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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hell und wild aufflammenden Blicke in das Auge, als wenn die Frage auf einmal einen entsetzlichen, kaum zu fassenden Gedanken in ihr geweckt hätte.

„Wie?“ rief sie dann heftig. „Auch ihre Juwelen soll ich ihr gestohlen haben? Auch das hat diese Frau zu behaupten gewagt? Auch dazu hatte sie die Frechheit? Antworten Sie mir, mein Herr, antworten Sie!“

Ihr Gesicht war leichenblaß geworden. Sie zitterte; aber vor Zorn, vor wilder Leidenschaft, vor Wuth.

Das waren keine Aeußerungen eines schuldbewußten Gewissens. Ich hätte in diesem Augenblicke auf ihre Unschuld schwören mögen.

Ich mußte meine ganze Inquirentenkälte zusammennehmen.

„Ja, die Frau von Waldheim beschuldigt Sie, ihr den größten Theil ihrer Diamanten entwendet zu haben.“

Auch sie hatte sich, und gewiß nicht ohne große Anstrengung, wieder gefaßt. Ruhig sagte sie:

„Erzählen Sie mir, mein Herr, was sie gesagt hat.“

Ich fuhr in meinem Verhöre fort:

„Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet. Kannten Sie den Juwelenschmuck der Frau von Waldheim?“

„Ja, mein Herr.“

„Wo hielt sie ihn verwahrt, wenn sie ihn nicht trug?“

„In dem Wandspinde ihrer Schlafstube.“

„Haben Sie selbst ihn dort gesehen?“

„Oft genug. – Aber, mein Herr, wozu sollen wir diese Komödie noch länger fortsetzen? Sie mögen nach Ihrer Inquirentenmaxime nicht sofort und geradeaus zu Ihrem Ziele vorangehen wollen oder dürfen. Mich hindert nichts, Ihnen ohne Weiteres die Wahrheit zu sagen. Und sie ist diese: Die Frau von Waldheim liebt den Aufwand. Sie liebt ihn über ihre Kräfte und ist nicht vermögend. Ihre Pension ist unbedeutend; dies ist bekannt. Sie war ein armes Fräulein; auch das ist bekannt. Sie hat ausgestreut, von ihrem verstorbenen Manne ein ansehnliches Vermögen geerbt zu haben. Sie hat nur wenig geerbt; das aber ist nicht so bekannt. Ihr Aufwand hat schon lange den größten Theil ihres Vermögens verzehrt. Ihr Ehrgeiz, ihr Hochmuth leiden nicht, ihn zu beschränken. Sie kann es auch aus einem anderen Grunde nicht. Die Thörin verfolgt einen Plan –“

Sie stockte plötzlich, aber mit einem Blicke, in dessen Brennen sich der tiefste Haß, die tödtlichste Feindschaft zeigte.

Welches Geheimniß lag zwischen diesen beiden Frauen?

„Fahren Sie fort,“ forderte ich sie auf.

„Ich werde. Nach ihrer Rückkehr von Louisenhof war sie in großer, dringender Geldverlegenheit. Sie sagte es mir nicht; aber sie erhielt versiegelte Billete, die wie Rechnungen, wie Mahnbriefe aussahen und die sie auf das Sorgfältigste vor mir zu verbergen suchte. Sie war in auffallender Verlegenheit, in großer Verstimmung. Schon am dritten Tage mußte sie mich zu ihrer Vertrauten machen, freilich in ihrer falschen, hinterlistigen, heuchlerischen Weise. Sie habe von einem theuern Verwandten die Nachricht erhalten, daß er eine besonders vortheilhafte Gelegenheit habe, sein Gut durch einen bedeutenden Zukauf zu verbessern; es fehlen ihm dazu nur einige Tausend Thaler. Er sei sie angegangen, ihm das Geld in der Residenz zu verschaffen, und sie habe sich entschlossen, selbst es ihm vorzuschießen. Sie habe nun zwar nicht die baaren Mittel liegen; aber ihr Schmuck liege als völlig zinsloses, todtes Capital da; falsche Steine thäten dieselben Dienste; drei Viertel der Damen am Hofe trügen falsche Steine, warum nicht auch sie? Es komme nur darauf an, daß die falschen Steine für echte gehalten werden, und dazu sei erforderlich, daß ihr Schmuck äußerlich ganz der bisherige bleibe und die neue Fassung für Jedermann ein Geheimniß sei. Dazu solle ich ihr behülflich sein. Sie selbst sei in der Residenz bekannt, auch bei den Juwelieren; mich aber kenne Niemand. Ich möge daher mit den einzelnen Stücken ihres Schmuckes zu verschiedenen Juwelieren gehen und unter Vorbringen von Märchen über Noth, Ehrenschulden und so weiter das Herausnehmen der echten Steine und die Wiederherstellung der Schmucksachen in ganz gleicher Fassung wie bisher durch falsche Steine veranlassen.

