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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Ha, die freche Person!“ rief sie.

Dann wurde aber auch sie leichenblaß.

„Was hat sie von dem Prinzen gesagt?“ fragte sie dringend, heftig, unruhig. „Was soll er ihr bezeugen?“

„Ich erwartete von Ihnen Auskunft darüber.“

„Von mir? Sie hat also noch nichts gesagt?“

„Können Sie mir in der That keine Auskunft geben?“

Sie sann über etwas nach.

„Nein,“ sagte sie dann schnell. „Mein Herr, ich empfehle mich Ihnen.“

Ehe ich weiter ein Wort an sie richten konnte, war sie zur Thüre hinaus.

Auch diese Frau so aufgeregt, blos bei der Nennung jenes Namens!

Eins glaubte ich klar zu sehen: eine weibliche Herzenseifersucht war im Spiele.

Desto neugieriger war ich auf die Lösung der übrigen Räthsel durch den Mund des Prinzen.

Ich sollte auf sie verzichten.

Noch an demselben Abende wurde mir durch den Präsidenten des Criminalgerichts ein Cabinetsschreiben zugestellt, welches kurz den Befehl enthielt:

„Das Verfahren gegen die Rosalie Heisterberg wegen Diebstahls wird niedergeschlagen. Die Angeschuldigte ist Angesichts dieses aus der Haft zu entlassen.“

Ich vollzog auf der Stelle die Entlassung der Angeschuldigten.

Amtlich hatte ich keine Veranlassung, sie noch zu sprechen. Außerordentlich mochte ich es um so weniger, als es wie eine unpassende Neugierde ausgesehen hätte. Wollte sie mich sprechen, etwa in Beziehung auf die Begünstigungen, die ich ihr während ihres Arrestes hatte zu Theil werden lassen, so konnte sie sich zu mir führen lassen; ich war auf dem Criminalgerichte.

Sie kam nicht zu mir.

Ich hörte auch längere Zeit nichts wieder von ihr.

Die Residenz hatte sie sofort am folgenden Morgen verlassen.

Auch die Frau von Waldheim hatte ich später nicht wieder gesehen; und gehört habe ich nur von ihr, daß sie bald nach jenen Begebenheiten gleichfalls die Residenz verlassen habe, aus welcher Veranlassung, ist mir nicht bekannt geworden.

Gleichwohl sollte ich später über Manches noch Auskunft erhalten. Zuerst Folgendes:

Die Heisterberg hatte die Bücher, welche am Morgen nach ihrer Verhaftung jener kränkliche junge Mensch mir für sie übersandt hatte, bei ihrer Entlassung durch den Gefängnißinspector zu mir in meine Wohnung geschickt, mit dem Bemerken, sie würden von mir abgeholt werden. Sie waren nicht abgeholt worden.

Ich hatte auch durch mehrfache Erkundigungen, die ich freilich nicht mehr amtlich und nur noch unter der Hand anstellen konnte, von dem jungen Mann nichts weiter in Erfahrung gebracht.

So war etwa ein Vierteljahr nach jener Untersuchung verflossen, als ich eines Tages den Besuch einer entfernten Verwandtin aus der Provinz erhielt. Es war eine ältliche Dame. Sie war in tiefer Trauer, denn sie war vor wenigen Wochen nach der Residenz gekommen, um nach kurzem Wiedersehen ihren einzigen Sohn zu begraben, der hier seinen Studien gelebt hatte und an der Auszehrung gestorben war. Sie besuchte mich hauptsächlich in der Absicht, bezüglich einiger seinen Nachlaß betreffenden Punkte meinen Rath einzuholen.

Während der Unterhaltung hatte sie zufällig einen Blick auf jene Bücher geworfen, die uneingepackt in meiner Stube auf einem Tische lagen. Sie hatten alle den gleichen Einband.

Sie wurde unruhig, stand auf und besah die Bücher näher. Sie öffnete eins, ein zweites, die andern und sah vorn nach dem Blatte, auf welchem der Name des Eigenthümers zu stehen pflegt. Das Blatt war aus allen Büchern herausgeschnitten.

„Wie kommen die Bücher hierher?“ fragte sie mich.

„Sie kennen sie?“

„Wenn mich nicht Alles täuscht, so haben sie meinem verstorbenen Sohne gehört. Er hat sie von Hause mit hierher genommen.“

„Wie sah Ihr Sohn aus?“

Sie beschrieb mir ganz den jungen Mann, der am Abend der Verhaftung der Heisterberg bei mir gewesen war.

Ich erzählte ihr, wie die Bücher zu mir gekommen waren. Es war kein Zweifel mehr, jener junge Mann war ihr verstorbener Sohn gewesen.

Und –

Der Sohn hatte der Mutter noch kurz vor seinem Tode ein Geheimniß entdeckt.

