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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

es werde sich Alles schnell zur Zufriedenheit der Behörde und des Herrn Doctors aufklären, und er bedauere nur die kleine Störung, welche ihnen zu machen Amtspflicht ihn zwinge. Alle Effecten der Familie wurden sorgfältig untersucht und alle Papiere hinweggenommen. Doctor Liebheld suchte seine Frau und Lieschen so gut als möglich zu beruhigen und versprach, bald wiederzukehren; doch blieben sie in Bestürzung und Angst zurück und ihr Kummer stieg, als jener an diesem Tage nicht wiederkehrte.

Der Advocat hatte ein anständiges Zimmer, aber erst am andern Tage wurde er zum Polizeidirector geführt. Der Beamte war ungemein höflich.

„Sie müssen entschuldigen, geehrter Herr Doctor, daß ich Sie erst heute um eine Unterredung bitte. Es mußten gestern nöthige Recherchen dazu gemacht und Vorbereitungen getroffen werden. Sie sind selbst Jurist und wissen deshalb genau, wie viel von Ihren wahrheitsgetreuen Antworten auf meine Fragen für Ihr eigenes Wohl abhängt. Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Ihr Thun und Treiben in Ungarn und Oesterreich seit einem Jahre die Aufmerksamkeit der Polizei hat erregen und Sie in Verdacht bringen müssen, als hätten Sie unredlichen Verkehr mit Leuten von zweideutigem Rufe, und die Dinge, die gestern in Ihrem Besitz gefunden wurden, sind leider geeignet, diesen Verdacht zu bestätigen, wenn nicht gar zu verstärken.“

„Ich kann und werde jeden Verdacht gegen mich beseitigen und darthun, daß meine Absicht eine reine und edle ist.“

„Ich wünsche und hoffe es, mein Herr,“ versetzte der Polizeidirector in einem glatten Tone, welcher den Zweifel keineswegs ausschloß. Die Herren nahmen auf dem Sopha Platz, dann fuhr der Beamte fort: „Sie haben über ein Jahr lang Nachforschungen nach einem Manne aus den untern Ständen, Namens Theodoro, in Ungarn gehalten. Welchen Zweck haben Sie bei diesen ungewöhnlichen Recherchen?“

„Ich suchte nicht den Mann – denn der ist ja nicht mehr am Leben – sondern seine Nachkommenschaft, seine Familie, seine Erben, um diesen aus dem Nachlasse des Verstorbenen zu übergeben, was zu diesem Zwecke in meine Hände gelegt worden ist.“

„Wenn Sie ein Erbe auszuantworten haben, weshalb betreten Sie, der Rechtsanwalt, nicht den für solche Fälle gesetzlich vorgeschriebenen Weg und wenden sich an die Behörde, deren Kenntniß der Personen und Verhältnisse Sie schnell zum Ziele führen mußte? Warum schlugen Sie nicht einen zweiten gebräuchlichen Weg ein, und forderten in den öffentlichen Blättern des Königreichs Ungarn oder aller österreichischen Staaten die betreffenden Personen auf, sich bei Ihnen zu melden?“

„Der Grund liegt eben in einer seltsamen Verwicklung der Verhältnisse, und da dies nicht mein Geheimniß ist, da ich blos Beauftragter bin, welcher seine Ehre für das Verschweigen der bestimmenden Umstände verpfändet hat, so werden Sie mir erlauben, daß ich Ihnen die Antwort auf diese Fragen schuldig bleibe.“

„Damit kommen Sie nicht durch, mein Herr, und Sie müssen selbst einsehen, daß Sie mit dieser Ausflucht nur den bereits auf Ihnen lastenden Verdacht vermehren.“

„Aber worin besteht der Verdacht? Gegen ihn will ich mich verantworten.“

„Ist es nicht verdachterregend genug, daß Sie über Jahr und Tag von Vilagos aus in allen ungarischen Städten nach Personen eines Namens forschen, der selbst nicht zu den gut renommirten gehört? Daß sie dabei immer die Mitwirkung der Behörden scheuen? Aber dazu kommen noch ganz andere und wichtigere gravirende Umstände. Weshalb hielten Sie sich mit den beiden Damen, Ihren Begleiterinnen, nur einen einzigen Tag in Kremnitz auf, wo Sie doch leichter, als an andern Orten, über das, was Sie wünschen, hätten belehrt werden können, und weshalb sah Ihre schnelle Entfernung aus dieser Bergstadt einer Flucht ähnlicher, als einer Abreise?“

„Der Grund lag in einer unbesiegbaren Furcht meiner Frau, daß ihr von einer in Kremnitz wohnenden einflußreichen Person Schlimmes zustoßen könnte, und nach früheren bösen Erfahrungen mußte ich selbst gemeine Rachehandlungen von jenem hochgestellten Manne fürchten, denen wir uns nur durch eine schnelle Abreise entziehen zu können glaubten.“

„Und wer ist dieser hochgestellte Mann, den mit Recht zu fürchten Sie angeblich Ursache haben?“

