anstalten in den Händen von Privatpersonen befinden. In dieses Institut trat ich jetzt ein. Doch – über diesen Besuch werde ich in der nächsten Nummer dieses Blattes genauer Bericht erstatten.

Für jetzt noch ein Wort über die Gesammtbevölkerung Hubertusburgs. Gegenwärtig befinden sich in den verschiedenen Anstalten dieses Schlosses etwa 1020 Individuen. Direktor sämmtlicher Anstalten ist der Hauptmann von Bünau, ein Mann, in dessen Charakter sich Ernst und Humanität auf’s Schönste vereinen. Außerdem befinden sich in Hubertusburg zwei evangelische und ein katholischer Geistlicher, drei Aerzte, drei Lehrer, ein Hausverwalter, ein Wirthschaftsinspector, vier Expedienten, 27 Aufseher und Aufseherinnen und etwa 50 Wärter und Wärterinnen. Hierzu kommen noch einige Professionisten. Diese Andeutungen und die beigegebene, ganz genaue Abbildung von Hubertusburg mögen genügen, um einen Begriff von der Großartigkeit dieser Anstalten zu geben.




Garnison- und Parade-Bilder.
2. Schmidt.

Das Regiments-Exerciren war zu Ende. Die Leute hatten sich meist – der Plackerei an dem heißen Septembertage überdrüssig – in’s duftende Herbstgras gelagert oder um die Marketenderinnen geschaart, und die Officiere ließen sich von ihren Burschen das Frühstück auspacken. Die Bataillons-Adjutanten schrieben den Tagesbefehl für den nächsten Morgen nach, den ihnen der Stabsofficier du jour in die Schreibtafel dictirte.

„Es ist wieder der Teufel los, morgen zum Sonntag, passen Sie mal auf!“ sagte der Hauptmann v. K., sich ärgerlich hinter den Ohren kratzend. „Ich sehe es unserm Adjutanten gleich an der Nase an; ich wollte wetten, der alte M. hat wieder einmal eine Revue gerade auf den Sonntag befohlen,“

Mein Hauptmann hatte eine ziemlich gute Nase in solchen Dingen, und ich verspürte keine Lust, die Wette einzugehen. Unser Adjutant kam auch wirklich sehr bald – im gestreckten Schritt zwar – aber mit äußerst wichtiger Miene herangeritten.

„Die Feldwebel!“ rief er, etwa hundert Schritte vom Bataillon sein Pferd anhaltend, und den Gerufenen auf diese Weise noch Gelegenheit zu einem nachträglichen gymnastischen Exercitium ihrer Gliedmaßen verschaffend. „Rascher, im Trabe, muß ich bitten!“

Ich stand zu weit ab, um vernehmen zu können, was unser Feldwebel, ein ziemlich beleibter Mann mit einem dicken und wohlhäbigen Gesicht und offenbar kein Freund von derartigen Leibesübungen, in den braunen Schurrbart hineinbrummte, aber ich konnte es mir ungefähr auch so denken.

Die Befehlsausgabe dauerte ungewöhnlich lange. Die Ahnungen meines Hauptmanns sollten, wie es schien, in Erfüllung gehen.

„Nun, was bringen Sie, Feldwebel?“ fragte er den endlich mit der inhaltsschweren Brieftasche auf ihn zuschreitenden Mann mit dem wohlhäbigen Gesicht, das im Grunde recht gemüthlich aussah.

„Nur sachte, nur sachte, Freund! immer gemach!“ fuhr er fort, als dieser sich schon wieder in Trab setzen zu müssen glaubte. „Sie stehen nicht bei der Cavallerie, überlassen Sie das Traben und Galoppiren den Berittenen; Ihr Hauptmann ist mit Ordinairschritt zufrieden, Ihre Hiobspost höre ich immerhin noch zeitig genug.“

Der Adjutant, der mittlerweile abgesessen und mit zu uns herangetreten war, biß sich auf die Lippen; der dicke Feldwebel schmunzelte sichtlich vergnügt.

„Nun, was ist der langen Rede kurzer Sinn?“ frug der Hauptmann weiter.

