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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Umständen compromittiren darf. Darum auch ließ ich mich gestern in der ersten Ueberraschung verleiten, die Unwahrheit zu sagen.“

Sie sprach mit großer Festigkeit und Entschiedenheit. Ich konnte um so weniger eine weitere Auskunft von ihr erwarten, als ich diese unwillkürlich mit ihrem schon vorhin erwähnten Geheimnisse in Verbindung bringen mußte. Ich mußte ihr dennoch meiner Pflicht gemäß vorhalten:

„Fräulein, durch die Verweigerung einer Antwort auf meine Frage werden Sie, eben bei der unwahren Angabe, die Sie gestern und zwar wiederholt gemacht hatten, in sehr hohem Grade verdächtig.“

„Ich muß das auf mich nehmen, mein Herr.“

„Sie steigern den Verdacht gegen sich gar in einer Weise, daß Sie darum allein zu einer außerordentlichen Strafe verurtheilt werden können. Bedenken Sie das wohl, Fräulein.“

Sie wurde sehr blaß, aber sie antwortete mit voller Entschiedenheit:

„Ich müßte auch das auf mich nehmen. Aber, mein Herr, ich kann nicht schlecht handeln.“

Sie sprach die einfachen Worte in einer sehr edlen Weise aus. Man glaubte bis auf den Grund ihres Innern zu sehen, wie sie, um nur nicht andere Personen in eine Verlegenheit zu bringen, lieber unschuldig eine schwere Schuld, die Schuld eines gemeinen Verbrechens auf sich nehmen wollte. War dies Wahrheit, so war sie ein edles Herz. War es Verstellung, so war sie eine durch und durch verdorbene, vollendete Heuchlerin,

Ich war als Mensch, wie als Richter zweifelhaft, was ich glauben sollte.

„Mein Fräulein,“ fuhr ich in meinem Verhöre fort, „in derselben Zeit, während Sie gestern auf geheimnißvolle Weise aus Ihrer Wohnung abwesend gewesen sind, ist wiederum in dem Hause der Frau von Waldheim ein Diebstahl verübt, dessen Umstände auch Sie wieder verdächtig machen.“

Sie hatte ihre völlige Ruhe und Kälte zurückgewonnen.

„Außer jener übereilten Unwahrheit kein einziger, mein Herr.“

„Ich fürchte doch. Sie waren gestern zu Mittag bei der Frau von Waldheim?“

„Ja, mein Herr.“

„Erfuhren Sie von ihr, daß sie ausfahren wollte?“

„Ja. Sie wollte eine Freundin auf dem Lande besuchen.“

„Um welche Zeit wollte sie zurückkehren?“

„Gegen acht Uhr Abends.“

„Die Majorin ist gegen acht Uhr zurückgekehrt. Kurze Zeit vor ihrer Rückkehr haben ihre Domestiken, der Bediente und die Kammerjungfer, deutlich gehört, wie die Flurthür zugeschlagen worden ist. Die Domestiken waren allein zu Hause. Die Thür hatte im Drückerschloß gelegen. Der Drücker war im Besitze des Bedienten. War also ein Dritter im Hause gewesen, so hatte er nur auf unbefugte Weise, mittelst eines falschen oder eigenmächtig nachgemachten Drückers hineingelangen können. Das Zuschlagen der Thür zeigte aber nothwendig an, daß Jemand da gewesen war. Die Domestiken konnten zwar bei sofortiger Nachforschung nichts entdecken, aber die Nachsuchung der gleich nachher zurückgekehrten Majorin bestätigte den Verdacht, daß ein Dieb im Hause gewesen war. Der Schreibsecretair in der Wohnstube der Frau von Waldheim war mit einem Nachschlüssel geöffnet gewesen und bestohlen worden.“

Sie hatte mich mit ihrer vollen Ruhe und Kälte angehört.

„Es waren dreißig Gulden daraus entwendet,“ sagte sie, als ich meine Vorhaltung endigte. „So hat man mir gestern Abend gesagt. Und man hat hinzugesetzt, was auch Sie, mein Herr, mir jetzt wahrscheinlich noch werden vorhalten wollen, daß wieder nur ich die Diebin sein könne, weil ich die Gelegenheit des Hauses gekannt, weil ich mich leicht in den Besitz eines nachgemachten Drückers hätte setzen können, weil ich die Abwesenheit der Majorin und die Zeit ihrer Rückkehr gewußt, weil in dem Secretair auch der Schlüssel zu dem Spinde und in diesem noch mehr Geld und die Juwelen der Majorin gelegen und ein anderer, gewöhnlicher Dieb das genommen haben würde. Vielleicht hat man mir noch mehr gesagt, ich habe es vergessen. Vielleicht wissen Sie noch mehr.“