„Der Oberbergmeister von Hammerstein.“

„Welchen Grund haben Sie zu solcher Furcht?“

„Herr von Hammerstein war der Verlobte meiner Frau, eh’ ich sie kennen lernte. Ihr Rücktritt und ihre Verbindung mit mir riefen sehr unwürdige Schritte gegen uns auf, und wir haben Ursache, gegen ihn fort und fort auf der Hut zu sein.“

„Wußten Sie denn nicht, daß Herr von Hammerstein in Kremnitz amtirt?“

„Wir erfuhren es leider erst in der Stadt selbst, in welcher wir aus seelischen Gründen gern länger verweilt hätten.“

„Welches waren diese Gründe?“

„Weil Kremnitz der Geburtsort meiner Frau ist, wo sie nur die paar ersten Jahre ihres Lebens zugebracht hat, so daß ihr nur dunkle Erinnerungen daran vorschweben.“

„Wer war der Vater Ihrer Gattin?“

„Der verstorbene Bergmeister von Schönebeck. Der ehemalige, nun auch aus dem Leben geschiedene Oberbergmeister von Holdrat war ihr mütterlicher Großvater.“

In den Zügen des Polizeidirectors ging während dieser harmlosen Mittheilung eine Bewegung vor. Er versank einige Augenblicke in Nachdenken; dann fuhr er fort:

„Wie reimt sich mit diesem offenen Bekenntniß Ihre Angabe zusammen, daß Sie der Beauftragte eines Andern wären?“

„Die Angabe der Familienverhältnisse meiner Frau hängt ja nicht mit dem mir ertheilten Auftrage zusammen, die Verwandten eines griechischen Handelsmannes aufzusuchen.“

„Nicht?!“ betonte der Beamte scharf und mit einem Anfluge von Spott. „Verbuchen Sie nicht, der Wiener Polizei was weiß zu machen. Es durfte Ihnen schwerlich gelingen.“

Aber das befremdende Erstaunen in den Zügen des deutschen Advocaten war doch zu natürlich und ehrlich, als daß der Polizeidirector nicht davon hätte stutzig gemacht werden sollen.

„So wissen Sie durch Ihre Gattin nicht, in welchem Verhältnisse jener Handelsmann Georg Theodoro, dessen Ableben Sie behaupten, und dessen Erben Sie suchen, zum Großvater Ihrer Gattin, Herrn von Holdrat, stand?“

„Davon weiß weder ich noch sie etwas. Sie hat nie den Namen Theodoro genannt und schwerlich den Träger desselben gekannt.“

„Aber ist er nicht bei Ihnen gestorben und hat Ihnen sein erworbenes Gut zur Vererbung an seine Familie hinterlassen?“

„Nein, so ist es nicht. Ich habe den Mann nie gekannt. Ich bin ja nur der Beauftragte eines Andern.“

„So kennen Sie auch wohl den Siegelring nicht näher, den man gestern mit dem Reisepaß Georg Theodoro’s zusammengepackt bei Ihnen gefunden hat?“ Die Frage war mit Erbitterung und mißbilligendem Kopfschütteln gesprochen.

„Nein, ich kenne ihn nicht. Er ist mir anvertraut worden, damit er mir vielleicht das Aussuchen der Erben Theodoro’s erleichtere.“

„Und auch Ihre Gattin kennte nichts von der geheimen Geschichte dieses Ringes, sie die Enkelin seines ehemaligen Besitzers, sie die Tochter seines nachherigen Besitzers?“

Liebheld war sprachlos vor Erstaunen, und der Polizeidirector schlug eine höhnische Lache auf; denn er glaubte den Mann nun verstrickt zu haben.

„Sie wüßten nicht, daß sich um diesen Ring die verhängnißvolle Geschichte und gewissermaßen der Untergang jener Familie dreht, welcher doch Ihrer Angabe zu Folge ihre Gattin entsprungen ist?“

„Nein, bei Gott! nein!“ stammelte Liebheld.

„Wüßten nichts von jener grauenhaften, über allen Zweifel feststehenden Erscheinung des Geistes, der diesen Ring sucht, diesen Ring verzweiflungsvoll verlangt, um diesen Ring gräßliche Jammertöne ausstößt, und dieses umgehende Gespenst ist doch durchaus kein anderer Geist, als der des Vaters Ihrer Gattin? Und auch diese wüßte von dem Allen nichts?“

„Mein Erstaunen steigt mit jedem Worte, das ich weiter von Ihnen vernehme. Ich darf mit Bestimmtheit annehmen, daß auch meine Frau nichts von allen diesen Dingen weiß, sonst hatte sie mir ganz gewiß Mittheilungen darüber gemacht.“

„Aber wie sind Sie denn in Besitz dieses Ringes gekommen? Doch wohl auf keinen Fall anders, als durch Erbschaft Ihrer Gattin von Ihrem Großvater, Herrn von Holdrat?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_143.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)