„Mein Herr, dies habe ich gethan. Ich habe ihr die alten, echten Steine zurückgebracht; sie hat durch mich ihren Schmuck mit den neuen, falschen Steinen zurückerhalten. Und nun – nun will sie mich zur Diebin ihrer Juwelen machen? Nun soll ich ihr ihre Steine gestohlen haben? Ich weiß nicht, soll ich auch dies mehr empörend oder mehr lächerlich nennen?“

Da war jene Eventualität da, an die ich gedacht hatte.

Ich hatte aber auch jenes Licht, das sie mir bringen mußte. Eine von den beiden Frauen mußte nothwendig eine durchaus verworfene Person sein, entweder die Angeklagte oder Anklägerin, bei der hier blos von einem falschen Verdachte gegen jene nicht mehr die Rede sein konnte.

Allein welche von ihnen war es?

Die Frau von Waldheim hatte ihre Anklage mit dem vollen Tone, mit dem ganzen Wesen der Wahrheit vorgebracht.

Die Angeschuldigte hatte nicht minder ihre Vertheidigung mit einer Ruhe und mit einer Sicherheit geführt, daß man zu der Ueberzeugung von der Wahrheit ihrer Worte mit einer fast nicht zurückzuweisenden Gewalt gezwungen wurde.

Und dennoch mußte nothwendig eine von diesen Aussagen unwahr, falsch, erlogen sein!

Es mußte ein anderer, äußerer Beweis herbeigeschafft werden. Aber wie und von wem?

Die Aussagen der Juweliere waren dafür unerheblich. Sie konnten nur bestätigen, und sie hatten schon bestätigt, was beide Theile angegeben hatten, ohne in die eine oder andere Wagschale ein schwereres Gewicht zu legen.

Der sogenannten moralischen, rein menschlichen, lediglich den einzelnen Fall mit seinen Persönlichkeiten und Haupt- und Nebenumständen festhaltenden Ueberzeugung gegenüber, konnte der Fall so liegen, daß jeder Theil seine Angaben zu beweisen habe und bis dahin keine von ihnen als wahr angenommen werde. Vor der richterlichen Beweistheorie war jedoch die Angeklagte, welche fremdes Eigenthum unter unwahren Angaben und heimlich producirt und dann wieder eben so in ihren Besitz genommen hatte, zunächst in der Lage, die Rechtmäßigkeit ihrer an sich als ungerechtfertigt sich darstellenden Handlungen, also die Wahrheit ihrer Aussage nachzuweisen; allerdings nicht zum directen Beweise ihrer Unschuld, aber zur Vernichtung des durch die vorhandenen Thatsachen selbst einmal gegen sie begründeten Verdachts. Ich eröffnete ihr das.

„Fräulein, haben Sie Beweismittel für die Wahrheit Ihrer Behauptungen?“

„Kann die Majorin vorher ihre Behauptungen beweisen?“ fragte sie zurück.

„Die Sache steht für die Majorin anders, als für Sie.“

„Ich wäre begierig.“

„Sie sind im Besitze fremder Sachen gewesen, ohne beweisen zu können, daß Sie diesen Besitz in redlicher Weise erlangt hatten.“

„Man beweise mir den unredlichen Erwerb.“

„Die Majorin wird beschwören, daß jene Sachen ihr ohne ihr Wissen und Wollen entkommen, also entwendet sind.“

„Das kann sie nicht.“

„Sie hat sich schon bereit dazu erklärt. Sie wird es, mit Uebereinstimmung des Gesetzes.“

„Sie wird falsch schwören.“

„Sie ist eine unbescholtene Frau. Ihr Eid wird beweisen, daß die Steine ihr wirklich gestohlen sind; so bestimmt es ausdrücklich das Gesetz. Dann bildet, gleichfalls nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes, der Besitz des gestohlenen Gutes ein dringendes Anzeichen des Diebstahls gegen Sie, bis zu jenem Nachweise des ehrlichen Erwerbes. Zu diesem Anzeichen kommen die an sich gleichfalls erwiesen unwahren Angaben, die Sie selbst den Juwelieren über den Besitz der Sachen gemacht haben, bis Sie wiederum den Beweis liefern können, daß Sie diese Unwahrheiten nur im Einverständniß mit der Frau von Waldheim vorgebracht haben. – Ueberzeugen Sie sich, daß die Sache anders für Sie und anders für die Frau von Waldheim steht?“

Sie war schon längst überzeugt. Man sah es ihr an, wie sie leichenblaß, in tiefes, unruhiges Grübeln versunken da saß und mir kein Wort erwidern konnte.

Ich mußte mit unerbittlicher Strenge fortfahren.

„Damit bringen Sie, ebenfalls nach der ausdrücklichen Aufforderung des Gesetzes, in Verbindung, daß Sie selbst, theils durch Ihre geheimnißvollen Erzählungen über Ihre früheren Lebensverhältnisse, theils durch Ihre hartnäckige Weigerung, auch jetzt noch über diese Auskunft zu geben, den Verdacht einer vagirenden Abenteurerin, auf der vielleicht gar Verbrechen haften, der man jedenfalls wenig Glauben schenken kann, gegen sich erweckt haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_125.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)