„Morgen Vormittag Revue in Compagnieen vor dem Herrn Brigadier, mit vollständigem Gepäck auf dem Brigadeexercirplatze, zu Befehl des Herrn Hauptmanns,“ referirte der Feldwebel, die Schreibtafel aufblätternd und sich anschickend, den ganzen Befehl seinem Wortlaut nach abzulesen.

„Schon gut, schon gut, hat Zeit bis nachher!“ meinte der Hauptmann. „Sehen Sie,“ sagte er, sich zu mir wendend. „Sagte ich’s Ihnen nicht? Und gerade morgen zum Sonntag, mein Unglückstag, ’s ist um des Teufels zu werden. Passen Sie mal auf, es gibt eine Schweinerei.“

Mein Hauptmann war zwar bekannt wegen seiner Zerstreutheit und seines schlechten Gedächtnisses, das unter uns Officieren fast zum Sprüchwort geworden war, aber was sein Ahnungsvermögen anlangte, so hatte ich allen Respect vor ihm.

„Die Herren Officiere!“ rief jetzt der Bataillonscommandant, wieder zu Pferd steigend, und uns mit der Hand heranwinkend. „Etwas rascher, meine Herren, muß ich bitten!“

Wir hatten bald einen Kreis um ihn geschlossen, und hörten andächtig seiner langen Rede zu. Der Herr Brigadier würden morgen sehr in’s Detail gehen, jede Compagnie einzeln vornehmen; er hoffe, daß die Leute ordentlich geputzt haben, gehörig instruirt seien, die Herren Compagniechefs ihre Schuldigkeit thun würden. Die Compagnieen seien überdies mit ihrem jetzigen Präsent-Etat nun schon über drei Wochen im Cantonnement und er dürfe also erwarten, daß die Herren Capitains sich gehörig mit ihren Leuten bekannt gemacht hätten, da der Herr General dies ausdrücklich verlange? er wolle nicht hoffen, daß ihm irgend Jemand Anlaß zur Unzufriedenheit gäbe. – „Sie haben mich doch verstanden, Herr Hauptmann v. K.?“

Dieser fuhr wie aus einem Traume auf. „Zu Befehl, Herr Major!“ war die Antwort.

„’s ist gut, meine Herren, rücken Sie ein!“ befahl der Major, die Hand an den Czako legend. „Stabssignalist, Achtung blasen!“

„Was hat er gesagt?“ fragte mich mein Hauptmann, als wir zusammen der Compagnie zuschritten, die eilig hinter den Gewehren antrat.

Ich wiederholte ihm den Kern der mitgetheilten Rede des Bataillonschefs mitsammt der arglosen Frage am Schlusse derselben. Beim Anhören der letzteren, die ihn an der ganzen Philippika allein zu interessiren schien, war er sichtlich nachdenklich geworden.

„Compagnieen formirt, marsch!“ commandirte der Major, den nur eben gezogenen Degen wieder einsteckend.

Die Compagnieen schwenkten einzeln aus, ihre Tambours und Signalisten setzten sich an die Tête, und eine jede rückte in ihr Cantonnements-Quartier ein, sich für den kommenden Revuetag in möglichst brillante Verfassung zu setzen.

Mein Hauptmann, der in der Regel nur beim Ausmarsch schweigsam, dessen Humor aber beim Heimmarsch gewöhnlich unerschöpflich war, wollte dieses Mal durchaus nicht aufthauen. Der Schluß der Rede unseres Majors schien ihm noch im Kopfe herumzugehen. – Der arme Mann! Er hatte das merkwürdigste Gedächtniß, was mir noch je vorgekommen ist. Sobald es galt, einen Classiker zu citiren, war er unfehlbar und wie der Blitz bei der Hand; den Wallenstein, den Faust kannte er buchstäblich auswendig. Nur in Dienstsachen versagte sein Erinnerungsvermögen häufig gänzlich und Namen, vollends die 200 Namen seiner Compagnie, die konnte er sich nun gleich gar nicht merken, und wenn es das Leben gegolten hätte. Ich bin nie so recht eigentlich dahinter

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