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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

einer Holzkohle durch die Löthrohrflamme erhitzt wird, wobei sich bei Gegenwart von Blei dieses ebenfalls als Metallkorn abscheidet. Das auf die eine oder die andere Weise erhaltene Metallkorn wird nun mit Essig erhitzt, um in der gebildeten Lösung durch Schwefelwasserstoff und Schwefelsäure nachzuweisen, daß es wirklich Blei sei.




Die Franke’schen Stiftungen in England.

In dem rauchigen Halle an der grünen Saale mit den reizenden Giebichensteiner Felsenpartien und den Wittekind-Bädern im Norden und der gemächlich düstern Rabeninsel im Süden und manchen Reizen ringsherum, mit seiner „Natur“ sogar im Innern, seiner alten Universität und seinen vielen honorigen Philistern, die den Studenten zu meiner Zeit ganze halbe Jahre lang und gelegentlich noch länger „pumpten“, dehnt sich auch auf einer südlichen Anhöhe der Vorstadt Glaucha eine geschlossene Doppelreihe von langen hohen Palästen aus mit drei großen, weiten Gärten, Parken, Spiel- und Turnplätzen auf der Südseite, die uns aber oft nicht weit genug waren, so daß wir manches liebe Mal mit katzenartiger List und Geschicklichkeit über die drei Jungen hohe Grenzmauer kletterten, um auf gefährlichen Umwegen nicht in’s Freie, sondern zum Conditor oder wohl gar zu einer „Stange Lagerbier“ und sonstigen Genüssen des Verbotenen zu gelangen. Wenn man eine hohe breite Dpppeltreppe hinauf durch das imposante Front- und Vordergebäude zwischen der Apotheke und der Buchhandlung, dem „Klingelmann“ links (mit einer zu unserer Zeit sehr beliebten Obstfrau vor dessen Thür) und dem Nachtwächter rechts in den weiten, geraden „Vorderhof“ hineintritt auf die „breiten Steine“, wo damals nur die Primaner in den „Zwischenstunden“ und „vor dem Speisesaale“ auf- und abgingen, und jeder niedriger Sitzende unbarmherzig davon weg „gerempelt“ ward – welch’ ein heiterer, grandioser Anblick! Kein Königs- oder Kaiserschloß hat einen so heitern, luftigen Vorderhof. Und das Wasser, das stets oben rechts im „Röhrkasten“ rauscht und spät Abends im Mondschein beim ersten, verbotenen Schiller-Lesen oder den ersten Versuchen, ein erstes, aufkeimendes Ideal in Verse zu bringen, bei dem Genuß der grimmig verbotenen „Pfeife“ und sonstigen Allotriis gar hippokrenisch hereinklang, dieses Wasser war auch sehr gut zum gemeinen Trinken und zum verbotenen Kaffeekochen. Ja, es gab oft feierliche Gelegenheiten, wo wir dieses herrliche Wasser mit Rum und Zucker zu veredeln gedachten, wie wir uns überhaupt während der sieben Jahre unseres Lernens in diesen heitern weiten Stiftungen mit nichts so gern abgaben, als mit verbotenen Dingen. Auch erinnere ich mich kaum, daß wir uns sehr mit Lernen geplagt hätten. Aber endlich sprachen wir doch Latein wie Wasser, konnten den halben Homer auswendig, wußten in Athen und Rom Bescheid, wie in Halle, und kannten sogar die Stelle, wo der rührend beschriebene sterbende Hund des Odysseus gelegen, als er dem alten, edeln Herrn, nachdem er die Städte so vieler Menschen gesehen und ihren Sinn erkannt, die Hand leckte zum Willkommen auf seiner Insel Ithaka. Niemand erkannte ihn, selbst nicht seine treue Penelope, nur der alte treue Hund rafft sich noch einmal auf, nur er erkennt ihn, leckt ihm die Hand und stirbt.

Wo seid ihr geblieben, schöne, „pennalische“, jugendübermüthige Tage mit allen den vielen Namen, Zahlen, Sprachen und Hoffnungen, wo alle die jugendlichen Schaaren, die damals mit mir so lebenslustig auf- und abtollten? Aber die Franke’schen Stiftungen sind geblieben, die großartigste pädagogische Waisen- und Gvnmasialanstalt der Welt. Da steht der Stifter noch in Metall in der Mitte oben mit den beiden in der ganzen Welt auf den Köpfen der Gypsfigurenhändler umhergetragenen Waisenknaben, da steht er noch, nachdem ich ihn vor beinahe dreißig Jahren einweihen half. Neben mir stand bei der Einweihung ein eckiger, unbeholfener Junge, der immer nicht so recht hatte „mitmachen“ wollen, träumerisch vor sich hinging und weinend die Hände faltete, als der Director Niemeyer nach seiner Rede winkte, das Standbild Hermann Franke’s mit seinen beiden classischen Waisenknaben in seinen Stiftungen zu enthüllen. Einige hänselten ihn nachher damit, er kehrte ihnen aber stets den Rücken und ging seinen eigenen Weg weiter, mit diesem größten Helden des Glaubens, Hermann Franke, im Herzen, um seinen damals Wurzel schlagenden Entschluß, von demselben Franke’schen Capitale ähnliche Franke’sche Stiftungen aufzurichten, in England auszuführen.

