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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Sie fragten mich schon heute Morgen so.“

„Und Sie bejaheten meine Frage.“

„So ist es.“

„Auch dieser Paß nennt Sie so.“

„Ich weiß es.“

„Aber er ist verfälscht.“

„Ich glaube nicht.“

„Ueberzeugen Sie sich selbst.“

Ich bezeichnete ihr die gefälschte Stelle. Sie lächelte unbefangen.

„Nun?“

„Das Wörtchen von ist später zugeschrieben.“

„Gewiß.“

„Von wem?“

„Einfach von dem guten alten Herrn selbst, der den ganzen Paß geschrieben hat. Er hatte in der Zerstreuung Rosalie Heisterberg geschrieben. Als er das Geschriebene durchlas, überzeugte er sich von dem Fehler. Ich legte kein Gewicht darauf. Aber er bestand darauf, den Paß so zu ändern, wie Sie ihn hier sehen, schon darum, weil die Beglaubigung meines Standes mir eine bessere Aufnahme in meiner neuen Stellung verschaffen werde. Ich konnte ihm nicht wehren.“

„Sie erzählen,“ erwiderte ich ihr, „allerdings mit einem gewissen Scheine von Glaubwürdigkeit. Allein, da Sie einmal von einem Passe Gebrauch gemacht haben, der offenbare Spuren einer Fälschung an sich trägt, so werden Sie den Beweis liefern müssen, daß eine Fälschung in der That nicht vorhanden sei. Jene Erzählung ersetzt diesen Beweis nicht.“

Sie blieb ruhig.

„Der Gesandte ist todt, mein Herr. Ich weiß, wie diese einfache Thatsache gegen mich sprechen kann. Sie kann aber auch eben so viel zu meinen Gunsten wiegen. Bei richtiger Erwägung aller Umstände wird es indessen gar nicht darauf ankommen können. Ich habe sofort diesen Paß, so wie er hier vor Ihnen liegt, der Polizei übergeben. Würde ich dies, wenn er gefälscht war, bei Lebzeiten des Gesandten gewagt haben?“

Auch darin hatte sie Recht.

Mein resultatloses Verhör war zu Ende. Ich erklärte ihr, daß ich sie bis zur Erschöpfung der sämmtlichen Beweismittel noch einstweilen in Haft behalten müsse.

Sie hörte mich mit der größten Ruhe an. Sie sah auf die Bücher, die für sie da lagen.

„Sie werden mir doch diese Bücher mit in meine Haft geben?“ fragte sie.

„Gewiß.“

„Werden Sie mir auch eine zweite Bitte gewähren?“

„Wenn ich darf, gern.“

„Ich bitte um Schreibmaterial.“

Ich konnte ihr diese Bitte nur ausnahmsweise, auf meine Verantwortung gewähren. Ich zögerte einen Augenblick.

„Ich werde keinen unerlaubten Gebrauch von Ihrer Erlaubniß machen,“ fuhr sie fort. „Sie können mich controliren. Ich werde Ihnen jede Zeile vorzeigen, die ich geschrieben habe.“

Ich genehmigte ihre Bitte. Und nun war sie auf einmal wieder glücklich wie ein Kind.

„O, mein Herr, wenn ich schreiben und lesen kann, dann können Sie – ja wahrhaftig, dann können Sie mich noch ein ganzes Vierteljahr in Ihrer Haft behalten. Darf ich?“

Sie zeigte nach den Büchern, ob sie sie gleich mitnehmen dürfe?

Ich bejahete.

Sie nahm sie unter den Arm, so viel sie tragen konnte. Die andern ließ ich ihr durch den Gefangenwärter nachtragen.

So entfernte sie sich, triumphirend, glücklich.

War sie eine Verbrecherin? Konnte sie es bei solchen Gefühlen sein? War das Alles Verstellung?

Am unklarsten war mir das eigenthümliche Verhältniß, in welchem sie nothwendig zu der Frau von Waldheim stehen mußte. Sie hatte einen wahrhaft feindseligen Haß gegen diese Frau. Einzelne Aeußerungen hatten offenbar gezeigt, daß dieser Haß älter als seit gestern war, daß er auch auf etwas ganz Anderes, als die Diebstähle sich bezog. Beides hatte ich auch aus den Worten der Frau von Waldheim entnehmen müssen, die ihrerseits von nicht minder lebhafter Abneigung gegen die Angeschuldigte erfüllt war. Dennoch hatten die Beiden bis zu dem letzten Tage, bis gestern, in einem äußerlich freundlichen Verkehre mit einander gestanden, sich sogar gegenseitig besucht. Was lag da vor?

Ich vernahm am folgenden Tage die Domestiken der Frau von Waldheim, ferner die Generalin und deren Dienerschaft. Ich erhielt nicht die geringste neue Auskunft; nur überall Bestätigungen dessen, was schon zu den Acten gebracht war.