„Vorläufig nicht.“

„Ich darf mich also verantworten?“

„Sie dürfen.“

„Wohlan, mein Herr, lassen Sie uns dem Gange jener Indicien folgen. Daß auch andere Leute die Gelegenheit des Hauses kennen, darüber haben wir schon gesprochen. Dieselben Leute können ebensowohl unberechtigt im Besitz des Drückers gewesen sein. Die Abwesenheit der Majorin wußten auch ihre Domestiken, von diesen können es deren Bekannte weiter erfahren haben. Uebrigens fuhr sie noch bei hellem Tage aus; viele Menschen können das gesehen haben. Wenn die Diebe die Zeit ihrer Rückkehr nicht kannten, so brauchten sie nur eine Wache auf die Straße zu stellen. Daß sie dies wirklich gethan, dafür spricht sogar jenes Zuschlagen der Thür und Entfernen des Diebes so kurz vor der Rückkehr der Majorin. Glauben Sie, mein Herr, daß ich, wenn ich die Diebin gewesen wäre, bei meiner Kenntniß von der Zeit der Rückkehr der Frau von Waldheim mich bis so nahe vor dieser Rückkehr in ihrer Wohnung würde aufgehalten haben? Und wenn endlich der Umstand mich verdächtigen soll, daß nicht auch das Spinde bestohlen ist, ei, mein Herr, trauen Sie mir in der That so wenig Verstand und Einsicht zu, daß ich nicht, um einen solchen Verdacht von mir abzulenken, eben Alles genommen hätte, was ich nehmen konnte? – Indeß die Frau von Waldheim konnte in ihrem Eifer, in ihrer Leidenschaft, in ihrer –“

Sie stockte, während ein wilder, feindseliger Blitz aus ihrem Auge hervorzuckte. Rasch fuhr sie fort:

„Jene Dame konnte in ihrer Verblendung diese Umstände mir entgegenhalten. Aber Sie, mein Herr, halte ich für viel zu verständig und einsichtig, als daß Sie in Wahrheit solche Indicien gegen mich geltend machen könnten. Und welche andern hätten Sie mir vorzuhalten? Ich sagte Ihnen schon gestern Abend, es werde mir leicht sein, Ihnen Beweise für meine Unschuld zu liefern. Aber ich bedarf deren nicht. Bringen Sie zuerst Beweise für meine Schuld gegen mich vor.“

Ich konnte mir wieder nicht verhehlen, sie zerstörte mit scharfer, klarer Logik alle Argumente, die man aus den Thatsachen für ihre Schuld hätte entnehmen können. Sie vertheidigte sich vielleicht besser, als der gewandteste Vertheidiger es gekonnt hätte. Ich hatte ihr nur noch einen einzigen Umstand entgegenzuhalten. Er hatte freilich nicht viel Gewicht.

„Die beiden genannten Diebstähle sind nicht die alleinigen, deren Sie angeklagt werden. Während Ihrer Anwesenheit im Hause der Frau von Waldheim sind dieser mehrfach allerlei Kleinigkeiten entkommen, Taschentücher, Spitzenkragen, ein seidenes Nadelkissen, eine feine Scheere. Die Scheere hat sie später, als Sie schon bei der Generalin wohnten, bei Ihnen wiedergesehen, Sie hat daraus um so mehr geschlossen, daß Sie ihr auch die andern Sacken entwendet haben.“

Sie konnte sich auch hier leicht vertheidigen. Sie that es mit einem feinen, verächtlichen Lächeln auf den Lippen.

„Entwendet! Mein Herr, wenn zwei Damen in demselben Zimmer, an demselben Tisch, oft bei derselben Arbeit gemeinschaftlich beschäftigt sind, glauben Sie nicht, daß da nothwendig manchmal ihr beiderseitiges Eigenthum durcheinander kommen müsse, daß die Eine in dieser Confusion für ihr Eigenthum hält, was der Andern gehörig, und so umgekehrt? Und wollen Sie nun die Eine, und nur die Eine für eine Diebin und die Andere für eine Bestohlene halten? Haben Sie die Güte, Herr Criminalrath, bei der Frau von Waldheim nur halb so sorgfältig nachsuchen zu lassen, wie sie am gestrigen Abend meine Sachen durchsucht hat, und Sie werden bei ihr eine Menge von Sachen finden, von denen sie selbst wird gestehen müssen, daß sie mein Eigenthum sind. Und dann, mein Herr, werden Sie unter zwei Dingen nur eine Wahl haben: entweder Sis stecken auch die Frau Majorin als Diebin ein, oder Sie werfen mir nicht mehr vor, ich hätte ihr ihre Scheere gestohlen.“

Hatte sie nicht Recht?

Von allen Verdachtsgründen, die in Betreff der Diebstähle sich gegen sie erhoben hatten, blieb, wenn man sie näher betrachtete, verzweifelt wenig bestehen. Konnten durch Vernehmung der Hausgenossen der Majorin nicht noch neue Verdachtsmomente herbeigeschafft werden, und wäre nicht jenes Dunkel über das bisherige Leben der Beschuldigten vorhanden gewesen, das durch die objectiv vorhandene Fälschung ihres Passes als ein zweifelhaftes sich darstellte, ich hätte kaum ihre fernere Verhaftung rechtfertigen können. So war diese einstweilen noch geboten, und ich hatte sie nur noch über jene Paßfälschung zu vernehmen.

Ich legte ihr den Paß vor.

„Sie nennen sich Rosa von Heisterberg?“ fragte ich sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_122.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)