Dieses Capital – es bestand bei Hermann Franke in sechzehn Groschen und Glauben, und bei Georg Müller, dem Hermann Franke Englands, in noch weniger Groschen – bedarf in unsern Tagen vielen „aufgeklärten“ Leuten gegenüber einer Art von Entschuldigung, wenn man etwas zu dessen Gunsten sagen will. Der Eine betet zu Brahma, der Andere zu Jehova, der Dritte zu Allah, der Vierte direct zur Sonne, Andere zu einem lieben himmlischen Vater, zur Jungfrau Maria u. s. w., noch Andere kommen mit einem Gott in ihrer eigenen Brust, mit ihrem ausgebildeten Ehrgefühl, mit Selbstachtung, mit Ideen von Menschenwürde, Humanität und Mitgefühl, mit dem Gedanken an die letzten Ermahnungen und Thränen einer edeln, unvergeßlich geliebten Mutter, der Liebe zu Weib und Kind u. s. w. aus.

Das sind Alles Religions- und Glaubensformen, die auf unsere Achtung Anspruch haben, wenn sie nur für die Gesammtheit der bürgerlichen Gesellschaft gute Früchte tragen, ohne daß wir nöthig haben, diese Formen als unsern Vorstellungen entsprechende, wahre, richtige anzuerkennen. Und wie die, welche die Gottessubstanz in Kraft, Stoff und Stoffwechsel auflösen, heut zu Tage wenigstens nicht mehr verbrannt werden, wollen wir auch die Streng-Gläubigen nicht mehr kreuzigen, und uns am allerwenigsten die Freude an Schöpfungen verderben, denen Tausende und aber Tausende ihre Erziehung, ihre classische und praktische Bildung, ihre Tüchtigkeit in diesem Leben voller Eisenbahnen, Telegraphen, Polizeivorschriften, Wechselrittern und Staatssupernumerarvicehämorrhoidarien verdanken, an solchen Schöpfungen, wie denen Hermann Franke’s und Georg Müller’s.

Es bedarf in unserm „aufgeklärten“ Jahrhundert wohl keiner besondern Versicherung und keines speciellen Nachweises mehr, daß sowohl der Erstere, wie der Letztere und Alle, die in Glaubensechtheit irgend einer Art – dies ist besonders Angesichts edeln weiblichen Geschlechts gesagt – Gutes und Schönes fühlen, denken und thun, auch in dieser Form ihre Stiftungen, Schöpfungen und Thaten wesentlich ihrer eigenen Energie und Ausdauer verdankten. Wir dürfen namentlich bei Beurtheilung Müller’s in England nicht vergessen, daß ungemein viel wohlthätige Stiftungen nur durch freiwillige Beiträge geschaffen und erhalten werden, insofern deren Stifter u. s. w. sich an die stereotypen Glaubensvorstellungen anlehnen. Wir haben Grund, zu glauben, daß G. Müller sich des energisch und ausdauernd verfolgten, edeln, praktischen Zweckes willen auf diese Vorstellungen stützte und daß ihm unter dieser Form die bedeutenden Summen für denselben freiwillig zuflossen.

Georg Müller, das ist der eckige, träumerische Junge, der vor beinahe 30 Jahren bei der Enthüllung des Franke’schen Denkmals betend, mit gefalteten Händen, weinend neben mir stand und dann (ich glaube 1830) nach England mitten unter Eisenbahnschwindel, Krämer- und Diplomatenpolitik hinüberging, um sich zunächst sein Herz beinahe zerbrechen zu lassen über das namenlose Elend und die Verwahrlosung, worin arme und verwaiste Kinder hier zu Tausenden aufwachsen oder noch öfter materiell und moralisch umkommen. „Dann erhob ich mich,“ sagt er in seinem jetzt erschienenen, merkwürdigen Berichte[1], „und begann den Gottesdienst, für verwaiste Kinder zu sorgen, denen Niemand Elternstelle vertritt, am 9. December 1835.“

Ohne Lebensmittel für sich selbst, miethete er ein Haus für solche Kinder in Wilsonstreet, London, dann vier Häuser neben einander für 120 bis 150 Waisen. Mancher muß sich Plagen, um

  1. „A Narrative of some of the Lord’s Dealings with George Muller.“ („Eine Erzählung von einigen Verhandlungen des Herrn mit Georg Müller.“) London: Nisbet and Co. – ein echter Tractätlein-Titel, hinter welchem aber nur schöne, edele Thaten des Erbarmens und praktischer Humanität aufblühen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_136.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)