Wie die meisten Schwindsüchtigen, hatte er, je näher dem Tode, je mehr Lebenszuversicht gehabt. Alle seine Gedanken waren auf eine theure Geliebte gerichtet gewesen. Rosa von Heisterberg hatte sie geheißen. Er hatte sie mit der heißesten Liebe geliebt. Sie hatte ihn geliebt. Ihre Liebe habe, durch eigenthümliche Verhältnisse der Geliebten, die er auch der Mutter nicht entdecken dürfe, vor der Welt ein Geheimniß bleiben müssen. Die Geliebte habe ihm deshalb, nachdem sie plötzlich die Residenz verlassen, nicht einmal Nachricht von sich geben dürfen. Aber binnen Jahresfrist noch werde er, ihrem festen Versprechen gemäß, Briefe von ihr erhalten, und die Erlaubniß, zu ihr zu kommen, um sich auf immer mit ihr zu verbinden.

Das erzählte mir die Mutter; mehr wußte sie nicht.




Zwei Jahre später erhielt ich eines Tages ein Schreiben mit dem Poststempel Amsterdam. Ich öffnete es. Es war aus Batavia und mußte von dort in einem Paquet nach Amsterdam geschickt sein, um es hier an mich auf die Post zu geben.

Es war „Rosa Heisterberg“ unterzeichnet. Ich erkannte ihre Schrift. Eine schwache, vielleicht zitternde Hand hatte sie geschrieben. Das Schreiben lautete:

 „Mein Herr!

„Ich schreibe Ihnen aus meiner Heimath. Hier, wo meine Wiege stand, werden sie mir in wenigen Tagen auch mein Grab graben. Die Krankheit dieses Klima’s rafft mich dahin.

„Aber ich kann nicht scheiden, ohne eine schwere Pflicht erfüllt zu haben. Theils legt die Dankbarkeit mir diese auf; Sie, mein Herr, haben in schweren Stunden mir wohlgethan, während ich Sie betrog, mich nicht einmal verdammt, während ich selbst mich verdammen mußte. Noch mehr fordert mein Gewissen ein Bekenntniß der Wahrheit von mir.

„Mein Vater war hier einst ein sehr reicher und sehr angesehener Kaufmann. Ich genoß, bei glücklichen Anlagen und großem Lerntrieb, eine ausgezeichnete Erziehung hier, später in einer Pension zu Paris. Als ich hierher in mein elterliches Haus zurückgekehrt war, starb bald nachher meine Mutter, dann mein Vater. Mein Vater starb arm. Großer Aufwand einerseits und unglückliche Speculationen andererseits hatten ihn banquerott gemacht.

„Ich war an ein großartiges Leben gewöhnt. Ich hatte meine Zukunft nur voll glänzender Aussichten geträumt. Auf einmal war ich eine Bettlerin und in dem Lande, in dem nur Geld einen Werth hat, eine verachtete Bettlerin. Als solche wollte eine hochmüthige Tante mich aufnehmen. Ich konnte nicht hier bleiben. Meine ehrgeizigen Pläne, jetzt gebaut auf meine Gestalt, meine Kenntnisse und besonders auf die Unbekanntschaft mit meinen Verhältnissen überall anderswo als auf Java, trieben mich wieder nach Europa. Ich suchte dort mein Glück. Aber ich hatte nicht auf die Wahrheit und auf ein einfaches, reines Herz gerechnet. Ich fand keine Existenz, als die einer fahrenden Abenteurerin.

„Als solche kam ich auch nach –. Nicht ohne Absicht. Ich hatte von dem Prinzen Ottokar gehört, daß er ein liebenswürdiger Mann mit einem leicht entzündlichen Herzen sei. Ich dachte nicht an die Anknüpfung eines ehrlosen Verhältnisses, aber ich leugne es nicht, ich wollte Eindruck auf ihn machen und durch ihn mir eine Stellung in der Gesellschaft erringen. Um in seine Nähe zu kommen, trat ich als Gesellschafterin in das Haus der Frau von Waldheim. Ich entdeckte hier bald ein geheimes Verhältniß zwischen dem Prinzen und der Waldheim. Mein Verlangen, den Prinzen zu fesseln, wurde dadurch um so lebhafter. Es gelang mir. Der Prinz durfte mit der Waldheim nicht sogleich brechen, Sie ahnte gleichwohl. So wurden wir Rivalinnen, die eine der andern den Rang abzulaufen suchten, die sich auf den Tod haßten, die sich gegenseitig vernichten mußten.

„Zur Durchführung meiner Rolle gehörten mehr Mittel, als mir rechtmäßig zu Gebote standen. – Ich wurde Verbrecherin, gemeine Verbrecherin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_127.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)