Eben so konnte die Polizei mir zu dem bereits Bekannten keine neuen Momente liefern. Auch eine nochmalige genaue Durchsuchung der Sachen der Angeschuldigten hatte nichts Verdächtiges gebracht. Selbst die Nachforschungen nach dem unbekannten jungen Manne waren vergeblich gewesen.

Ich war im Begriffe, die Angeschuldigte ihrer Haft zu entlassen und dem Criminalgericht, nach dessen einmal bestehender, allerdings nicht zu billigender Praxis, die Acten zur einfachen Zurücklegung einzureichen. Auf einmal, schon am frühen Morgen, dem dritten nach der Verhaftung der Heisterberg, kam die Majorin von Waldheim bei mir vorgefahren. Sie war in großer Aufregung.

„Jetzt kann ich die Diebin vollständig überführen. Die Person hat mich entsetzlich bestohlen. Fast mein ganzer Juwelenschmuck ist fort.“

Sie mußte sich zusammennehmen, bevor sie im Zusammenhange erzählen konnte. Sie gab dann unter dem wiederholten Erbieten zur eidlichen Erklärung folgende Thatsachen zum Protokoll:

Sie hatte einen nicht unbedeutenden Schmuck. Derselbe war, wenn sie ihn nicht gebrauchte, in jenem Wandspinde in ihrer Schlafstube verwahrt, zu welchem der Schlüssel in dem mittleren Fache des Schreibsecretairs in der Wohnstube lag. Sie hatte den Schmuck in neuerer Zeit selten getragen, seit ihrer Rückkehr von Louisenhof, wohin sie ihn mitgenommen hatte, gar nicht. So war es gekommen, daß sie wenig auf ihn geachtet hatte. Dies auch nicht in der ersten Zeit nach der Verhaftung der Heisterberg, zumal da sie bei der Entdeckung des zweiten Gelddiebstahls das Spinde unberührt und auch namentlich die Juwelen darin, wie sie meinte, unversehrt gefunden hatte. Eine eigenthümliche Unruhe hatte sie am gestrigen Abende zur nähern Besichtigung ihres Schmuckes veranlaßt, und nun hatte sie zu ihrem Schrecken entdeckt, daß in einem großen Theile desselben sich nur falsche Steine ohne allen Werth befanden, durch welche die herausgenommenen echten, mitunter sehr werthvollen Steine ersetzt waren. Die falschen Steine waren völlig kunstgemäß eingesetzt und gefaßt, so daß der Schmuck täuschend dem echten glich, und nur ein Kenner die Fälschung entdecken konnte. Die Majorin war Kennerin. Sie war so sehr Kennerin, daß sie bei genauerer Betrachtung an der Fassung eines der gefälschten Stücke den Juwelier erkannte, durch den sie geschehen sein müsse. Ihr Verdacht fiel sofort auf die Heisterberg. Sehr natürlich. Hatte sie einmal diese wegen der anderen Diebstähle in Verdacht, so konnte sie auch den jetzt entdeckten nur ihr vorwerfen. Sie fuhr auf der Stelle zu dem Juwelier, sie zeigte ihm den Schmuck, den er nach ihrer Meinung gefaßt haben sollte. Er hatte ihn gefaßt.

„Auf wessen Bestellung?“

„Eine fremde junge Dame brachte mir den Schmuck mit den echten Steinen und verlangte die Einsetzung und Fassung falscher, aber so, daß die Aehnlichkeit mit den echten eine täuschende sei.“

„Wann war das?“

„Vor etwa fünf Wochen.“

„Wie sah die Dame aus?“

Der Juwelier beschrieb genau die ehemalige Gesellschafterin der Majorin.

„Nannte sie sich?“

„Sie verweigerte die Nennung ihres Namens und die Angabe ihrer Verhältnisse. Sie gab einen plausiblen Grund dafür an. Der Schmuck gehöre ihrer Familie; ihre Mutter sei in großer Geldverlegenheit; es handle sich um eine Ehrenschuld, deren Berichtigung nicht aufgeschoben werden könne. Weder ihr Vater, noch die Gesellschaft, in der ihre Mutter erscheinen müsse, dürfe die echten Steine bei ihr vermissen. Die Dame gehörte nach ihrer ganzen Erscheinung unstreitig den höheren Ständen an. Aehnliche, in voller Wahrheit beruhende Mittheilungen waren mir schon oft gemacht. Ich hatte nicht die geringste Veranlassung, an der Richtigkeit auch dieser Angabe zu zweifeln, und die verlangte Arbeit abzulehnen.“

Dem Juwelier war in der That kein Vorwurf zu machen. Auch mir waren ähnliche Vorfälle bekannt. Wie viele falsche Steine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_123.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)